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18. Juli 2008, von Michael Schöfer
Frieren wegen RWE?


"Der Energiekonzern RWE hat angekündigt, die Gaspreise für seine knapp 600.000 Privat- und Gewerbekunden um durchschnittlich 25 Prozent zu erhöhen. RWE begründete den Schritt mit deutlich gestiegenen Beschaffungskosten." [1] Die Energiepreise steigen auf breiter Front, die happige Erhöhung des Gaspreises bei RWE ist nur ein Beispiel unter vielen. Der nächste Winter verspricht ziemlich teuer zu werden, zahlreiche Mieter blicken mit Sorge auf ihre ohnehin schon arg strapazierte Haushaltskasse. Frieren für den Klimaschutz ist zwar allen Unkenrufen zum Trotz nicht angesagt, laue Temperaturen wegen RWE & Co. dagegen schon. Ein mollig warmes Zuhause muss man sich erst einmal leisten können.

Alternativen, sprich billigere Konkurrenten, sind rar. Eine Recherche bei Verivox ergab für meinen Wohnort (Mannheim) gerade einmal 5 Anbieter, entsprechend gering ist die Preisspanne, mit meinen persönlichen Verbrauchsdaten (6.841 kWh/Jahr) vom preiswertesten zum teuersten Angebot lediglich 66,19 € Euro. Mein jetziger Tarif liegt ungefähr in der Mitte.

Noch ist der Energiemarkt faktisch weitgehend monopolisiert, eine dem Kunden entgegenkommende Wettbewerbssituation, wie etwa auf dem Telekommunikationsmarkt, gibt es bislang nur in Ansätzen. Deshalb sind die Verbraucher den Preisforderungen der Energieversorgungsunternehmen in der Regel hilflos ausgeliefert, was sich in den Gewinnen derselben widerspiegelt. Das EBITDA von RWE (earnings before interest, taxes, depreciation and amortization = Ertrag vor Zinsen, Steuern, Abschreibungen auf Sachanlagen und Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände) betrug im Geschäftsjahr 2007 beachtliche 7,9 Mrd. Euro. [2] Außerdem: Aufs Handy kann ich notfalls verzichten, auf Strom und Wärme hingegen nicht.

In diesem Zusammenhang muss man erwähnen, dass sich die Energieversorgung früher überwiegend in staatlichem Besitz befand und die Unternehmen die Aufgabe hatten, die Bevölkerung umfassend und möglichst günstig mit Energie zu versorgen. Gemeinwohl ging vor Eigennutz. Inzwischen, nachdem viele Energieversorger peu à peu privatisiert wurden, stehen andere Gesichtspunkte im Vordergrund: das Profitinteresse der Anteilseigner.

Bleiben wir bei RWE: Gegründet 1898 als Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerks Aktiengesellschaft, wurde das Unternehmen 1902 von den Ruhrindustriellen Hugo Stinnes und August Thyssen übernommen. 1905 bekamen Kommunen erstmals Beteiligungsrechte eingeräumt, stellten ab 1910 die Mehrheit im Aufsichtsrat und erhielten 1920 im Zuge einer Erhöhung des Aktienkapitals sogar die Kapitalmehrheit. Der Staat Preußen wurde 1925 durch den Erwerb des ehemaligen Stinnes-Aktienpakets mit einem Anteil von ca. 11,5 Prozent größter Einzelaktionär. Am 1. Oktober 2000 fusionierten die benachbarten Energie- und Entsorgungskonzerne RWE und VEW zur "neuen" RWE. [3] Die Vereinigten Elektrizitätswerke Westfalen AG (VEW) wurden 1906 auf Initiative verschiedener Land- und Stadtkreise in Westfalen gegründet, sie waren "ein regionales Energieversorgungsunternehmen für Strom und Gas (später auch Fernwärme und Wasser) mit ausschließlich kommunalen Trägern". [4] 1966 wurden im Rahmen einer Teilprivatisierung erstmals VEW-Aktien an private Investoren ausgegeben.

