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08. September 2008, von Michael Schöfer
Alter Wein in alten Schläuchen


Ohne den von George W. Bush beabsichtigten (und am Ende auch durchgeführten) Krieg gegen den Irak hätten die Sozialdemokraten bereits im September 2002 die Bundestagswahl deutlich verloren. Der ungeliebte US-Präsident hat Gerhard Schröder gerade noch einmal gerettet. Ungewollt, wie man unterstellen darf, denn das Verhältnis zwischen den Regierungschefs war bekanntlich alles, bloß keine innige Männerfreundschaft. Es galt vielmehr als zerrüttet. Für den knappen Sieg von Rot-Grün war neben dem Wahrheitsfanatiker im Weißen Haus insbesondere die extrem unsoziale Ausrichtung der Union verantwortlich. Stichwort: Der Professor aus Heidelberg (Paul Kirchhof). Es blieb der letzte Triumph des "Kanzlers der Bosse", danach ging es rasend schnell bergab.

Von insgesamt 26 Landtagswahlen, die die SPD in der gesamten Ära Schröder zu bestehen hatte, gewann sie bei lediglich acht Wahlgängen Prozentpunkte hinzu, bei 18 erlitt sie jedoch zum Teil herbe Verluste. Zwischen dem 2. Februar 2003, der ersten Landtagswahl nach dem überraschenden Sieg bei der Bundestagswahl 2002, und dem 22. Mai 2005, der historischen Landtagswahl in NRW, die Anlass zur vorgezogenen Bundestagswahl 2005 gab, haben die Sozialdemokraten elfmal in Folge Stimmenanteile verloren. [1] Nicht zuletzt Resultat der weithin auf Ablehnung stoßenden Agenda 2010. Und genau dahin will die SPD zurück? Ausgerechnet zur gescheiterten Agenda-Politik? Unfassbar.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist also der nächste Kanzlerkandidat. Und der 68-jährige Franz Müntefering wird Nachfolger des zurückgetretenen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck. Wahlkampfparole: Zurück zur Zukunft. Müntefering bekleidete dieses Amt schon einmal (zwischen dem 21. März 2004 und dem 15. November 2005), bis er seiner Partei - ähnlich wie weiland der viel geschmähte Oskar Lafontaine - den Parteivorsitz völlig überraschend vor die Füße warf. Ob man Kurt Beck wirklich aus dem Amt herausgemobbt hat, ist vollkommen unerheblich, Intrigen gibt es schließlich in allen Parteien. Beim Wähler ist der Pfälzer jedenfalls mit Karacho durchgefallen, mit ihm wäre kein Blumentopf mehr zu gewinnen gewesen, dafür tragen offenkundig nicht nur hinterhältige Intriganten bzw. böswillige Journalisten die Verantwortung.

Steinmeier ist beliebt und Müntefering kann kämpfen, das ist es dann aber auch schon. Wie wollen die übrig gebliebenen Architekten der Agenda 2010 den sozialdemokratischen Karren aus dem Dreck ziehen? Sie sind ja schuld daran, dass er überhaupt so tief drinsteckt. Glaubwürdiger Aufbruch sieht gewiss anders aus, die neue Konstellation ist eher Ausdruck großer Verzweiflung. Kurt Beck hat angeblich den absolut uncharismatischen Olaf Scholz als Nachfolger vorgeschlagen. Nichts dokumentiert besser, wie personell ausgeblutet die SPD mittlerweile ist. Zwei Parteien hat sie mit ihrer Ignoranz stark gemacht: die Grünen und die Linke. Die Grünen hätte es ohne die Betonkopf- und Nachrüstungspolitik Helmut Schmidts wahrscheinlich gar nicht gegeben. Bei der Linken sind dank Gerhard Schröder etliche Gewerkschafter Mitglied, die vor der Erfindung von Hartz IV noch bei der SPD zuhause waren.

Wen wollen Steinmeier und Müntefering zurückgewinnen? Die vom sozialen Abstieg bedrohte Mittelschicht? Die zahlreichen Modernisierungsverlierer? Die unter Reallohnverlusten leidenden Arbeitnehmer? Sie alle haben von der SPD, seit 1998 in Berlin an der Regierung beteiligt, die Nase gestrichen voll. Mit welcher Strategie sie das erreichen wollen, ist schleierhaft. Sich im Hinblick auf Schwarz-Gelb abermals als das kleinere Übel präsentieren? Ihren kapitalen Fehler vom letzten Mal wird Angela Merkel kaum wiederholen. Soziale Rhetorik? Ob die Wähler darauf hereinfallen, ist mehr als fraglich. "Klare Kante" und "Heuschrecke" können sicherlich einiges übertünchen, an der mageren Substanz der realen Politik ändern Kampfbegriffe hingegen wenig.

Dennoch sollte man das neue Spitzenduo nicht unterschätzen, die Partei wird das Ganze zunächst als Befreiungsschlag verkaufen, vorübergehend werden die Umfragewerte vielleicht sogar besser. Aber gerade weil Müntefering und Steinmeier (von dem die meisten gar nicht wissen, wofür er außer in Bezug auf die Agenda 2010 innenpolitisch eigentlich steht) keine andere Politik repräsentieren, kann das Vorhaben nur schief gehen. Analog zu John McCain, der in Washington seit 26 Jahren zum politischen Establishment gehört, rufen die beiden jetzt bestimmt den Wandel aus. Und die sozialdemokratischen Parteisoldaten werden gehorsam die Reihen schließen. So war es bislang immer, die Sozis sind nämlich Weltmeister im Zähneknirschen und im Fäuste in der Hosentasche ballen.

Doch ob die Partei damit tatsächlich Erfolg haben wird, ist anzuzweifeln. Bürgerliche wählen gleich das Original (Union, FDP), viele sozial orientierte Menschen die Grünen oder die Linke. Die Glaubwürdigkeit der SPD ist längst dahin. Nicht zu vergessen: Kurz vor der Bundestagswahl (27.09.2009) wird im Saarland am 30. August der Landtag gewählt. Und dort führt momentan in Umfragen der frühere Ministerpräsident Oskar Lafontaine (Die Linke) mit 24 zu 23 Prozent vor seinem ehemaligen politischen Ziehsohn Heiko Maas (SPD). Bis dahin explodieren ferner die Lohnnebenkosten (Stichwort: Gesundheitsfonds). Mit anderen Worten: Die Reallöhne sinken erneut. Kommt, wie allseits prognostiziert, der Abschwung hinzu, steigt auch die Arbeitslosenquote. Spätestens dann kracht die verlogene Argumentation, der jetzige Aufschwung sei nur der Agenda-Politik Gerhard Schröders zu verdanken, wie ein Kartenhaus zusammen. Ungünstiger kommt es selten.

"Nur wer arbeitet, soll auch essen." Von wem stammt dieser menschenverachtende Satz? Von Friedrich Merz, dem leitkulturbewussten Erfinder der Bierdeckelsteuer? Von Guido Westerwelle, dem nervtötenden Interessenvertreter der Besserverdienenden? Etwa von Hans-Werner Sinn, dem marktradikalen Wirtschaftsideologen? Oder gar vom ständig provozierenden Wolfgang Clement? Nein, er stammt von Franz Müntefering. [2] Und mit dem will die SPD Wahlen gewinnen? Viel Spaß.

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[1] election.de, Landtagswahlen der Ära Schröder
[2] Die Zeit vom 10.05.2006