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15. August 2008, von Michael Schöfer
Der Zweifel bleibt


Doping ist ein Krebsgeschwür, das den gesamten Sport befallen hat. Und nicht allein den Radsport (Tour de Farce). Der spektakulärste Dopingfall der Sportgeschichte war wohl der von Ben Johnson. 1988 gewann der kanadische Leichtathlet bei den Olympischen Spielen das 100 Meter-Finale in der - für damalige Verhältnisse - Fabelweltrekordzeit von 9,79 Sekunden. Leider hatten dabei ein paar Steroide nachgeholfen. Trotz intensiver Bemühungen wird der Sport dieses Krebsgeschwür aller Voraussicht nach nie wieder loswerden, selbst absolut saubere Sportler geraten unwillkürlich in Verdacht - jedenfalls sofern sie herausragende Leistungen bringen. Das ist auch bei den Olympischen Spielen in Peking nicht anders, die ganze Welt wundert sich nämlich über die verblüffende Leistungsexplosion der Schwimmer.

Bei der Olympiade purzeln die Weltrekorde praktisch im Stundentakt: "18 Bestzeiten wurden bisher bei den Olympischen Spielen 2008 allein im Schwimmen geknackt - in Athen vor vier Jahren war es nur ein einziger. Bei der 4x100-Meter-Freistil-Staffel der Männer in Peking lagen fünf der acht beteiligten Mannschaften unter dem bisherigen Rekord. Das französische Quartett schwamm europäischen Rekord, der aber kaum Beachtung fand. Denn, wie sollte es anders sein, die Staffel um Michael Phelps dominierte das Rennen. Um satte 3,99 Sekunden unterboten sie die bisherige Bestzeit." [1]

Ob es tatsächlich am neuen Ganzkörper-Schwimmanzug liegt? Oder etwa an den verbesserten Trainingsmethoden? Fragen bleiben. Und selbstverständlich ebenso der Verdacht, hier werde mit Dopingmitteln gearbeitet. Vielleicht nicht ohne Grund. Ganzkörperanzüge gibt es schon seit dem Jahr 2000, außerdem haben Schwimmer früher sicherlich genauso intensiv trainiert. Die Siegeszeiten der Olympiasieger zwischen 1988 und 2004 liegen denn auch nicht einmal eine halbe Sekunde auseinander. Ein halbe Sekunde in 16 Jahren! Zwischen den Spielen von Athen und Peking ist die Differenz jedoch urplötzlich um fast eine Sekunde gewachsen. Eine Sekunde in lediglich vier Jahren!

100 m Freistil-Olympiasieger [2]
Jahr /Ort Sieger Zeit
1988 Seoul Matt Biondi 48,63 s
1992 Barcelona Alexander Popow 49,02 s
1996 Atlanta Alexander Popow 48,74 s
2000 Sydney Pieter van den Hoogenband 48,30 s
2004 Athen Pieter van den Hoogenband 48,17 s
2008 Peking Alain Bernard 47,21 s


Das Gleiche gilt in Bezug auf die Weltrekordzeiten. Matt Biondi schwamm seinen Weltrekord vor zwanzig Jahren in 48,42 Sekunden. Der Weltrekord, den Pieter van den Hoogenband im Jahr 2000 aufstellte (47,84 s), das waren ganze sechs Zehntel weniger, hielt sogar bis zum März 2008. Sechs Zehntel Unterschied in beinahe zwanzig Jahren! Und diesen Langzeitrekord hat ausgerechnet der 100 m Freistil-Olympiasieger von Peking, Alain Bernard, gebrochen (in 47,50 s). Doch die persönliche Bestzeit von Bernard, der in Peking erneut einen Weltrekord aufstellte (47,20 s), lag 2006 noch bei mageren 49,22 Sekunden, 2007 waren es bloß 48,12 Sekunden gewesen. Mit Letzterer wäre er im Finale von Peking gerade mal auf Platz 7 gelandet.

Ähnlich fulminant die Entwicklung beim aktuellen 100 m Freistil-Weltrekordhalter und Silbermedaillengewinner Eamon Sullivan. Seine persönliche Bestzeit lag 2006 bei 48,97 Sekunden, 2007 waren es 48,47 Sekunden. [3] Vermutlich hätte das nicht einmal für den Einzug ins Olympiafinale gereicht. Und nun im Halbfinale der Weltrekord in schier unglaublichen 47,05 Sekunden.

100 m Freistil-Weltrekorde [4]
Sportler Zeit Datum Ort
Matt Biondi 48,42 s 10. August 1988 Austin
Alexander Popow 48,21 s 18. Juni 1994 Monte Carlo
Michael Klim 48,18 s 16. September 2000 Sydney
Pieter v d Hoogenband 47,84 s 19. September 2000 Sydney
Alain Bernard 47,60 s 21. März 2008 Eindhoven
Alain Bernard 47,50 s 22. März 2008 Eindhoven
Eamon Sullivan 47,24 s 11. August 2008 Peking
Alain Bernard 47,20 s 13. August 2008 Peking
Eamon Sullivan 47,05 s 13. August 2008 Peking


Beide haben damit ihre persönliche Bestzeit innerhalb von zwei Jahren um rund zwei Sekunden verbessert: Bernard von 49,22 auf 47,20 und Sullivan von 48,97 auf 47,05. Kein Wunder, wenn sich der erstaunte Zuschauer fragt, ob da wirklich alles mit rechten Dingen zugeht, denn Sekundenunterschiede sind im Schwimmsport bekanntlich gleichbedeutend mit Lichtjahren. Von der sagenhaften Regenerationsfähigkeit des Ausnahmeschwimmers Michael Phelps, zwei Weltrekorde (von bislang insgesamt sechs) innerhalb einer Stunde, ganz zu schweigen.

Wie gesagt, man kann ehrlichen Sportlern furchtbar Unrecht tun, indem man sie insgeheim verdächtigt. Aber es könnte sich in ein paar Jahren, wenn bessere Analysemethoden zur Verfügung stehen, durchaus herausstellen, dass die ungeheure Leistungsexplosion doch auf die Verwendung von illegalen Substanzen zurückzuführen ist. Der Zweifel bleibt. Genau das verleitet einem mittlerweile den Spaß am Spitzensport im Allgemeinen und den Olympischen Spielen im Besonderen. Und warten wir mal ab, die Leichtathletikwettbewerbe haben schließlich gerade erst begonnen, da kann es noch etliche Überraschungen geben.

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[1] Focus vom 15.08.2008
[2] Wikipedia, Liste der Olympiasieger im Schwimmen/Medaillengewinner und Olympische Sommerspiele 2008/Schwimmen
[3] swimrankings.net
[4] Wikipedia, Weltrekorde der Männer über 100 m Freistil (50 m Bahn)