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25. Juni 2008, von Michael Schöfer
Das Versagen Afrikas


Es ist der Fluch Afrikas, nach der Überwindung des Kolonialismus fast nur autoritäre Potentaten hervorgebracht zu haben, die überwiegend an ihrem eigenen materiellen Wohlergehen interessiert sind. Gelegentlich werden alte Potentaten durch Oppositionelle abgelöst, die hoch und heilig das Ende von Vetternwirtschaft und Korruption versprechen, sich dann aber ihrerseits recht bald als genauso korrupt entpuppen. Als beispielsweise Mwai Kibaki 2002 seinen Vorgänger Daniel arap Moi, der 24 Jahre lang Kenia regierte, ablöste, versprachen sich nicht nur die Kenianer eine deutliche Besserung im Lande.

"Der demokratische Machtwechsel in Kenia ist weltweit begrüßt worden. Die USA boten dem neuen Präsidenten Kibaki eine enge Zusammenarbeit an. Washington sei durch das Angebot Kibakis ermutigt, wirtschaftliche Reformen einzuleiten und mit der politischen Opposition zusammenzuarbeiten, sagte Außenamts-Sprecher Reeker. Bundeskanzler Gerhard Schröder sprach in einem Glückwunsch-Telegramm von einem neuen Kapitel in der Geschichte Kenias. Der friedliche Ablauf der Wahlen ist ein hoffnungsvolles Zeichen für den demokratischen Aufbruch des Landes. Vor mehr als hunderttausend Anhängern war der Sieger der kenianischen Präsidentschaftswahlen, Mwai Kibaki, in Nairobi als neuer Präsident vereidigt worden. Er werde sich 'von ganzem Herzen' für Kenia einsetzen, um den Frieden zu erhalten und die Verfassung zu schützen, sagte er in seiner Rede. (...) Kibaki kündigte an, unverzüglich gegen Korruption vorzugehen." [1]

Das war vor sechs Jahren. Und was wurde daraus? "Obwohl Kibaki seinen Wahlkampf 2002 mit dem Anti-Korruptions-Ticket führte, war seine Präsidentschaft durch die Explosion neuer Mechanismen der Reichtumsaneignung und Akkumulation gekennzeichnet." [2] John Githongo, von 2003 bis 2005 Staatssekretär und unabhängiger Antikorruptionsberater des Präsidenten, musste aufgrund von Morddrohungen ins Exil nach London fliehen. Offenbar nahm er seine Aufgabe zu ernst.

Nach der umstrittenen Wahl am 27. Dezember 2007, aus der nach Meinung vieler Beobachter der Oppositionskandidat Raila Odinga als Sieger hervorging, kam es in Kenia zu blutigen Unruhen, bei denen vermutlich 1.500 Menschen ums Leben kamen und mehr als 600.000 flüchten mussten. Kibaki, dem man massive Wahlfälschung vorwarf (in einem Wahlkreis wurde z.B. eine Wahlbeteiligung von 115 Prozent ermittelt), hielt starrsinnig an der Macht fest. Unter Vermittlung des früheren UN-Generalsekretärs Kofi Annan kam es am Ende doch noch zu einem Gentlemen's Agreement: Am 13. April 2008 wurde Raila Odinga von Präsident Kibaki zum Ministerpräsidenten Kenias ernannt und führt seitdem eine Koalitionsregierung.

Raila Odinga versprach in seinem Wahlkampf, mehr für die Armen zu tun und - natürlich - einen entschlossenen Kampf gegen die Korruption zu führen. Etwas, das in Afrika alle Wahlkämpfer versprechen. Versprechen müssen, denn Armut und Korruption sind in Afrika weit verbreitet (leider nicht bloß dort). Im Korruptionswahrnehmungsindex 2007 von Transparency International rangiert Kenia in einer Liste von insgesamt 179 Staaten an 150. Stelle. [3] Also ziemlich weit unten. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass sich Odinga letzten Endes als ebenso korrupt und autoritär erweist wie Kibaki und Moi.

Richten wir unseren Blick nach Simbabwe, wo sich der ehemalige Freiheitskämpfer und jetzige Diktator Robert Mugabe mit aller Gewalt, dies ist durchaus wörtlich zu nehmen, an der Macht festkrallt. Nicht nur, dass er sein Land ökonomisch total heruntergewirtschaftet hat (die Inflationsrate betrug im Mai 2008 sage und schreibe 165.000 Prozent, knapp ein Drittel der Bevölkerung sind in den letzten Jahren vor dem Hunger ins Ausland geflohen), Mugabe lässt seine Anhänger darüber hinaus systematisch foltern und morden. Trotz des Terrors verlor seine Partei (ZANU-PF) im März 2008 die Parlamentswahl, die Opposition kam selbst nach dem fragwürdigen offiziellen Endergebnis auf 109 Mandate, während die Regierungspartei lediglich 97 Sitze errang. Bei der gleichzeitig abgehaltenen Präsidentschaftswahl bekam Oppositionsführer Morgan Tsvangirai 47,9 Prozent, auf Mugabe entfielen bloß 43,2 Prozent. Durch noch intensiveren Terror verhinderte Mugabe schließlich die Teilnahme Tsvangirais an der erforderlichen Stichwahl, der Oppositionsführer ist unterdessen in die niederländische Botschaft geflüchtet.

