Home | Archiv | Leserbriefe | Impressum



18. September 2008, von Michael Schöfer
Das Ende des Neoliberalismus?


Die Finanzmärkte sind dem Zusammenbruch näher als je zuvor seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts. Werden die marktradikalen Ritter des Neoliberalismus dadurch endlich bekehrt oder geht es nach dem Durchschreiten der Talsohle unbekümmert weiter wie bisher? Heute verspricht angesichts der aktuellen Notlage sogar der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain hoch und heilig, die Finanzmärkte künftig einer stärkeren Regulierung zu unterziehen. Ob er sich, falls gewählt, im nächsten Jahr daran erinnert? Es bleiben Zweifel, denn bislang haben die Ritter des Neoliberalismus nach jeder Krise erneut frech ihren Schild emporgehoben. "Seht her, wir leben noch!" Ist es damit nun endgültig vorbei oder nimmt der Kasinokapitalismus bloß eine kurze Verschnaufpause? Abwarten, wenn eines den Märkten nicht immanent ist, dann ist es die Vernunft. Neoliberale präsentieren sich gerne so, als hätten sie die Vernunft gepachtet, die Wahrheit sieht allerdings ganz anders aus: spekulativ aufgeblasene Märkte strotzen nur so vor irrationalem Verhalten (enorme Gewinne locken, die Risiken werden ausgeblendet). Spätestens jetzt müsste das selbst dem Unbedarftesten auffallen.

Viele werden sich vermutlich noch gut daran erinnern, wie man Kritiker, die in den vergangenen Jahren vehement vor dem Kollaps des internationalen Finanzsystems gewarnt haben, behandelt hat. Von smarten Bankern und abgehobenen Politikern wurden sie kurzerhand entweder zu ahnungslosen Vollidioten oder verblendeten Ideologen erklärt. Die Tobinsteuer, die die kurzfristige Devisenspekulation unterbinden sollte? Angeblich Teufelszeug und ohnehin kaum realisierbar. Eigenkapitalrendite? Wer weniger als 25 Prozent anstrebte, wurde bestenfalls milde belächelt. Doch nun stellt sich wie bei Dürrenmatts "Die Physiker" heraus, dass die Irren andere sind, als man bis dato gemeinhin annahm. Die größenwahnsinnigen Stümper sitzen nämlich in den Glaspalästen und drohen bei ihrem harten Fall zurück auf den Boden der Realität große Teile der Wirtschaft mit in den Abgrund zu reißen: die Ersparnisse des "kleinen Mannes", die Rücklagen der zur privaten Altersvorsorge genötigten künftigen Rentnergenerationen, die Arbeitsplätze der abhängig Beschäftigten und nicht zuletzt das sowieso klamme Steuersäckel des Staates. Vielen Dank, ihr Ackermänner. Vielen Dank, ihr Parteifunktionäre.

Sorry, ich bin äußerst skeptisch. Die Krise ist für eine substanzielle Änderung des Verhaltens nicht tief genug. Bis aus der Weltwirtschaftskrise, die dem "Schwarzen Freitag" vom 25. Oktober 1929 folgte, die richtigen Konsequenzen gezogen wurden, gingen etliche, von tiefgreifenden sozialen Verwerfungen geprägte Jahre ins Land. An diesem Punkt sind wir noch nicht angelangt. Die Betonung liegt hierbei auf "noch". Die Protagonisten respektive die hinter ihnen stehenden Interessen sind schließlich nach wie vor die gleichen, von daher ist also kein spürbarer Richtungswechsel zu erwarten. Wer Sümpfe trocken legen will, sollte damit nicht die Frösche beauftragen. Solange es einigermaßen gut geht, wursteln sie weiter wie gewohnt. Vorerst wird man sich daher vermutlich mit etwas Kosmetik fürs dumme Wahlvolk begnügen - bis zur nächsten Erschütterung. Es ist ihnen im Grunde nicht zu verdenken. Warten Sie bloß mal die nächsten Wahlen ab, dann wissen Sie, warum ich das sage. Wie groß ist wohl der Veränderungswille bei jemand, der immer wiedergewählt wird?