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30. Dezember 2007, von Michael Schöfer
Cui bono? Wem nützt es?


Bei Attentaten auf hohe Politiker bleibt häufig Raum für wilde Gerüchte und mehr oder minder realistische Verschwörungstheorien. Bestes Beispiel hierfür ist wohl der Mord an John F. Kennedy. Das liegt vor allem daran, weil sich Politiker in einem für die Öffentlichkeit schier undurchdringlichen Dickicht aus divergierenden Interessen befinden, in dem die Protagonisten bisweilen mit äußerst harten Bandagen um Einfluss und Pfründe kämpfen. Methoden, die man besser nicht publiziert, denn Morde sind dabei ein durchaus gebräuchliches Mittel. Der Zweck heiligt in diesen Kreisen bekanntlich die Mittel. Die wahren Urheber der Attentate werden - wenn überhaupt - erst nach Jahren bekannt, sobald die Archive wenigstens teilweise zugänglich sind. Wir erfahren deshalb nur bruchstückhaft, was im streng abgeschirmten Kosmos der Geheimdienste geschieht und wer dabei die Fäden zieht. Dem Volk präsentiert man eine möglichst glaubwürdige Fassade aus Ehrlichkeit und Moral, dahinter sieht es allerdings oft ganz anders aus.

Wem also nützt Benazir Bhuttos Tod? Al-Qaida? Vielleicht. Vordergründig könnte der berühmt-berüchtigten Terrororganisation eine Zuspitzung der Lage in Pakistan gelegen kommen. Womöglich spekuliert sie auf mehr Freiraum für ihre Kämpfer oder träumt sogar von der Machtübernahme im Atomwaffenstaat. Letzteres wäre für den Westen in der Tat ein Alptraum. Doch man muss natürlich auch einkalkulieren, dass Politiker gefährliche Terrororganisationen für Taten verantwortlich machen, die sie gar nicht begangen haben. Die Verantwortung wird bloß in Richtung Terrorismus geschoben, weil er für die eigenen Taten einen perfekten Deckmantel bietet. Es ist ja so leicht: irgendjemand schreit "al-Qaida" - und die meisten glauben es. Die wahren Täter können sich unterdessen die Hände reiben.

Selbstverständlich hätten Präsident Pervez Musharraf und/oder Kreise aus Militär und Geheimdienst (ISI) ebenfalls ein Interesse an der Ausschaltung der Oppositionspolitikerin haben können. Darf man das von vornherein als unwahrscheinlich abtun? Ich denke, nicht. Musharraf, der zuletzt durch die kurzzeitige Verhängung des Ausnahmezustands heftig in die Kritik geriet, kann sich schließlich nun als scheinbar einziger Garant für politische Stabilität präsentieren. Militär und Geheimdienst wiederum hätten sich mit dem Mord einer ernsten Bedrohung entledigt. Auch die wahren Interessen der Vereinigten Staaten sind alles andere als klar. Von der Bush-Administration, die die Musharraf-Regierung seit dem 11. September 2001 mit rund 11 Mrd. US-Dollar unterstützt hat, angelogen zu werden, ist man inzwischen ja gewohnt. Und soll man den Bhutto-Rivalen Nawaz Sharif bei alledem ganz außer Acht lassen? Ein Motiv, Benazir Bhutto zu beseitigen, findet sich demzufolge nicht nur bei al-Qaida.

Die Lage ist daher total unübersichtlich, schon allein der genaue Hergang des Attentats ist zur Zeit völlig offen. Die Regierung behauptet, Bhutto sei nicht von Kugeln getroffen worden, sondern habe beim Zurückweichen in ihr Auto einen tödlichen Schädelbruch erlitten. Mitarbeiter Bhuttos, die sich während des Attentats in ihrer unmittelbaren Nähe aufhielten, sprechen dagegen von Schusswunden im Kopf- bzw. Halsbereich. Wem soll man glauben? Und warum hat die Regierung eine Autopsie untersagt? Momentan ist nur eines gewiss: Benazir Bhutto ist tot. Über das Attentat selbst und dessen Auftraggeber kann man demnach nur spekulieren. Hüten wir uns aus diesem Grund vor überstürzten Schuldzuweisungen. Unter Umständen wird das Attentat nie aufgeklärt.