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06. März 2008, von Michael Schöfer
Liebe Bürger von Brattleboro und Marlboro,


kürzlich habe ich bei ARTE "Taxi zur Hölle" gesehen. "Der Dokumentarfilm des mehrfach ausgezeichneten Filmemachers Alex Gibney erzählt von der Verhaftung eines afghanischen Taxifahrers, der nach wenigen Tagen in US-Gewahrsam gewaltsam ums Leben kommt. Er dokumentiert die von der amerikanischen Regierung forcierte Einführung der Folter als Verhörmethode in US-Einrichtungen und fordert eindringlich die Einhaltung der Menschenrechte und der Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen", schreibt der Sender. Der Film ist erschütternd.

Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie wütend mich die Politik Ihrer Regierung macht, denn sie erinnert mich an die Untaten grausamer Unrechtsregime. Sie können mir glauben, als Deutscher weiß ich, wovon ich spreche. Vielleicht ist Ihnen der Begriff "Nazi" bekannt. Das war eine Verbrecherbande, die hierzulande Anfang der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts an die Macht kam und Deutschland ins Unglück stürzte. Der Obernazi, ein gewisser Hitler, hat 1939 den II. Weltkrieg entfacht. Ihre GIs haben uns Deutsche dann 1945 von dem Übel befreit. Dafür danke ich Ihnen noch heute.

Wir Deutsche wurden anschließend entnazifiziert. Das heißt, man hat zunächst unseren individuellen Anteil an den Verbrechen festgestellt und später dem deutschen Volk als Ganzem die Vorteile der Demokratie schmackhaft gemacht. Von den Amerikanern bekamen wir beispielsweise etwas über die Herrschaft des Rechts beigebracht. Niemand steht über dem Gesetz, hieß es damals. Nach und nach haben wir uns die demokratischen Prinzipien angeeignet, von denen wir mittlerweile zutiefst überzeugt sind. Wenigstens in Westdeutschland. In Ostdeutschland herrschten bekanntlich lange Zeit die Kommunisten. Und in deren Gefängnissen ging es zu, wie heutzutage auf Guantanamo. Doch seit 1989 ist auch das vorbei. Zum Glück.

Warum ich Ihnen das erzähle? Nun, weil ich die Ideale, die Ihr Amerikaner unseren Eltern und Großeltern beigebracht habt, für ziemlich wertvoll halte. Umso bestürzter musste ich feststellen, dass es jetzt ausgerechnet unsere einstigen Lehrmeister sind, die dagegen verstoßen. Da bei Ihnen nun bald eine andere Regierung ans Ruder kommt, habe ich mir gedacht, Sie könnten womöglich hilfreiche Tipps bei der Entbushifizierung gebrauchen. Ich gebe Ihnen - sofern erwünscht - gerne Ratschläge, wie man auf den Pfad der demokratischen Tugend zurückkehrt. Doch vielleicht schaffen Sie es auch ohne meine Hilfe.

Sie, liebe Bürger von Brattleboro und Marlboro (Vermont/USA), haben sich jüngst in einem Volksentscheid für die Festnahme von George W. Bush ausgesprochen. Anklage: Verbrechen gegen die Verfassung. [1] Das ist eine gute Nachricht. Ich vertraue daher voll und ganz den Selbstreinigungskräften Ihrer Nation. Trotzdem möchte ich mich schon heute für die Interessen von Mr. Bush einsetzen.

Ich appelliere deshalb an Sie, ihm gleich nach der Verhaftung seine Rechte vorzulesen und einen Verteidiger seiner Wahl zuzuordnen. Während der zweifellos notwendigen Untersuchungshaft sollten Sie ferner darauf verzichten, Mr. Bush zu foltern. So sehr es Sie auch reizt, endlich die ganze Wahrheit zu erfahren. Folter ist nämlich ein inakzeptables Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Bilder eines an der Hundeleine liegenden Ex-Präsidenten sind ebenfalls zu vermeiden. Behandeln Sie ihn anständig. Machen Sie ihm auf faire Weise den Prozess. Mr. Bush soll all das bekommen, was ein Gefangener in Guantanamo, Abu Ghraib oder Bagram entbehren muss.

Nach einiger Zeit wird Ihr Land sicherlich wieder in die Reihe der zivilisierten Nationen zurückkehren. Wir sind nicht nachtragend. Auch das ist eine Lehre der Nachkriegszeit. Sollten Sie allerdings beim Prozess gegen Mr. Bush fundamentale Prinzipien des Rechtsstaats verletzen, sehe ich mich leider gezwungen, Amnesty International einzuschalten. Denn Menschenrechte gelten für alle und ohne jede Einschränkung. Sogar, Sie werden es kaum glauben, für George W. Bush.

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[1] Handelsblatt vom 06.03.2008