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06. Januar 2009, von Michael Schöfer
Es wird Zeit, sich mit der Hamas zu beschäftigen


Israel wird wegen der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik nach dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 im Allgemeinen und wegen des jüngsten Militäreinsatzes im Gazastreifen im Besonderen heftig kritisiert. In meinen Augen zumindest teilweise zu Recht. [1] Doch es ist meiner Auffassung nach auch an der Zeit, sich einmal näher mit der Hamas zu beschäftigen.

Wenn die NPD hierzulande offen die Ziele der Hamas vertreten würde, wäre sie längst verboten. Wenn die NPD wie die Hamas handeln würde, erst recht. Das Bundesverfassungsgericht würde diesbezüglich nicht einmal mit der Wimper zucken. Die Ideologie der Hamas speist sich aus einem kruden Antisemitismus, der gerade uns Deutschen wohlbekannt ist. Kurzum (und obgleich historische Vergleiche immer hinken), die NSDAP hätte es nicht besser formulieren können.

Die Hamas versteht sich als "Islamische Widerstandsbewegung" und als "Flügel der Muslimbrüder in Palästina". (Artikel 1 und 2 ihrer Charta vom 18. August 1988)

Der Hamas zufolge gibt es in Nahost keinen Platz für Israel: "Die Islamische Widerstandsbewegung ist eine eigenständige palästinensische Bewegung, (...), die dafür kämpft, dass das Banner Allahs über jeden Zentimeter von Palästina aufgepflanzt wird. (...)" (Artikel 3)

Unverhohlen wird zum Mord an Juden aufgerufen: "Weil Muslime, die die Sache der Hamas verfolgen und für ihren Sieg kämpfen (...), überall auf der Erde verbreitet sind, ist die Islamistische Widerstandsbewegung eine universelle Bewegung. (...) Hamas ist eines der Glieder in der Kette des Djihad, die sich der zionistischen Invasion entgegenstellt. Dieser Djihad verbindet sich mit dem Impuls des Märtyrers Izz a-din al-Quassam und seinen Brüdern in der Muslimbruderschaft, die den Heiligen Krieg von 1936 führten; er ist darüberhinaus (...) mit dem Djihad der Muslimbrüder während des Kriegs von 1948 verbunden, wie auch mit den Djihad-Operationen der Muslimbrüder von 1968 und danach. (...) Der Prophet - Andacht und Frieden Allahs sei mit ihm, - erklärte: Die Zeit wird nicht anbrechen, bevor nicht die Muslime die Juden bekämpfen und sie töten; bevor sich nicht die Juden hinter Felsen und Bäumen verstecken, welche ausrufen: Oh Muslim! Da ist ein Jude, der sich hinter mir versteckt; komm und töte ihn! (...)" (Artikel 7)

Offenbar ist sie auch nicht verhandlungs- bzw. kompromissbereit: "Ansätze zum Frieden, die sogenannten friedlichen Lösungen und die internationalen Konferenzen zur Lösung der Palästinafrage stehen sämtlichst im Widerspruch zu den Auffassungen der Islamischen Widerstandsbewegung. Denn auf irgendeinen Teil Palästinas zu verzichten bedeutet, auf einen Teil der Religion zu verzichten; der Nationalismus der Islamischen Widerstandsbewegung ist Bestandteil ihres Glaubens. (...) Für die Palästina-Frage gibt es keine andere Lösung als den Djihad. Die Initiativen, Vorschläge und Internationalen Konferenzen sind reine Zeitverschwendung und eine Praxis der Sinnlosigkeit. Das palästinensische Volk aber ist zu edel, um seine Zukunft, seine Rechte und sein Schicksal einem sinnlosen Spiel zu unterwerfen." (Artikel 13) "Wenn unsere Feinde islamische Länder usurpieren, ist der Djihad eine bindende Pflicht für alle Muslime. Um der Eroberung Palästinas durch die Juden entgegenzutreten, gibt es keine andere Lösung, als das Banner des Djihad zu erheben." (Artikel 15)