Heute, im Jahr 2008, sind die Kommunen über die RW Energie-Beteiligungsgesellschaft zwar nach wie vor größter Einzelaktionär bei der "neuen" RWE, halten aber bloß noch 15 Prozent der Anteile am gezeichneten Kapital. Die Capital Research and Management Company aus Los Angeles/USA hält 5 Prozent. 260.000 Aktionäre besitzen zusammen 562,4 Mio. Aktien, 64 Prozent davon sind "sonstige institutionelle Aktionäre", 14 Prozent Privataktionäre und 2 Prozent Belegschaftsaktionäre. [5]

Bei institutionellen Aktionären handelt sich "in der Regel um Investoren, die im Auftrag zahlreicher einzelner Kleinanleger mit großen Mengen von Wertpapieren handeln und die an der Geschäftsführung der Unternehmen, in die sie investieren, nicht unmittelbar beteiligt sind. So können z.B. Investmentfonds und Pensionsfonds als institutionelle Anleger angesehen werden." [6]

E.ON, ein weiterer deutscher Energieriese (EBITDA 2007: 12,45 Mrd. Euro), ging im Jahr 2000 aus einer Fusion der VEBA mit der VIAG hervor. Die VEBA, gegründet am am 8. März 1929, war ursprünglich ein preußischer bzw. deutscher Energie-Staatskonzern. "Die VIAG wurde am 7. März 1923 in Berlin als Dachgesellschaft für bisher direkt gehaltene, industrielle Beteiligungen des Deutschen Reiches gegründet." [7] Beide wurden später nach und nach privatisiert, die VEBA ab 1965 und die VIAG ab 1986. Mittlerweile befinden sich 81,76 Prozent der Kapitalanteile von E.ON im Streubesitz. [8] Von den vier großen Energieversorgern Deutschlands befinden sich lediglich EnBW (französischer Staat, Gebietskörperschaften und Kommunen des südlichen Baden-Württemberg) und Vattenfall (schwedischer Staat) noch mehrheitlich im Besitz der Allgemeinheit.

Die ehemaligen Staatskonzerne verfolgen also jetzt überwiegend private Interessen. Es erstaunt daher kaum, wenn sie ihre Preispolitik am Shareholder Value-Prinzip (Unternehmensführung im Sinne der Kapitalgeber) ausrichten. Auf der Strecke bleiben dabei jedoch die Bürger, die die Unternehmen einst mit ihren Steuergeldern aufgebaut haben. Und heute bekommen sie Probleme, die horrenden Energiepreise zu bezahlen. Frieren wegen RWE? Im nächsten Winter vielleicht noch nicht, aber in Zukunft ist das keineswegs ausgeschlossen.

Natürlich wären die Energiepreise bei unterbliebener Privatisierung ebenfalls gestiegen, dazu ist Deutschland viel zu sehr vom internationalen Energiemarkt abhängig, doch wahrscheinlich nicht so stark. Und warum sollten sich ausgerechnet private Kapitalanleger für die dringend notwendige Energiewende und eine sozialverträgliche Preisgestaltung einsetzen? Sie würden nur ihr investiertes Kapital und die daraus resultierende Rendite schmälern. Am Beispiel RWE sieht man, wohin der Privatisierungswahn führen kann. Fazit: Bei der Grundversorgung sind private Profitinteressen völlig fehl am Platze.

Bedauerlicherweise handeln die verbliebenen Staatskonzerne nicht anders und agieren auf dem lukrativen Energiemarkt wie Firmen in Privatbesitz. Das zeigt, wie weit sie sich bereits von den ehemals gemeinwohlorientierten Leitlinien entfernt haben. Kein Wunder, schließlich sind auch unserer Politiker immer weniger am Gemeinwohl interessiert und bedienen allzu oft Partikularinteressen. Nicht von ungefähr sind etliche abgehalfterte Politiker bei den Energieversorgungsunternehmen bzw. ihren Töchtern untergekommen und verdienen sich dort ein üppiges Zubrot. Ist das der Dank für geleistete Dienste?

Die Absicht, sämtliche Energieversorger wieder zu verstaatlichen, mag derzeit politisch vollkommen realitätsfremd erscheinen. Wenn die Bürger allerdings bald tatsächlich frieren sollten, könnte sich das Blatt schnell wenden.

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[1] Stern vom 14.07.2008
[2] RWE, Geschäftsbericht 2007, Seite 69, PDF-Datei mit 6,9 MB
[3] RWE-Chronik
[4] Wikipedia, Vereinigte Elektrizitätswerke Westfalen
[5] RWE-FACTBOOK 2008 FÜR PRIVATAKTIONÄRE, Stand: Mai 2008, Seite 23, PDF-Datei mit 396 kb
[6] Europäische Kommission, EU-Benutzerhandbuch zur neuen KMU-Definition, Seite 11, PDF-Datei mit 65
[7] Wikipedia
[8] comdirekt.de