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| Impressum 27. April 2008, von Michael Schöfer Die gefühlte Inflation Der Euro ist ein Teuro, behaupten viele. Die Preissteigerungsrate sei niedrig, sagen dagegen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Danach sind die Verbraucherpreise hierzulande seit der Bargeld-Einführung des Euro im Jahr 2002 gerade mal um 9,4 Prozent gestiegen. [1]
Was uns zu der Auffassung verleitet, dass der Euro ein Teuro sei, nennen Ökonomen "gefühlte" Inflation. In Deutschland ermitteln die Statistiker den Preisanstieg mit Hilfe eines repräsentativen Warenkorbs. Die "gefühlte" Inflation des Bürgers wird als wesentlich höher empfunden, weil die alltäglichen Ausgaben (Lebensmittel, Heizung, Verkehr) stärker gestiegen sind als die Ausgaben für langlebige Güter (Computer, Autos, Pauschalreisen). Die tatsächliche Inflation sei aber erheblich niedriger. Das mag rechnerisch stimmen, doch das persönliche Empfinden der Bürger sagt eindeutig: Wir werden seit Einführung des Euro ganz schön über den Tisch gezogen. 50 Prozent der Wirtschaft sind bekanntlich reine Psychologie (Ludwig Ehrhardt), aus diesem Grund ist das persönliche Empfinden der Bürger keinesfalls zu vernachlässigen, denn es ist für die individuelle Ausgabenentscheidung relevant. Der Behauptung, das wir seit Einführung des Euro ganz schön über den Tisch gezogen werden, kann auch ich zustimmen, jedenfalls was die Entwicklung in bestimmten Bereichen angeht. Aufgefallen ist mir das besonders bei den Gaststättenpreisen. Ich gehe seit jeher gerne essen, doch Gaststättenbesuche werden mir zunehmend vermiest. Letzte Woche war ich beispielsweise mit meiner Freundin im Theater, anschließend haben wir in einer Kneipe noch ein Bier getrunken. Zwei dunkle Weizenbier kosteten stolze 6,20 Euro. Das sind rund 12 Mark! (Mit Trinkgeld 14 Mark.) Für zwei Bier! Da fällt man doch förmlich vom Hocker. Ein anderes Beispiel: Nach unserer ersten Frühjahrs-Wanderung waren wir gestern im Odenwald in einem Speiserestaurant. Für zwei Rumpsteaks mit Kräuterbutter, Pommes und Salat bezahlten wir dort insgesamt 29,60 Euro. Das sind 58 Mark! Und heute haben wir beide je einen Salat gegessen. Preis pro Salatteller: 8,60 Euro. Das sind fast 17 Mark! Wenn wir dazu ein Weizenbier vom Fass getrunken hätten (das war uns offen gestanden zu teuer), wären weitere 7,60 Euro (pro Glas 3,80 Euro) über den Tresen gewandert. Haben wir anno 2001 auch nur annähernd 7,40 DM für ein einziges Glas Weizenbier bezahlt? Wohl kaum. Die Gaststättenpreise haben sich gegenüber den DM-Zeiten meinem Gefühl nach praktisch verdoppelt. Das, was man früher in DM zahlte, zahlt man heute 1:1 in Euro. Eine Preissteigerungsrate von 100 Prozent in sechs Jahren wäre nicht schlimm, wenn auch das Gehalt um 100 Prozent gestiegen wäre. Aber in Bezug darauf sieht es ziemlich übel aus. Mein Gehalt ist im gleichen Zeitraum (2002 - 2007) nämlich bloß um ganze 14,3 Prozent gestiegen. Brutto, wohlgemerkt (netto sind es 14,1 Prozent). Hier ist allerdings noch eine, dem Arbeitgeber in einem Arbeitsgerichtsprozess abgetrotzte Beförderung dabei. Ohne diesen - aus der Sicht des Arbeitgebers unfreiwilligen Beitrag - wären es lediglich 6,05 Prozent gewesen. Demzufolge stehen 100 Prozent Aufschlag bei den Gaststättenpreisen magere 6,05 Prozent Gehaltserhöhung gegenüber. Das deckt nicht einmal den statistischen Durchschnitt der Inflationsrate (9,4 Prozent) ab. Ohne gewonnenen Prozess wäre mein Gehalt real gesunken. Kein Wunder, wenn sich Jugendliche nachts bei der Tanke eindecken. Kein Wunder, wenn sich Familien oder Alleinerziehende kaum noch einen Restaurantbesuch leisten können. Konsequenz: Auch wir werden künftig weniger essen gehen und vermehrt selber kochen. Spaghetti Bolognese - das bekomme sogar ich hin. Und für ein Weizenbier beim Kiosk im Nachbarhaus zahle ich pro Flasche nur 1 Euro. Man kann sich auch anders durchs Leben schlagen. Oder sagen wir: Man wird von der Preisentwicklung buchstäblich dazu gezwungen. Wie das allerdings der Binnenkonjunktur (Stichwort: Konsumausgaben der Privathaushalte) helfen soll, ist mir schleierhaft. Kein Wunder, wenn die Wirtschaftsforschungsinstitute seit Jahren vergeblich auf ein Anziehen des Konsums warten. Von nichts kommt nichts. Es tut mir wirklich leid, aber ich kann halt nur das ausgeben, was ich verdiene. "Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) hat den Landesbeschäftigten und Beamten eine 'nennenswerte Gehaltserhöhung' in Aussicht gestellt. Nach zwei Nullrunden und einer maßvollen Erhöhung in diesem Jahr hätten die Beschäftigten bei der Tarifrunde 2009 Nachholbedarf", sagt Oettinger. [2] Ich bin bloß gespannt, ob er sich im nächsten Jahr, wenn es in Baden-Württemberg Tarifverhandlungen gibt, noch an seine Zusage erinnert. Davon abgesehen waren es bei den Landesbeschäftigten alles in allem drei Nullrunden, die letzte Gehaltserhöhung gab es am 1. Mai 2004. In den Jahren 2005, 2006 und 2007 bekamen wir keine lineare Gehaltserhöhung, sondern nur sozial gestaffelte Einmalzahlungen in Höhe von höchstens 910 Euro (in den unteren Lohngruppen). Erst am 01.01.2008 ist unser Gehalt wieder um 2,9 Prozent gestiegen. Wie dem auch sei, als Landesbediensteter kann ich meinerseits versprechen: Nach einer "nennenswerten Gehaltserhöhung" gehe ich wieder öfter essen - zumindest sofern die "nennenswerte Gehaltserhöhung" hoch genug ausfällt. ---------- [1] Statistisches Bundesamt, Verbraucherpreisindex für Deutschland [2] Mannheimer Morgen vom 26.04.2008 |