Das krude antisemitische Weltbild der Hamas ist fest verankert: "Die Feinde häuften (...) einen riesigen und einflussreichen materiellen Wohlstand an, der sie in die Lage versetzte, ihren Traum umzusetzen. Dieser Reichtum erlaubte es ihnen, die Kontrolle über die Weltmedien wie zum Beispiel Nachrichtenagenturen, Zeitungen, Verlagshäuser, TV-Sender und weitere Dinge dieser Art zu übernehmen. Sie nutzten diesen Reichtum ebenfalls aus, um Revolutionen in verschiedenen Teilen der Welt anzustacheln, um ihre Interessen zur realisieren und die Früchte zu ernten. Sie standen hinter der Französischen Revolution und hinter den kommunistischen Revolutionen und den meisten Revolutionen, von denen man hier und da hört. (...) Sie nutzten das Geld ebenfalls dazu, die Macht über die imperialistischen Länder zu gewinnen und sie dazu zu bringen, viele Länder zu kolonisieren, um die Reichtümer dieser Länder auszubeuten sowie ihre Korruption dorthin zu verbreiten.
Hinsichtlich der regionalen und weltweiten Kriege ist es zweifellos soweit gekommen, dass die Feinde hinter dem I. Weltkrieg standen um so das Islamische Kalifat auszulöschen. Sie sammelten materielle Ressourcen und übernahmen die Kontrolle über zahlreiche Quellen des Wohlstands. Sie erreichten die Balfour-Erklärung und etablierten den Völkerbund, um mit den Mitteln dieser Organisation über die Welt zu herrschen.
Sie standen ebenfalls hinter dem II. Weltkrieg, in dem sie immense Vorteile aus dem Handel mit Kriegsausrüstungen zogen und die Etablierung des Staates Israel vorbereiteten. Sie inspirierten die Errichtung der Vereinten Nationen und des Sicherheitsrats, um den Völkerbund zu ersetzen und die Welt mithilfe ihrer Mittelsmänner zu beherrschen. Es gab keinen Krieg, an welchem Ort auch immer, der nicht ihre Fingerabdrücke trägt. (...)" (Artikel 22)

"Die zionistische Invasion ist auf verschlagene Weise bösartig. Sie schreckt nicht davor zurück, verschlungene Weg zu wählen und alle verabscheuungswürdigen und widerwärtigen Mittel anzuwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Um sich einmischen und Spionageaktivitäten vornehmen zu können ist sie in großem Maß auf die Geheimorganisationen angewiesen, z..B. die Freimaurer, die Rotary Clubs, Lions und andere. All diese Geheimorganisationen, von denen einige auch offen arbeiten, agieren für die Interessen des Zionismus und wollen unter dessen Anleitung die Gesellschaften zerstören, Werte vernichten, Verantwortlichkeiten ausschalten, Tugenden ins Schwanken bringen und den Islam auslöschen. Sie steht hinter der Verbreitung von Drogen und Giften aller Art, die ihr Machtausübung und Machtausdehnung erleichtern sollen. (...)" (Artikel 23)

"Zionistische Machenschaften setzen sich nämlich endlos fort und werden sich nach Palästina gierig vom Nil bis zum Euphrat ausdehnen. Erst dann, wenn sie [die Zionisten, Anm. d.Verf.] komplett die Gegend verdaut haben, auf die sie ihre Finger gelegt haben, werden sie zu noch mehr Expansion voranschreiten und so weiter. Ihr Komplott wurde in den Protokollen der Weisen von Zion niedergelegt: Ihre derzeitiges Verhalten ist der bester Beweis für das, was dort gesagt wurde." (Artikel 32) [2]

