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15. Juli 2008, von Michael Schöfer
Die Untoten


Sie leben nicht mehr, aber existieren trotzdem: die Untoten. Vorurteilsfrei betrachtet gibt es - zu Recht - große Zweifel, ob sie tatsächlich existieren, unsere diesbezügliche Phantasie bereichert aber zumindest die Produktion von Kinofilmen, aus dem Genre der Horrorfilme sind sie nicht mehr wegzudenken. Gleichwohl gibt es Untote wirklich, und zwar in der Politik. Ein Beispiel hierfür ist die deutsche Atomindustrie. Eigentlich bereits längst abgeschrieben, kriecht sie in regelmäßigen Abständen aus ihrem kalten Grab und verspricht uns immer wieder aufs Neue eine strahlende Zukunft. Zu den Schamanen, die die Atomindustrie öffentlich mit einem weithin vernehmbaren "stehe auf" dem Totenreich entreißen möchten, gehört unter anderem CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla. Die kleinste Krise ist ihm Anlass genug, die Bürger zur Auferweckungsfeier einzuladen.

Nun sind die horrenden Energiepreissteigerungen der letzten Jahre zugegebenermaßen keine kleine Krise, vielmehr haben sie zweifellos gravierende Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Prompt erschallt Pofallas Ruf nach den Untoten. Die CDU will die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern und anstelle der Reaktoren kurzerhand den verhassten Atomausstieg begraben. Im Gegenzug sollen "die zusätzlichen Gewinne aus den längeren Laufzeiten der sicheren Kernkraftwerke (...) für Preissenkungen und die Erforschung erneuerbarer Energien genutzt werden." [1] Doch wie will er überhaupt sicherstellen, dass die Kraftwerksbetreiber die zusätzlichen Gewinne auch an die gebeutelten Verbraucher weitergeben? Dazu sagt Pofalla nichts.

Der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, spricht von einer Vereinbarung mit der Stromindustrie "auf der Basis von Freiwilligkeit". [2] Putzig, nicht? Da werden sich die Aktionäre von Eon, RWE, EnBW und Vattenfall aber bestimmt freuen. Wie gut solche Vereinbarungen auf der Basis der Freiwilligkeit funktionieren, hat beispielsweise die freiwillige Selbstverpflichtung der Autoindustrie gezeigt, den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeuge drastisch zu senken: nämlich gar nicht. Kein "Argument" ist dumm genug, um nicht dennoch der Totenbeschwörung zu dienen. Die Atomindustrie scheffelt bekanntermaßen seit Jahren riesige Gewinne aus dem Betrieb der Meiler, ohne deshalb jemals auf irgendeine Strompreiserhöhung verzichtet zu haben.

"Die Strompreise für Industriekunden stiegen seit 2000 zwischen 58 und 77 Prozent; für private Haushalte um rund 50 Prozent. Mehr als die Hälfte dieses Anstiegs ist der Preispolitik der Energieversorger geschuldet. Der operative Gewinn von Eon, RWE, Vattenfall und EnBW summierte sich in den letzten sieben Jahren auf insgesamt 90 Milliarden Euro." [3] Warum sollte dies künftig anders sein? Außerdem bestimmt die am teuersten erzeugte Kilowattstunde (des Grenzkraftwerks) an der Strombörse in Leipzig den Strompreis. Das Preisargument sticht also nicht. Wie man die privaten Energieversorgungsunternehmen zwingen könnte, zugunsten der Verbraucher auf Gewinne zu verzichten, darüber schweigt sich Pofalla bewusst aus.

Überdies gelten die Einwände gegen die Atomkraft weiter: die immensen Baukosten; die Unfallgefahr und, wenn etwas passiert, deren weitreichenden Folgen für die Umwelt; die ungelöste Entsorgungsfrage; das Terror- und Proliferationsproblem; der vergleichsweise geringe Anteil am Primärenergieverbrauch. Nein, lassen wir die Untoten dort, wo sie hingehören: im Reich der Phantasie. Kümmern wir uns besser um technisch machbare und zudem wesentlich umweltfreundliche Alternativen. Die Zukunft kann nur bei den regenerativen Energieträgern und dem möglichst effizienten Umgang mit Energie liegen. Wer seine Kraft dagegen für die Renaissance der Atomkraft vergeudet, gefährdet diese Entwicklung. Einen Euro kann man bekanntlich nur einmal ausgeben. Die Atomkraft war, ist und bleibt daher ein Weg in die Sackgasse.

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[1] CDU vom 14.07.2008
[2] n-tv vom 14.07.2008
[3] Der Tagesspiegel vom 15.07.2008