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23. Januar 2008, von Michael Schöfer
Turbokapitalismus par excellence: Zweimal abgezockt


Stellen Sie sich vor, Sie kaufen beim Autohaus Z. ein Auto für 50.000 Euro. Auf Kredit. Kein Problem, zum Glück sind Sie uneingeschränkt kreditwürdig. Ihre Bank schießt Ihnen deshalb gerne das Geld für Ihren Traumwagen vor, das ist schließlich deren Geschäft. Als Sicherheit für den Autokredit lässt sich die Bank im Fahrzeugbrief als Gläubiger eintragen. Dieser Eintrag steht dort solange, bis Sie ihren Autokredit auf Heller und Pfennig zurückgezahlt haben. In Ordnung, denken Sie, das ist ein faires Geschäft.

Nach drei Jahren haben Sie fast die Hälfte Ihres Traumwagens abbezahlt. Doch plötzlich bekommen Sie einen Brief von der Heuschrecke XY, Verzeihung, dem Finanzinvestor XY, der von Ihnen 50.000 Euro fordert. Wenn Sie nicht sofort zahlen, droht die Zwangsversteigerung des Wagens. Wie bitte, werden Sie denken, ich habe doch schon gut die Hälfte des Neuwagenkredits abbezahlt. Jede einzelne Rate wurde pünktlich überwiesen, woran sich bis zum Laufzeitende nichts geändert hätte. Außerdem hören Sie von der Heuschrecke XY das erste Mal und hatten mit ihr bis dato keinerlei Geschäftsbeziehung.

Wie sich allerdings herausstellt, hat Ihre Bank die Forderung an Sie, die durch den Eintrag im Fahrzeugbrief gesichert ist, kurzerhand an den Finanzinvestor XY verkauft. Und der fordert Sie jetzt auf, die Schuld umgehend zurückzuzahlen. In voller Höhe, versteht sich. Dass Sie zuvor bereits die Hälfte des Kredits an Ihre Bank zurückgezahlt haben, spielt keine Rolle. Für Ihr Traumauto müssen Sie daher faktisch zweimal blechen: einmal zur Tilgung des Bankkredits, ein weiteres Mal zur Ablösung der eingetragenen Sicherheit an die Heuschrecke. Quasi ein Auto zum doppelten Preis also.

Das geht doch nicht, das ist doch Betrug, werden Sie denken. Geht aber doch, zumindest beim Hauskauf. Aufgrund einer Gesetzeslücke ist die als Sicherung eingetragene Grundschuld (§ 1191 BGB) nämlich unabhängig vom jeweiligen Immobilienkredit und lässt sich folglich auch separat veräußern. Wichtig: Anders als bei der Kreditschuld, die durch die Tilgung peu à peu kleiner wird, steht die Grundschuld bis zum Schluss in voller Höhe im Grundbuch. "Damit die kreditgebende Bank nicht mehr Geld aus einer Vollstreckung herausholen kann, als die Restschuld beträgt, wurde zwischen ihr und dem Schuldner ein zusätzlicher 'Sicherungsvertrag' abgeschlossen. Die Crux ist aber, dass der Sicherungsvertrag nicht an die Aufkäufer der Kreditverträge weitergegeben wird. Daher kann eine Heuschrecke nun die volle im Grundbuch eingetragene Schuld vollstrecken lassen und obendrein noch ganz legal horrende Zinsen fordern." [1] Mit anderen Worten: Obgleich Sie korrekt gezahlt haben, droht die Zwangsversteigerung - es sei denn, Sie zahlen für Ihr Haus doppelt.

"Die Leidtragenden sind Opfer von Zwangsversteigerungen in ganz Deutschland. Die Betroffenen verlieren nicht nur ihre Immobilien, sondern meist auch die gesamte Existenz." [2] Nach Angaben der Commerzbank seien in Deutschland bislang "1 bis 2 Prozent des gesamten Baukreditvolumens von 1,1 Billionen Euro verkauft worden". [3] Das wären also mindestens Kredite in Höhe von 11 Mrd. Euro. Andere Quellen behaupten: "Banken und Sparkassen haben nach einer Studie des Instituts für Finanzdienstleistungen (IFF) Not leidende Immobilienkredite im Gesamtwert von 7,2 Mrd. Euro an Private Equity und Hedge Fonds verkauft. Bei diesen Darlehen waren die Kreditnehmer ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr regelmäßig nachgekommen. Darüber hinaus wurden aber auch 'gesunde' Darlehen im Wert von 800 Mio. Euro veräußert. Unter Annahme einer durchschnittlichen Kreditsumme von 150.000 Euro befinden sich danach korrekt bediente Kredite von 5300 Eigenheimerwerbern bei den Finanzinvestoren." [4]

