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| Impressum 15. Mai 2008, von Michael Schöfer Das Bauch-Gefühl Deutschland ist ein Bauch-Land. Nein, damit meine ich nicht die wachsende Leibesfülle der Bundesbürger, sondern wie hierzulande Politik gemacht wird. Eben vorwiegend mit dem Bauch (eigentlich müsste man sie ja mit dem Kopf machen). Ein beliebtes Bauch-Thema ist beispielsweise die Arbeitsmarktpolitik. So funktioniert's: Jeder kennt einen, der einen kennt, der wiederum ganz sicher von einem mutmaßlichen Schmarotzer weiß, dass der faul in der sozialen Hängematte liegt und, einen Six-Pack nach dem anderen hinunterschüttend, unser sauer verdientes Steuergeld verprasst. Die von BILD & Co. aufgeputschte Volksseele kocht entsprechend. Dagegen muss doch endlich etwas getan werden, schreien die Stammtische. Aus diesem Bauch-Gefühl heraus wird dann auch meist etwas getan, das Arbeitslosengeld II (besser bekannt unter Hartz IV) legt hiervon ein beredtes Zeugnis ab. Was haben sie uns nicht alles versprochen, als die Hartz-Gesetze eingeführt wurden, sozusagen das Blaue vom Himmel herunter. Und das Ergebnis? Die Mittelschicht sackt peu à peu ab, das Lohnniveau ist dramatisch gesunken, die Armut wächst unaufhörlich. Und das alles trotz unstreitig zurückgehender Arbeitslosigkeit. [1] Damit nicht genug, der Bauch meldet sich nämlich immer wieder: "Das Wirtschaftsministerium will die Daumenschrauben für Langzeitarbeitslose anziehen: Wer Hartz-IV-Leistungen bezieht, soll dafür eine Gegenleistung in Form von Bürgerarbeit erbringen. Das soll den Anreiz erhöhen, sich eine Vollbeschäftigung zu suchen. Eine neue Studie sieht erhebliches Sparpotenzial", schreibt die Welt. [2] Bis zu 1,4 Mio. zusätzliche Jobs soll das angeblich bringen, und die öffentlichen Haushalte könnten jährlich um rund 25 Mrd. Euro entlastet werden. Das kommt mir doch irgendwie bekannt vor. Ich hab' ein Déjà-vu, alles schon mal gehört. Der Pferdefuß: Vergleichbare Prognosen haben sich nie bewahrheitet. Im Bauch grummelt's ordentlich, hinten kommt freilich im wahrsten Sinne des Wortes bloß Scheiße heraus. Wie in der freien Natur. Manche ziehen bei diesem Vorschlag sogar eine Parallele zum Reichsarbeitsdienst, mit dem uns damals die Nazis "beglückten". [3] Darüber will ich hier gar nicht diskutieren. Doch der allen linken Bestrebungen und sozialromantischen Vorstellungen vollkommen unverdächtige Bundesrechnungshof hat soeben festgestellt, dass die früher hochgelobten Ein-Euro-Jobs nicht nur keine Beschäftigung gebracht, sondern sogar bestehende Vollzeit-Arbeitsplätze verdrängt haben. "Meistens handele es sich bei den geförderten Tätigkeiten um reguläre Aufgaben der öffentlichen Hand. Mit den Ein-Euro-Jobs sollten somit reguläre 'Arbeitskräfte eingespart werden'. Ein Beispiel ist der Ein-Euro-Jobber im Archiv des bayerischen Wirtschaftsministeriums. Seine Tätigkeit sei nicht zusätzlich, sondern Teil der 'ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung' der Behörde. Nach Recht und Gesetz müssen die Tätigkeiten zusätzlich, wettbewerbsneutral und im öffentlichen Interesse sein. In 68 Prozent der 173 untersuchten Fälle habe mindestens eine Fördervoraussetzung gefehlt. Die Arbeitsverwaltung habe es grundsätzlich unterlassen, so der Bundesrechnungshof weiter, den Erfolg und die Wirkung der einzelnen Maßnahmen zu überprüfen. (...) DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach bezeichnet das Ergebnis der Kontrolleure als 'schallende Ohrfeige für die Politik'." [4] Nüchtern, also ohne Bauch betrachtet, war die Einführung der Ein-Euro-Jobs ein absoluter Fehlschlag. Und nun will man Null-Euro-Jobs einführen. Welch grandiose Innovation! Diesmal klappt's gewiss, hör' ich die Sozialstaatsumbauer rufen. Ja, ja, daran besteht kein Zweifel. Diesmal. Bei der Politik mit dem Bauch sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Schon gar keine moralischen. In Frankreich, das ebenfalls mit dem Konzept des "Fordern und Förderns" herumexperimentiert, hat das Arbeitsamt kürzlich einem Arbeitslosen einen Job in der südindischen Stadt Pondicherry angeboten. Als Web-Designer eines französischen Computerunternehmens, das die meisten Arbeitsplätze nach Indien ausgelagert hat. Das ist kein Witz! Ehrlich. "Voraussetzungen sind ein viersemestriges Uni-Studium und gute Englischkenntnisse. Die Entlohnung für 40 Arbeitsstunden pro Woche beträgt 10.000 bis 20.000 Rupien - umgerechnet 160 bis 320 Euro. Die Sozialleistungen sind 'auszuhandeln' - das heißt, sie sind nicht garantiert." [5] "Die französische Regierung plant gegenwärtig eine Kürzung des Arbeitslosengeldes für den Fall, dass jemand zwei angebotene Jobs zurückweist. Wem ein 300-Euro-Posten in Pondicherry nicht genehm ist, darf also nur hoffen, dass ihm die Arbeitsverwaltung als nächstes nicht einen 600-Euro-Job in der argentinischen PC-Freihandelszone Ushuaia am südlichsten Zipfel Südamerikas offeriert", schreibt die FR süffisant. Darauf ist Bundeswirtschaftsminister Glos nicht gekommen. Noch nicht. Das ist überhaupt die Idee: Könnte man nicht kurzerhand die Langzeitarbeitslosen zusammen mit der Rentnerschwemme andernorts entsorgen? Vielleicht in Afrika? Mit monatlich 347 Euro ALG II bzw. 614 Euro Grundsicherung (laut Statistischem Bundesamt 2006 die Durchschnittsleistung) ist man doch in Burkina Faso (Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und Jahr 508 US-Dollar) oder Mosambik (369 US-Dollar) geradezu ein König. [6] Erhöht dort außerdem ungemein die Kaufkraft. Mittelbare Entwicklungshilfe sozusagen. Und warm ist es obendrein, Ausgaben für Heizkosten hat man also keine. Auf diese Weise ließe sich hierzulande wirklich Geld sparen. Alles zum Wohle des Standorts Deutschland, versteht sich. Richtig durchgerechnet habe ich das Ganze allerdings nicht, kam halt so aus dem hohlen Bauch heraus (Spötter würden behaupten, aus den hohlen Kopf...). Bin trotzdem gespannt, wie lange es dauert, bis daraus ein Vorschlag des Wirtschaftsministers geworden ist. Denn der ist sich offenbar für keine Idee zu schade. ---------- [1] siehe Vollbeschäftigungsgerede vom 05.05.2008 [2] Die Welt vom 13.05.2008 [3] Der Spiegelfechter [4] Frankfurter Rundschau vom 09.05.2008 [5] Frankfurter Rundschau vom 06.05.2008 [6] Wikipedia, Liste der Länder nach Bruttoinlandsprodukt pro Kopf |