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23. Juni 2008, von Michael Schöfer
Christliche Widersprüche


"Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch hat eine gerechte Beteiligung der Arbeitnehmer an Unternehmensgewinnen angemahnt. Hohe Unternehmensgewinne dürften nicht in die Tasche von wenigen fließen. Sie müssten vielmehr allen, die am Zustandekommen des Gewinns beteiligt seien, zukommen. Das betonte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz bei einem 'Tag der Betriebsräte' in Freiburg. Zollitsch hob hervor, Arbeit müsse sich spürbar mehr lohnen als Nicht-Arbeit. Wer voll erwerbstätig sei, solle auch von seinem Verdienst leben können." [1]

Alles in Ordnung, könnte man meinen, den Äußerungen des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz ist voll und ganz zuzustimmen. Momentan leiden wir bekanntlich an einem Aufschwung, der an den Menschen meist spurlos vorübergeht, da sind höhere Löhne ein probates Mittel, Gerechtigkeit herzustellen. Die Kirche ist in den Augen mancher eine moralische Institution, und deshalb sei es aus christlicher Nächstenliebe heraus verständlich, wenn sich Zöllitsch vehement für die Rechte der Arbeitnehmer einsetzt. Komisch bloß, dass die hehren Ansprüche abermals nur für andere gelten sollen, im eigenen Bereich jedoch nicht:

"Magere Lohnerhöhung bei der Caritas. Nach mehr als zweijährigen Verhandlungen ist der Tarifkonflikt für die 480.000 Mitarbeiter der Caritas gelöst. Beschlossen wurde eine Lohnerhöhung um 1,6 Prozent ab 1. Januar 2008 und um weitere 4,3 Prozent ab 1. Januar 2009, dazu eine Einmalzahlung von 225 Euro 2009. Zudem soll die Arbeitszeit zum 1. September 2009 von 38,5 auf 39 Stunden angehoben werden." [2]

Zum Vergleich: Im öffentlichen Dienst bei Bund und Kommunen erhielten die Beschäftigten im Januar 2008 - sozial gestaffelt - zwischen 4,03 bis 7,11 Prozent, im Januar 2009 folgen weitere 2,8 Prozent. Außerdem gibt es am 01.01.2009 ebenfalls eine Einmalzahlung in Höhe von 225 Euro.

Wenn wir die Tariferhöhungen miteinander vergleichen, stellen wir Folgendes fest: Im öffentlichen Dienst gab es im Durchschnitt 8,37 Prozent (Mittelwert aus 4,03 und 7,11 = 5,57 + 2,8 = 8,37), bei der katholischen Kirche aber lediglich 5,9 Prozent. Letzteres gleicht noch nicht einmal die Inflationsrate aus. Warum sind eigentlich die Ergebnisse der "Tarifverhandlungen" für die kirchlichen Mitarbeiter schlechter als die für die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes? Wenn die Kirche ihren Auftrag ernst nähme, müssten die Ergebnisse sogar besser sein. "Geben ist seliger denn Nehmen!", sagte Paulus und zitierte damit einen gewissen Jesus von Nazareth. [3]

Doch im Grunde verwundert das kaum, denn die Mitarbeitervertreter, so heißen in der Kirche die Betriebsräte, sind weitgehend machtlos. "Im Vergleich zum Betriebsverfassungsgesetz in der Privatwirtschaft setzt die Ordnung in kirchlichen und caritativen Einrichtungen stärker auf Harmonie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. (...) Ein Streikrecht gibt es nicht; die Kommissionen, die Gehälter der Beschäftigten aushandeln sind zu gleichen Teilen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzt." [4] Hier werden also die Beschäftigten mit einer christlich angehauchten Harmoniesoße ordentlich über den Tisch gezogen. Eine Friede-Freude-Eierkuchen-Ideologie, die offenbar bloß dem Arbeitgeber dient. Woanders würde so etwas als undemokratisch gelten und bestenfalls als Witzveranstaltung durchgehen.

Leider wird die Machtlosigkeit von Mitarbeitervertretern und Gewerkschaften im Bereich der Kirche von den Gerichten gebilligt. Und das schon seit langem: "Das Bundesarbeitsgericht in Kassel hat entschieden, daß die Kirche betriebsfremde Gewerkschafter, die mit Plakaten und Flugblättern in einem kirchlichen Betrieb informieren oder werben wollen, nicht zu dulden braucht. (...) Die Kasseler Juristen orientierten sich damit an einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 1981, der festlegte, daß die im Grundgesetz garantierte 'Betätigung' der Gewerkschaften nicht so weit gehe, daß Fremde in Kirchenbetrieben Gewerkschaftsarbeit verrichten dürften." [5] Daran hat sich bislang nichts geändert. Die Kirche, ein rechtsfreier Raum? Das nicht, aber ein Raum, in dem die Menschen mit weniger Rechten ausgestattet sind. Wer das als vordemokratisch bezeichnet, liegt vollkommen richtig. Der Vatikan gilt nicht ohne Grund als die letzte absolute Diktatur Europas.

Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch hätte sich folglich seine Mahnung an die Arbeitgeber sparen können und zuerst vor der eigenen Haustür kehren sollen: "Was siehst du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr?" [6]

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[1] Domradio vom 22.06.2008
[2] Frankfurter Rundschau vom 20.06.2008
[3] Die Bibel nach Martin Luther, Neues Testament, Apostelgeschichte, Kapitel 20, Satz 35
[4] Rheinische Post vom 27.05.2008
[5] DER SPIEGEL 17/1982 vom 26.04.1982
[6] Die Bibel nach Martin Luther, Neues Testament, Lukas, Kapitel 6, Satz 41