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09. März 2008, von Michael Schöfer
Wochenenderfahrungen


Wenn sich Ihre Frau vor dem Wochenendfrühstück abermals nicht entscheiden kann, ob Sie ihr vom Bäcker ein Laugen- oder Buttercroissant mitbringen sollen, dann sagen Sie doch einfach: "Hey, mach jetzt keinen auf Ypsilanti." Dieser Spruch lässt sich auf alle Situationen anwenden, in denen jemand unentschlossen ist oder innerhalb kürzester Zeit mehrfach die Richtung ändert. Glauben Sie mir, der Spruch bewirkt Wunder - und Sie können endlich mit klarem Auftrag zum Bäcker abmarschieren. Falls Ihre Frau kontert "Mach jetzt keinen auf Roland Koch", dann beklagt sie sich über Ihren ruppigen Ton. Okay, sie hätte Ihnen auch "Kotzbrocken" an den Kopf werfen können, doch im Grunde meint sie damit ohnehin das Gleiche. Wie Sie sehen, haben die Hessen unsere Streitkultur enorm bereichert.

Wenn Sie dann die Werbebeilage der Samstagszeitung in der Hand halten, in der Ihnen ein bekannter Elektro-Markt für Ihren alten PC eine Geschenkkarte in Höhe von 100 Euro verspricht (Motto: ALT gegen NEU), sollten Sie vielleicht einmal das Prospekt des Konkurrenten zur Hand nehmen. Das beim Erstgenannten angepriesene Notebook für 799 Euro (abzüglich Geschenkgutschein 699 Euro) gibt es nämlich bei Letzterem in ähnlicher Ausstattung schon für 599 Euro. Merke: Niemand hat etwas zu verschenken. Und nicht jeder, der "günstig" oder "billig" im Munde führt, ist es auch.

Ihr Frühstück bleibt Ihnen eventuell im Halse stecken, sobald Sie die Seite "Auto & Verkehr" aufschlagen. Ich persönlich habe ja nie verstanden, weshalb die Menschen zu einem Fahrzeug, das uns nur von A nach B bringen soll, eine derart heftige emotionale Bindung aufbauen. Das "heiligs Blechle" mutiert dabei fast zum Persönlichkeitsersatz. Im hiesigen Monopolblatt (Mannheimer Morgen) wurde am Wochenende der neue "Jeep Grand Cherokee" angepriesen: "Mehr Kraft und wesentlich mehr Komfort", titelte die Redaktion.

Den Jeep gibt es u.a. mit V8-Motor (Höchstgeschwindigkeit 248 km/h, 426 PS, von 0 auf 100 in 5 Sekunden). Das 2,2 Tonnen schwere Geschoss emittiert allerdings je Kilometer katastrophale 381 Gramm CO2 (EU-Grenzwert ab 2012: 120 g/km) und hat einen Benzinverbrauch von 16 Litern (Super Plus). Braucht man solche Dinosaurier wirklich? Wer dieses Auto kauft, muss zuerst das Großhirn abschalten. Rational ist das Ganze jedenfalls nicht zu erklären. Und was ich am ärgerlichsten fand: Trotz der offensichtlichen Umweltschädlichkeit gab es im ganzen Artikel nicht ein einziges Wort der Kritik. Auf welchem Planeten leben eigentlich die Redakteure? Offenbar auf einem, auf dem es keine endlichen Ressourcen und keinen Klimawandel gibt.

Alle reden vom Mindestlohn. Man muss von seiner Arbeit auch leben können, sagen die Politiker. Samstags sind bekanntlich viele Stellenanzeigen in der Zeitung. Die Stadt Ludwigshafen bot dort am Wochenende eine Stelle als Hausmeister an. "Perspektive Ludwigshafen" stand als Überschrift in der Anzeige. Die Hausmeistertätigkeit ist "zur Aushilfe (bedarfsabhängig)" ausgeschrieben und somit kein ständiges Arbeitsverhältnis. Die Stadt Ludwigshafen erwartet von den Bewerbern eine abgeschlossene Ausbildung in einem bauhandwerklichen Beruf sowie mehrjährige Berufserfahrung, verlangt darüber hinaus eine gute körperliche Konstitution, sicheres Auftreten, persönliche Reife und situationsbezogene Sensibilität, außerdem den Führerschein Klasse B und "die Bereitschaft zur Nutzung eines privaten Pkws zu dienstlichen Zwecken gegen Wegstreckenentschädigung".

Geboten wird "Entgeltgruppe 3 TVÖD". Wäre der gute Mann respektive die Frau (Achtung: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) vollbeschäftigt und nicht bloß "zur Aushilfe", würde er/sie anfangs lediglich 1.575 Euro verdienen. [1] Brutto wohlgemerkt. Netto bleiben davon bei einem Ledigen (Steuerklasse I) magere 1.095 Euro übrig. Schöne Perspektive. Wie man davon überhaupt noch einen privaten Pkw unterhalten kann, ist mir ehrlich gesagt vollkommen schleierhaft. Das Hausmeistergehalt liegt übrigens unter dem Post-Mindestlohn (brutto rund 1.700 Euro). Das sagt alles. Die Politiker sollten demzufolge erst einmal vor der eigenen Haustür kehren. Dort, wo sie als Arbeitgeber Verantwortung tragen.

Nachdem Sie die Unentschiedenheit Ihrer Frau, die trickreiche Werbung diverser Anbieter, die Auto"kritiken" und zuletzt auch noch die Stellenangebote verdaut haben, können Sie endlich das Wochenende genießen. Um etliche Wochenenderfahrungen reicher kehren Sie dann montags hoffentlich einigermaßen erholt auf Ihren Arbeitsplatz zurück.

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[1] vgl. Entgelttabelle, PDF-Datei mit 30 kb