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| Leserbriefe | Impressum 29. Juli 2008, von Michael Schöfer Das ist doch üblich Erinnern Sie sich noch an einen gewissen Hartmut Mehdorn? Das ist der, der im vorigen Jahr die 31-prozentige Tarifforderung seiner Lokführer als "irrwitzig" bezeichnete. Jawohl, der Bahn-Chef höchstpersönlich. Ich habe damals [1] darauf hingewiesen, dass die Gesamtbezüge des Vorstands der "Deutschen Bahn AG" seit 1999, als Mehdorn den Vorstandsvorsitz übernahm, von 3,679 Mio. Euro auf 20,143 Mio. Euro im Jahr 2006 gestiegen sind. Immerhin eine Steigerung um respektable 447 Prozent. [2] Die Mentalität, sich etwas zu gönnen, das man anderen vorenthält, ist weitverbreitet. Am Propagieren von Doppelstandards hat sich bis heute nichts geändert, lediglich die Protagonisten haben gewechselt. Die Lufthansa hat Verdi 6,7 Prozent mit einer Laufzeit von 21 Monaten sowie eine Einmalzahlung von einem Prozent des individuellen Jahresgehalts angeboten. [3] Die Dienstleistungsgewerkschaft fordert indes für die rund 50.000 Beschäftigten des Kabinen- und Bodenpersonals eine Einkommenserhöhung von 9,8 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Noch liegen Arbeitgeber und Arbeitnehmer weit auseinander, weshalb bei der Lufthansa seit Anfang der Woche gestreikt wird. Auch die Piloten der Lufthansa-Töchter CityLine und Eurowings streiken seit kurzem. "Lufthansa-Sprecher Klaus Walther sagte auf N24: 'Dieser Streik ist völlig unverständlich und aus unserer Sicht unangemessen und überzogen.' Es lägen Angebote vor. Nach diesen würden die rund 740 Piloten von Cityline ab 1. Juli 3,0 Prozent und ab 1. Januar 2009 weitere 2,5 Prozent mehr Lohn erhalten. Zudem sei geplant, in den 18 Monaten Laufzeit der Vereinbarung eine Einmalzahlung von 5000 Euro für Co-Piloten und von 7000 Euro für Flugkapitäne zu zahlen. Das Cockpitpersonal von Eurowings würde [Lufthansa-Sprecher Michael] Lamberty zufolge rückwirkend am 1. Januar 2008 3,5 Prozent mehr Lohn und ab 1. Januar 2009 nochmals 3,0 Prozent mehr erhalten. Hinzu käme eine neue Stundenausgleichsregel sowie eine Einmalzahlung in diesem Jahr in Höhe von 15 Prozent eines Monatsgehalts. 'Aus uns völlig unverständlichen Gründen bezeichnet die Gewerkschaft dieses Angebot als nicht verhandlungsfähig', kritisierte Walther." [4] Und wie bei jedem Streik geben außerdem viele Politiker ihren Senf zur Tarifauseinandersetzung dazu und beklagen, dass der Arbeitskampf natürlich zur Unzeit käme. Wann ein Streik überhaupt einmal genehm ist, sagen sie dagegen nicht. Man darf unterstellen, nie. Oder bloß dann, wenn er garantiert keine Auswirkungen hat. Wie dem auch sei, die Selbstbedienungsmentalität der Manager wird bei alledem meist unterschlagen. Analog zur Bahn hat sich der Vorstand der Kranich-Fluglinie zuvor nämlich ebenfalls ordentlich bedient, während er den Beschäftigen gerade mal ein bisschen mehr als den Inflationsausgleich gönnt. Wie aus den Geschäftsberichten hervorgeht, ist die tatsächliche Gesamtvergütung des Lufthansa-Vorstands zwischen 2006 und 2007 um sage und schreibe 38,1 Prozent gestiegen, zwischen 2005 und 2007 waren es sogar 62,5 Prozent. [5]
Ist es angesichts dessen wirklich "völlig unverständlich", wenn die Beschäftigten 9,8 Prozent fordern? Wohl kaum. Und ist die Forderung "unangemessen und überzogen"? Nein, im Vergleich zum Management ist sie vielmehr geradezu bescheiden. Das sieht man in den Vorstandsetagen naturgemäß anders. Irgendwie nachvollziehbar, denn wenn man anderen ständig Wasser predigt, aber selbst permanent Wein säuft, tritt mit der Zeit zwangsläufig ein Gewöhnungseffekt ein. Andere sagen: Realitätsverlust. "Das ist doch üblich", bemerkte ein Kollege von mir lapidar zur offenkundigen Selbstbedienungsmentalität. Da hat er recht, üblich ist es in der Tat, aber ich kann mich trotzdem nicht daran gewöhnen. Nachtrag (01.08.2008): Lufthansa und die Verdi haben sich auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Danach werden die Gehälter ab dem 1. Juli 2008 um 5,1 Prozent erhöht. Ab dem 1. Juli 2009 werden die Gehälter um weitere 2,3 Prozent angehoben. Hinzu kommt eine Einmalzahlung einschließlich einer ergebnisabhängigen Komponente je nach Geschäftsfeld von bis zu 2,4 Prozent einer Jahresgrundvergütung. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 21 Monaten, umgerechnet auf eine Laufzeit von 12 Monaten steigt die Vergütung somit um 4,2 Prozent. [6] ---------- [1] siehe Lokführerstreik - ein Ärgernis? vom 07.08.2007 [2] Geschäftsbericht 1999, Seite 104, PDF-Datei mit 1,65 MB und Geschäftsbericht 2006, Teil 7, Seite 193, PDF-Datei mit 627 kb [3] Verdi [4] PR-inside vom 23.07.2008 [5] Lufthansa, Geschäftsbericht 2006, Seite 166, PDF-Datei mit 3,1 MB und Geschäftsbericht 2007, Seite 178, PDF-Datei mit 3,2 MB [6] Lufthansa |