Bewertung: "Die Charta der Hamas - ein Dokument, das für Sari Nusseibeh, den palästinensischen Präsidenten der Al-Quds-Universität zu Jerusalem, danach 'klingt, als sei es direkt dem Stürmer entsprungen' (sounds as if it came straight from the pages of Der Stürmer) - basiert auf einer Anzahl von antisemitischen Verschwörungstheorien. Sie besteht auf der Echtheit der Protokolle der Weisen von Zion und behauptet, dass die Freimaurer, der Lions-Club und der Rotary-Club insgeheim 'im Interesse der Zionisten' arbeiteten. Die Hamas sieht in den Juden die Verantwortlichen für die Französische Revolution, den 'westlichen Kolonialismus', den Kommunismus und die Weltkriege. (...)" [3]

"Der Hamas wird vielfach vorgeworfen, den Holocaust zu leugnen. Als Antwort auf eine Konferenz über den Holocaust, die im Januar 2000 in Stockholm stattfand, veröffentlichte die Hamas auf ihrer damaligen offiziellen Website einen Text, der die Existenz des Holocaust leugnet und als zionistische Geschichtsfälschung bezeichnet. Abd al-Aziz ar-Rantisi, einer der Gründer und zwischenzeitlich der Führer der Hamas, bezeichnete den Holocaust als die größte aller Lügen, als Propaganda, welche die Zionisten über die Medien verbreiteten. Er führte zudem aus, dass die Ermordung vieler Juden durch die Nationalsozialisten von den Zionisten unterstützt worden sei, um die Juden zum Auswandern nach Palästina zu zwingen. Er behauptete außerdem, dass die Nationalsozialisten finanziell von den Zionisten unterstützt worden seien." Anmerkung: Rantisi wurde im Frühjahr 2004 bei einem israelischen Luftangriff getötet.

Andererseits: "In einem Artikel im britischen Guardian wies Bassem Naeem, der Informations- und Gesundheitsminister der Hamas-Regierung im Gazastreifen, den Vorwurf der Holocaustleugnung zurück: 'Weder Hamas noch die palästinensische Regierung in Gaza leugnet den Holocaust der Nazis. Der Holocaust war nicht nur ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sondern eines der abscheulichsten Verbrechen der Neuzeit. Wir verurteilen den Holocaust, so wie wir jedes Vergehen gegen die Menschlichkeit und alle Formen der Diskriminierung aufgrund von Religion, Rasse, Geschlecht und Nationalität verurteilen.'" [4]

Wie auch immer, doch sollten wir uns nicht nur mit dem ideologischen Überbau der Hamas befassen, sondern ebenso mit ihrer politischen Praxis. Nach ihrer Machtübernahme im Gazastreifen (2007), als sie die Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas vertrieb, etablierte sie nach Einschätzung von Amnesty International "ein Regime der Rechtlosigkeit, das die Menschenrechte fundamental verletzt". [5]

Und in einem Report der Menschenrechtsorganisation liest man: "Ab Mitte Juni [2007] nahmen die Hamas-Kräfte im Zuge einer politisch motivierten Inhaftierungswelle etwa 1500 Personen fest. Hunderte von Menschen, in der Mehrzahl Unterstützer der Fatah, wurden willkürlich inhaftiert, weil sie an friedlichen Demonstrationen teilgenommen hatten. Die meisten kamen zwar innerhalb von 48 Stunden wieder frei, mussten aber als Bedingung für ihre Freilassung unterschreiben, dass sie nicht mehr an Demonstrationen oder anderen oppositionellen Aktivitäten teilnehmen würden. In vielen Fällen verlangten die Hamas-Kräfte außerdem 'Geldstrafen' von den Festgenommenen. Sie wurden überwiegend in früheren Sicherheitseinrichtungen der PA und an anderen Orten festgehalten, die nach palästinensischem Recht nicht als Hafteinrichtungen genutzt werden durften.

Viele Häftlinge gaben an, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt und bedroht worden zu sein. So soll man sie geschlagen und in schmerzhaften Positionen gefesselt haben (Shabeh). Einige gaben an, man habe ihnen angedroht, ihnen in die Beine zu schießen. Mindestens zwei Gefangene - Walid Abu Dalfa und Fadhel Dahmash - starben offenbar an den Folgen von Folter oder anderen Misshandlungen in der Haft.