Die Banken, die die Kredite weiterverkaufen und sie auf diese Weise aus ihren Bilanzen eliminieren, nutzen die von ihnen durch die Veräußerung selbst ausgelöste Misere dreist für eine weitere kreative Abzocke. Weil ihre Kundschaft durch die Berichterstattung über Kreditverkäufe verunsichert sind, bieten sie neuerdings einen "Verkaufsschutz für Eigenheimkredite" an. Sie verzichten dabei ausdrücklich auf die Möglichkeit, den Kredit zu einem späteren Zeitpunkt zu veräußern. Wenig verwunderlich: Diese Garantie ist nicht umsonst, die Commerzbank beispielsweise verlangt dafür jährlich zwischen 0,1 und 0,2 Prozent der Kreditsumme. "Bei einer Kreditsumme von 120.000 Euro, einer Laufzeit von rund 20 Jahren und einer kompletten Rückzahlung innerhalb dieser Laufzeit kostet diese Garantie bis zu 2400 Euro." [5] Unterstellt, die Zahlen über das gesamte Baukreditvolumen (1,1 Bio. Euro) stimmen, ist das ein Zubrot von immerhin mehr als 1 Mrd. Euro. Nicht schlecht, Herr Specht.

Turbokapitalismus par excellence - Hauptsache Profit. Dass man durch den Kreditverkauf gewissenhaft zahlende Stammkunden in den Ruin treibt, ist offenbar irrelevant. Das Bild vom ehrbaren Kaufmann gilt schon lange nicht mehr, heute ist skrupelloses Handeln im Geschäftsleben fast zur Regel geworden. Ständig ist größte Vorsicht angebracht, weil man eventuell betrogen wird. Und das (siehe oben) zuweilen auch noch völlig legal. Kann mir jemand erklären, warum wir eine so durch und durch verlogene Gesellschaft geworden sind? Sportler dopen, Politiker klären brutalstmöglich auf, Unternehmen bestechen - aber nach außen spielen alle die Unschuldsengel. Um es mit Max Liebermann zu sagen: "Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen möchte."

"Bankkunden sollen vor dem Verkauf ihrer Kredite besser geschützt werden, darum plant die Bundesregierung strengere Regeln für den Kreditverkauf durch Banken. Die Banken stimmen dem zwar vordergründig im Grundsatz zu, wehren sich jedoch entschieden gegen das geplante Sonderkündigungsrecht für Kreditnehmer im Falle eines Kreditverkaufs. Die Banken betrachten eine solche Regelung als eine Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Deutschland die weitreichende negative Folgen haben würde." [6] Hoppla, da sind wohl die zweistelligen Eigenkapitalrenditen der Finanztempel in Gefahr. Warum sollten sich die Banken sonst gegen eine derart unseriöse Abzocke wehren?

Wenn die Interessen der Wirtschaft tangiert sind, wird immer gleich der ökonomische Untergang des Standorts Deutschland an die Wand gemalt. Das sind wir inzwischen gewohnt. Die Intervention der Kreditwirtschaft erfolgt zu Recht: Trotz der seit Jahrzehnten mit Vehemenz betriebenen arbeitnehmer- und verbraucherfreundlichen Politik können wir uns im internationalen Ranking gottlob knapp vor Nordkorea behaupten. (Achtung: Ironie!) "Omas Häuschen bleibt sicher", versichert uns die SPD in puncto Erbschaftssteuerreform. Sicher vor der Erbschaftssteuer, aber unter Umständen nicht sicher genug vor Banken und Heuschrecken. Man kann nur hoffen, dass sich der Gesetzgeber von dem Gejammere der Banken unbeeindruckt zeigt und dem Wahnsinn endlich ein Ende bereitet.

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[1] Rhein-Zeitung-Online vom 22.01.2008
[2] ARD, Plusminus vom 20.11.2007
[3] FAZ.NET vom 22.01.2008
[4] Die Welt-Online vom 22.01.2008
[5] n-tv vom 22.01.2008
[6] News & Schlagzeilen vom 23.01.2008