Die Weltgemeinschaft müsste eigentlich alles tun, um Mugabe endlich zu stürzen. Notfalls mit Gewalt. Doch ausgerechnet hier versagen die afrikanischen Staaten völlig, insbesondere die Republik Südafrika. Die Verurteilung Simbabwes durch den UN-Sicherheitsrat, Südafrikas Präsident Thabo Mbeki führt dort momentan den Vorsitz, scheiterte nämlich am Widerstand einer vom Land am Kap der Guten Hoffnung angeführten Gruppe. "Es gebe zur Zeit nur eine Regierung, und das sei die von Mugabe, so Südafrikas UN-Botschafter Dumisani Khumalo." [4] Eine für Südafrika, das dank Nelson Mandela die Apartheid friedlich überwunden hat und sich erklärtermaßen der Demokratie verpflichtet fühlt, äußerst beschämende Haltung. Der ohnehin, u.a. wegen der grotesken Leugnung von AIDS, umstrittene südafrikanische Präsident hält seinem ehemaligen Kampfgefährten Mugabe also nach wie vor die Stange. Laut Mbeki gebe es überhaupt "keine Krise" in Simbabwe. [5]

Auf dem Gipfel des südafrikanischen Staatenbundes SADC (Southern African Development Community) im April 2008 kam Mugabe glimpflich davon: "Wer von dem Gipfel offene Kritik erwartet hatte, wurde (...) einmal mehr enttäuscht. Keine Rüge für die brutale Gewalt gegen Oppositionelle, die die Menschenrechtsorganisation Amnesty International beklagt; kein Wort der Kritik an Farmbesetzungen, keines an Versammlungsverboten oder dem zunehmenden Einsatz von Militär und Polizei." [6] Und als Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende letzten Jahres auf dem Gipfel der EU und der Afrikanischen Union Mugabes Menschenrechtspolitik scharf verurteilte, erntete sie von den afrikanischen Staatschefs heftigen Widerspruch. "Senegals Präsident Wade warf Merkel vor, sie habe keine genauen Informationen über die Menschenrechtslage in Simbabwe. Südafrikas Präsident Mbeki kritisierte Merkel ähnlich: Sie habe realitätsferne Ansichten über die Situation in Simbabwe." [7] "Alles was berichtet wird, ist falsch, ist nicht wahr", behauptete Abdoulaye Wade. [8] Die Ignoranz in Afrika ist, wie man sieht, immens.

Simbabwes Informationsminister Sikhanyiso Ndlovu bezeichnete Merkel als "Rassistin, Faschistin" und ein "Überbleibsel der Nazis". Mugabe beschrieb er dagegen als "unzweifelhaften Helden des afrikanischen Nationalismus, einen Panafrikanisten, Revolutionär und Befreier Simbabwes". [9] Dass Mugabes Gefolgsmann so reagiert, ist nicht weiter verwunderlich. Dass aber etliche afrikanische Staatschefs das anscheinend genauso sehen, ist ein Skandal. Natürlich wird, wie stets in solchen Fällen, die Rassismus-Karte gezückt und an den Kolonialismus erinnert. Zweifellos haben sich die Europäer in dieser Beziehung viel vorzuwerfen. Doch wie lange soll das noch als Ausrede für afrikanische Menschenschlächter gelten? Frei nach dem Motto: Ihr Europäer habt uns einst jahrhundertelang versklavt, deshalb dürfen wir heute unseren Landsleuten ungestraft die Köpfe einschlagen. Einfach absurd. Ist es tatsächlich kulturelle Arroganz, wenn man Diktatur und Menschenrechtsverletzungen anprangert? Wohl kaum. Nach meinem Verständnis sind Menschenrechte universell. Im Umkehrschluss müsste man nämlich zurückfragen: Gehören Wahlfälschungen, Folter und Morde untrennbar zur afrikanischen Kultur?

Robert Mugabe darf keinesfalls als Präsident anerkannt werden. Er sollte sich folglich in Ermangelung von diplomatischer Immunität nicht mehr aus seinem Land heraustrauen dürfen, ohne gleichzeitig seine Verhaftung und Überstellung an den Internationalen Strafgerichtshof befürchten zu müssen. Geht das Morden wirklich weiter, ist in meinen Augen sogar eine humanitäre Intervention im Auftrag der UN in Erwägung zu ziehen. Sich in Simbabwe zu engagieren ist zwar ökonomisch bei weitem nicht so lukrativ wie im Irak, aber, was die Menschenrechtslage angeht, mindestens genauso gerechtfertigt. Im Grunde wäre das primär die Aufgabe der afrikanischen Staaten, doch die scheinen jämmerlich zu versagen. Es ist offenbar noch ein langer Weg, bis es dem "verlorenen Kontinent", der ursprünglichen Heimat unserer Spezies, wieder etwas besser geht.

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[1] tagesschau.de vom 31.12.2002
[2] Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung vom 04.01.2008
[3] Transparency International vom 26.09.2007, PDF-Datei mit 209 kb
[4] Frankfurter Rundschau vom 25.06.2008
[5] Frankfurter Rundschau vom 16.04.2008
[6] Göttinger Tageblatt vom 12.04.2008
[7] tagesschau.de vom 08.12.2007
[8] Spiegel-Online vom 08.12.2007
[9] Stern vom 10.12.2007