Ende Juni nahmen Hamas-Kräfte und Milizen den ehemaligen Polizisten Tariq Mohammed Asfour fest. Er wurde sechs Stunden lang mit Metalldrähten, Stöcken und Schaufeln geschlagen, und man trieb ihm mit einem Hammer Nägel ins Schienbein.

Wa'el Ghalban, ein Fatah-Mitglied, wurde von Hamas-Kräften brutal auf die Füße und andere Körperteile geschlagen, als er im November über Nacht inhaftiert war." [6] Dass die Fatah im Westjordanland ebenfalls wenig zimperlich im Umgang mit den Menschenrechten ist, ist keine Entschuldigung.

Erwartungsgemäß hat die Hamas auch Probleme mit der Pressefreiheit. Nach Ansicht der Journalistenorganisation "Reporter ohne Grenzen" hat sich die Situation im Gazastreifen seit der Machtübernahme der Hamas deutlich verschlechtert. [7] "Im Gaza-Streifen häufen sich seit der Machtübernahme der Hamas Übergriffe auf Journalisten. Diese klagen über willkürliches Vorgehen der Behörden, tätliche Angriffe und Entführungen", berichtet Clemens Verenkotte vom ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv im September 2007. [8] Und der ARD-Kameramann Sawah Abu Saif wurde nach seiner Festnahme im Juli 2008 von der Hamas gefoltert. [9] Nach Angaben des NDR wurden im Gazastreifen zur gleichen Zeit drei Zeitungen verboten und die gemäßigte Nachrichtenagentur "WAFA" geschlossen. [10]

Verbrechen sind nicht mit den Verbrechen anderer zu verrechnen. Das gilt überall - ob in den USA, in Kuba, im Iran, in Nordkorea, in Israel oder im Gazastreifen. Jeder ist zunächst für das eigene Handeln verantwortlich. Und die Untaten Dritter sind keine Rechtfertigung für eigene Verfehlungen (obgleich der Ruf "Haltet den Dieb" in der internationalen Politik nach wie vor viele Anhänger hat). Ich hoffe, darüber besteht Konsens.

Es ging mir folglich nicht darum, von kritikwürdigem Handeln Israels abzulenken, sondern vielmehr darum, ein paar Hintergrundinformationen über die Hamas zu präsentieren, denn es ist meiner Ansicht nach gefährlich, sich in Bezug auf den Charakter dieser Organisation irgendwelchen Illusionen hinzugeben. Dadurch wird nichts, was am Verhalten Israels kritikwürdig ist, relativiert. Aber das Verhalten Israels stellt natürlich auch für die Hamas keinen Freibrief dar.

Man tut der Hamas gewiss nicht unrecht, wenn man sie als kompromisslosen Feind Israels bezeichnet. Doch es geht, wie man sieht, nicht nur um Israel, die Hamas wendet sich genauso vehement gegen Prinzipien, die uns allen als unantastbar gelten sollten (Demokratie, Gewaltenteilung, Säkularisierung, Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit etc.). Insofern ist sie nicht nur eine Gefahr für Israel.

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[1] vgl. Israel/Palästina: Der endlose Konflikt von 31.07.2004 und Waffenruhe - das sagt sich so leicht vom 01.01.2009
[2] Matthias Küntzel, Sprache der Vernichtung, Infos über Matthias Küntzel bei Wikipedia, eine vollständige englische Version der Charta der Hamas findet man hier
[3] Wikipedia, Hamas
[4] Wikipedia, Hamas
[5] Amnesty International vom 24.10.2007
[6] Amnesty International, Amnesty Report 2008, Palästinensische Autonomiegebiete
[7] Reporter ohne Grenzen, Rangliste der Pressefreiheit 2008: Nur Frieden schützt die Pressefreiheit
[8] tagesschau.de vom 15.09.2007
[9] Die Welt vom 31.07.2008
[10] NDR vom 30.07.2008