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15. November 2008, von Michael Schöfer
Billiger Atomstrom?


Kennen Sie meinen (Vor)namensvetter Michael Glos (CSU)? Nein? Sollten Sie aber, denn der gute Mann ist immerhin Bundeswirtschaftsminister. Aber der Herr Minister wirkt ein bisschen bräsig und hat daher enorme Probleme mit seinem Image. Michael Glos ist der Bevölkerung zumindest als überzeugter Befürworter der Atomkraft bekannt und stichelt immer wieder gegen den von Rot-Grün mit der Atomindustrie vereinbarten Atomausstiegsbeschluss. So hat er etwa im August dieses Jahres angesichts rasant steigender Strompreise den Vorschlag gemacht, man solle die derzeit auf 32 Jahre begrenzte Restlaufzeit der Kernkraftwerke auf mindestens 40 Jahre erhöhen, was natürlich den Atomausstieg konterkarieren würde. Clever, nicht wahr?

Eine von Glos eingesetzte "Expertenkommission" hatte Eckpunkte für ein "Kernenergie-Nutzungsgesetz" erarbeitet. Ergebnis: Die Verbraucher müssten zur kurzfristigen Entlastung von weiteren dramatisch steigenden Energiepreisen mit "Atomstrom-Tarifen" beglückt werden. Das Angebot von angeblich "billigerem Strom, der auf der Grundlage von preiswerter Atomenergie kalkuliert wird", habe nämlich eine "soziale Komponente", behaupteten die Experten. [1] Außerdem werde der "Kostenvorteil der Kernenergie" dadurch breiten Bevölkerungsschichten bewusst, was die Kernenergiediskussion "versachliche". Der Gedankengang: Die zusätzlichen Gewinne, die die Kernkraftwerksbetreiber durch die Verlängerung bei den Laufzeiten der längst abgeschriebenen Atomkraftwerke erzielen, sollten durch eine "freiwillige Selbstverpflichtung" zur Hälfte an die Verbraucher zurückfließen.

Nur schade, dass die Grundaussage der "Experten" (Atomstrom ist billig) ausgerechnet durch die Atomindustrie selbst ad absurdum geführt wird. So hat beispielsweise der Energieversorger RWE neuerdings unter dem irreführenden Namen "RWE ProKlima Strom 2011" ein Strompaket im Angebot, das "nahezu CO2-frei" sei. Grund: "RWE ProKlima Strom 2011 stammt aus regenerativen Quellen und Kernkraft. Nach Abzug der Strommengen aus dem Erneuerbare-Energien-Gesetz setzt sich die verbleibende Menge zu 68% aus Kernkraft und zu 32% aus Wasserkraft zusammen." Vorteil: Vom der "Expertenkommission" zufolge "billigen Atomstrom" profitiert man als RWE-Kunde bis zum 31.12.2011, so lange garantiert der Energieriese Preisstabilität. "3 Jahre gutes Gefühl", wirbt RWE.

Derzeit beträgt der durchschnittliche Atomstromanteil in Deutschland 27 Prozent, beim "RWE ProKlima Strom 2011"-Tarif wird also überproportional viel (68 Prozent) Atomstrom eingesetzt. Würde die These der "Expertenkommission" wirklich stimmen, müsste der von RWE angebotene Strom tatsächlich billiger sein als herkömmliche Angebote. Doch Pustekuchen, das vermeintliche Schnäppchen entpuppt sich als vergleichsweise teuer. Zusätzlich zum Grundpreis pro Jahr und Zähler in Höhe von 92,82 Euro verlangt RWE 21,90 Cent pro kWh, da ist sogar das hauseigene Naturstrom-Angebot (100 Prozent Wasserkraft) mit 20,46 ct/kWh günstiger. Mein Stromversorger, Naturstrom, der den Strom aus zu 100 Prozent erneuerbaren Energiequellen bezieht (58 Prozent Wasser, 41,5 Prozent Wind, 0,5 Prozent Sonne), verlangt neben dem jährlichen Grundpreis in Höhe von 95,40 Euro pro Kilowattstunde bloß 19,90 Cent. Mit anderen Worten: Mein zu 100 Prozent CO2-freier Strom ist, was den Verbrauchspreis angeht, um 9,1 Prozent besser als das Kernkraft-Angebot von RWE (beim Grundpreis zahle ich dafür lediglich 2,58 Euro mehr).

Ich bin ein sparsamer Kleinverbraucher und hatte 2007 einen Verbrauch von knapp 500 kWh. Bei Naturstrom zahle ich dafür inklusive Grundpreis pro Jahr insgesamt 194,90 Euro, für das "billige" Atomstrom-Angebot von RWE müsste ich dagegen 202,32 Euro entrichten. Das wären 3,8 Prozent mehr. Beim Durchschnittsverbrauch eines Vier-Personen-Haushalts (4.000 kWh/Jahr) steigt der Preis bei Naturstrom auf 891,40 Euro, bei RWE sind es allerdings 968,82 Euro, das sind 77,42 Euro oder 8,7 Prozent mehr. Fazit: Das Märchen vom angeblich billigen Atomstrom, mit dem man die Verbraucher massiv entlasten könnte, löst sich in Luft auf. Reine Zweckpropaganda, selbst der scheinbar teure Ökostrom ist wesentlich günstiger.

An diesem Beispiel merkt man: Wir werden von der Politik und den Energieversorgern nur veräppelt. (Beinahe hätte ich "verarscht" geschrieben, aber ich weiß ja, was sich gehört.) Früher waren die Energieversorgungsunternehmen fast ausschließlich in der Hand des Staates [2] und sollten die Bevölkerung im Rahmen der Daseinsvorsorge mit Energie versorgen. Durch die Privatisierungsorgie wurden daraus jedoch ganz normale Unternehmen, die selbstverständlich - bekanntermaßen leben wir im Kapitalismus - Profite erwirtschaften wollen. Und Letztere sind ihnen halt wichtiger als die preisgünstige Versorgung der Bürger. 2007 erwirtschaftete RWE einen Betriebsgewinn von 6,5 Mrd. Euro. [3] Folglich werden die Energieversorger einen Teufel tun und den Strom, der in betriebswirtschaftlich längst abgeschriebenen Kernkraftwerken produziert wird, kostengünstig an die Verbraucher weitergeben. Wenigstens nicht freiwillig.

Meiner Meinung nach ist weder die Atomkraft (wegen den damit verbundenen Risiken) noch die Aufrechterhaltung der Privatisierung der Energieversorger (wegen der anders gearteten Interessenlage) akzeptabel. Kurzum, die Atomkraft muss wie geplant auslaufen und die Energieversorgung gehört zurück in Hände der Allgemeinheit.

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[1] Der Tagesspiegel vom 05.08.2008
[2] siehe Frieren wegen RWE vom 18.07.2008
[3] Netzeitung vom 22.02.2008