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19. Mai 2008, von Michael Schöfer
Konvertiten sind bekanntlich besonders radikal


Heutzutage ist im Berufsleben Flexibilität unverzichtbar, denn einen Job über Jahrzehnte hinweg auszuüben, ist eine Seltenheit geworden. Natürlich haben Menschen mit dem Rollenwechsel, den sie dabei ab und an vollführen müssen, gelegentlich enorme Schwierigkeiten. Man kann dem Ganzen mit Humor begegnen, wie beispielsweise der frühere SPD-Politiker Hans Apel. Am 16.02.1978 übernahm Apel das Amt des Verteidigungsministers, zuvor war er im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt Finanzminister gewesen. Nach der Kabinettsumbildung fand er auf der Hardthöhe einen Brief des Finanzministers vor, den er selbst diktiert, aber nicht mehr unterschrieben hatte: Für AWACS (Airborne Warning and Control System) gebe es keine zusätzlichen Haushaltsmittel, lautete der Tenor der Mitteilung. Verteidigungsminister Apel bewertete den Brief des Finanzministers Apel natürlich als ziemlich unverschämt ("Das war vielleicht ein Ton.") und hat ihn entsprechend beantwortet. [1] Natürlich musste Apel die Sache als Verteidigungsminister anders bewerten. Das war sein Job.

Es ist jedoch etwas völlig anderes, wenn man mit der neuen Funktion auch die Grundsätze über Bord wirft, die man jahrzehntelang vertreten hat. Insbesondere, wenn es mutmaßlich aus purem Eigennutz geschieht. Man habe ein "Rückgrat aus Gummi", sei ein "Mann ohne Eigenschaften" oder ein "Wendehals", lauten dann die Vorwürfe. Getroffen von solchen Attacken darf sich seit letzter Woche Norbert Hansen fühlen, der ehemalige Vorsitzende der DGB-Bahngewerkschaft Transnet. Seit 1979 war er dort hauptamtlicher Mitarbeiter, wurde 1991 Bezirksleiter in Hamburg und schließlich 1999 sogar zum Gewerkschaftsvorsitzenden gewählt. [2] Transnet galt in Tarifauseinandersetzungen als vergleichsweise handzahm und unterstützte als einzige der drei Bahngewerkschaften die Teilprivatisierung der Deutschen Bahn AG. Hansen habe sich mit Bahn-Chef Mehdorn prächtig verstanden, wird kolportiert. Jetzt ist der ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende, der Pressemeldungen zufolge bei Transnet ein Jahresgehalt von 101.400 Euro bezogen haben soll, überraschend Arbeitsdirektor geworden. Seine Amtsvorgängerin im Bahnvorstand, Margret Suckale, bekam 2007 angeblich ein Fixgehalt von 400.000 Euro und zusätzlich eine erfolgsabhängige Komponente in Höhe 1,05 Mio. Euro. [3] Unterstellt, Hansen kommt auf das gleiche Gehalt wie seine Vorgängerin, verdient er künftig in einem Monat das, was er vorher in einem ganzen Jahr verdiente. Nicht schlecht, Herr Specht.

Lohnt es sich, dafür plötzlich etwas ganz anderes zu vertreten und eine Firmenpolitik auf Kosten seiner alten Gewerkschaftskollegen zu betreiben? Jedenfalls hat er seinen Job als Arbeitsdirektor schnell verinnerlicht. Nun fordert der ehemalige Gewerkschaftsvorsitzende von den Bahn-Mitarbeitern mehr Effizienz, beispielsweise könnten die Lokführer doch auch die Züge aufräumen oder am Bahnhof "mit anpacken". Vor vier Wochen hätte Hansen ein derartiges Ansinnen des Bahnvorstands bestimmt empört als unzumutbar zurückgewiesen. Überdies kündigte das neue Vorstandsmitglied weiteren Stellenabbau an. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Mitglied in der Tarifunion des Deutschen Beamtenbundes, die Transnet schon in der letzten Tarifrunde mächtig Feuer unterm trägen Hintern gemacht hat, lacht sich gewiss ins Fäustchen. Hansen treibt ihr die enttäuschte Transnet-Basis förmlich in die Arme. In puncto Arbeitsplatzabbau wurde er sogar von Hartmut Mehdorn zurückgepfiffen. "Spekulationen über einen Personalabbau bei der Bahn seien an den Haaren herbeigezogen. Es gebe weder ähnlich Pläne noch Beschlüsse, so Mehdorn." Richtig sei vielmehr, "dass es im Zuge der Teilprivatisierung bis 2023 keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird." [4]

Es ist ja bekannt, dass sich Konvertiten häufig besonders radikal zeigen (vielleicht, weil sie Zweifel an ihrer Ernsthaftigkeit zerstreuen wollen). Aber so? Ausgerechnet von einem Spitzengewerkschafter? Absolut der Hammer. "Bahn-Gewerkschafter werfen Überläufer Hansen Verrat vor", gibt der Spiegel die Stimmung an der Basis wieder. [5] "Wir fühlen uns verraten und verkauft", sagen Transnet-Gewerkschafter. Heribert Prantl brachte es in der Süddeutschen Zeitung wieder mal auf den Punkt: "Hansen und die Bahn haben ein Problem: die Eisenbahner, für die der Mann als Arbeitsdirektor zuständig ist, werden kein Stück Brot mehr von ihm nehmen. Kaum angetreten, hat er sich also für seine Aufgabe diskreditiert. Hansen gilt den Eisenbahnern als Verräter, als Gewerkschafts-Judas, als einer, der sich verkauft hat. Er hat sich sehr beeilt, das zu beweisen; das ist gelungen. Mehdorn hatte den Gewerkschafter Norbert Hansen als nützlichen Idioten einstellen wollen. Nun ist er nicht einmal mehr nützlich." [6]

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[1] Hans Apel, Der Abstieg - politisches Tagebuch eines Jahrzehnts, Stuttgart 1990, Seite 37 und DER SPIEGEL 18/1978 vom 01.05.1978, Seite 49
[2] Wikipedia, Norbert Hansen
[3] Frankfurter Rundschau vom 09.05.2008
[4] Frankfurter Rundschau vom 17.05.2008
[5] Spiegel-Online vom 16.05.2008
[6] Süddeutsche vom 17.05.2008