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01. August 2008, von Michael Schöfer
Zum Parteiausschluss von Wolfgang Clement


Ich war schon von jeher dagegen, den innerparteilichen Meinungskampf mit Hilfe von Ausschlussverfahren durchzuführen. Als es etwa Mitte der achtziger Jahre hitzige Diskussionen über die sandinistische Revolution in Nicaragua gab, sollte der Rechtswissenschaftler Martin Kriele aus der SPD ausgeschlossen werden, weil er die nicaraguanische Linksregierung unter Daniel Ortega heftig kritisierte. Und die SPD gleich mit. "Den Bewohnern Nicaraguas geht es heute schlechter als zur Zeit des Diktators Somoza. Menschen hungern, werden gefoltert, ermordet. Schuld daran seien die heute dort regierenden Sandinisten und SPD-Chef Willy Brandt, der sie unterstütze. Rettung für Nicaragua könne nur von den Amerikanern und den von ihnen unterstützten 'Contras' kommen; sie kämpfen gewaltfrei. Morde, die man ihnen anlastet, wurden in Wahrheit von Söldnern der Regierung begangen, um damit gegen die Rebellen Propaganda zu machen. Daß zu den Führern der Rebellen ehemalige hohe Gefolgsleute Somozas gehören, schade nicht. Denn sie haben dort keinen Einfluß. Außerdem ging es Nicaragua unter den Somozas ja besser als heute", umriss damals "Die Zeit" die Position Krieles. [1]

Als junger Sozialdemokrat schrieb ich dazu: "Die Kritik von Martin Kriele an den Verhältnissen in Nicaragua (...) halte ich für unsachlich und wird m.E. der Wirklichkeit in dem mittelamerikanischen Land nicht gerecht. Als Sozialdemokrat muß ich jedoch ein Parteiordnungsverfahren gegen Kriele aufs schärfste verurteilen. In der SPD sollten Argumente und nicht Parteiordnungsverfahren über die Richtung der Sozialdemokratie entscheiden, auch wenn ein Parteimitglied den Parteivorsitzenden und die SPD heftig attackiert. Jedes Parteimitglied hat ein Recht auch auf öffentlich geäußerte Kritik, das ist für mich ein unverzichtbarer Grundsatz einer demokratischen Partei. Wo kommen wir denn hin, wenn die jeweilige Mehrheitsmeinung nicht mehr zur Diskussion gestellt werden darf und Kritik als parteischädigend empfunden wird? Hätte man also auch auf die Kritik am NATO-Doppelbeschluß verzichten sollen? Nein, wer für eine lebendige innerparteiliche Demokratie eintritt, muß sich gegen ein Parteiordnungsverfahren aussprechen, selbst wenn er nicht die Meinung von Martin Kriele teilen kann." [2] Als die SPD Karl-Heinz Hansen am 13. Dezember 1981 wegen seiner Kritik an der Regierungspolitik ausschloss, war ich ebenfalls dagegen.

Nun standen sich die Positionen von Karl-Heinz Hansen und Martin Kriele diametral gegenüber, woran man sieht, dass es mir seinerzeit ums Prinzip ging. Daran hat sich bis heute nichts geändert, die uneingeschränkte Meinungsfreiheit besitzt für mich einen hohen Stellenwert, sie ist nämlich in meinen Augen für das Funktionieren der Demokratie absolut unverzichtbar. Um es mit George Orwell zu sagen: "Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen." Deshalb gilt für mich der im Allgemeinen Jean-Jacques Rousseau zugeschriebene Satz: "Ich bin absolut nicht ihrer Meinung, aber ich werde alles tun, damit sie sie vertreten können." (Manche Quellen behaupten, das Zitat stamme von Voltaire.) Dieses Prinzip gilt natürlich auch in Bezug auf Wolfgang Clement, obgleich ich den ehemaligen Ministerpräsidenten und Bundesminister, wie ich aufrichtig bekenne, nicht ausstehen kann. Zweifellos hat er der hessischen SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti während ihres Landtagswahlkampfes schwer geschadet. Das allein wäre sicherlich kein Anlass gewesen, ihn mit einem Parteiausschlussverfahren zu überziehen, vielmehr brachte schon vorher fast jede Äußerung Clements das Blut der Genossen in Wallung. Der Aufruf, Andrea Ypsilanti nicht zu wählen, war lediglich der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Doch die Reaktion der SPD kommt viel zu spät und geht zudem in die falsche Richtung. Die Partei hätte spätestens bei der Proklamation der Agenda 2010 durch den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder reagieren müssen, denn sein Vorhaben widersprach zu diesem Zeitpunkt eindeutig der Beschlusslage der Partei. Bis auf wenige Ausnahmen haben die Genossen jedoch gehorsam gekuscht und Schröders unsoziales Kuckucksei, das er ihnen ins Nest legte, nachträglich gebilligt. Und als der Kuckuck, der auf den hässlichen Namen "Hartz IV" hörte, groß geworden war, merkten sie, dass er mittlerweile zahlreiche Genossen aus dem sozialdemokratischen Nest geworfen hatte. Im Vergraulen ganzer Generationen hat die Sozialdemokratie sowieso von jeher enorm viel Geschick bewiesen, beispielsweise hätte es ohne ihre Betonkopfpolitik unter Helmut Schmidt "Die Grünen" vermutlich nie gegeben. Und an Gerhard Schröders Busen labte sich "Die Linke". Inzwischen bekommt die SPD große Probleme, ihren Status als Volkspartei zu erhalten, der starke Mitglieder- und Wählerschwund spricht im Grunde dagegen. Auch ich bin längst kein Mitglied mehr.

Aber so leicht, mit dem Parteiausschluss von Wolfgang Clement, kann sich die SPD aus dem Tal der Tränen, in dem sie sich befindet, nicht befreien. Das ginge m.E. nur mit einer substantiellen Abkehr von der Politik der "Neuen Mitte". Diese Richtung bloß in Nuancen zu korrigieren, aber vom Grundsatz her beizubehalten, wie es derzeit geschieht, reicht hierfür keinesfalls aus. Ob ihr dies gelingt, darf allerdings bezweifelt werden. Den Kurswechsel zu unterlassen und gleichzeitig Wolfgang Clement hinauszuwerfen, macht alles nur noch schlimmer. Falls eine Richtungsänderung überhaupt innerparteilich durchsetzbar wäre, woran ich zweifle, hätte man sie, im Vertrauen darauf, dass Clement und Konsorten von selbst die Partei verlassen, couragiert durchboxen sollen. Einführung des gesetzlichen Mindestlohns? Bürgerversicherung anstatt Gesundheitsfonds? Gar der Sturz von Angela Merkel? Wenigstens potenziell gibt es dafür im Bundestag eine Mehrheit. Wie gesagt: potenziell. Doch so wird sich die SPD eben weiter, mehr schlecht als recht, durchlavieren. Die neuesten Umfragen, noch vor der Bekanntgabe des beabsichtigten Ausschlusses Clements durchgeführt, geben ihr zwischen 21 und 27 Prozent. Ich bin gespannt, wie sich das Ganze weiterentwickelt.

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[1] Die Zeit vom 04.04.1986
[2] Leserbrief in der Frankfurter Rundschau vom 22.01.1986