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03. Februar 2009, von Michael Schöfer
Muss man verhängnisvolle Fehler wirklich wiederholen?


Davor, dass die starke Fokussierung auf den Export für Deutschland schädlich ist und in Krisenzeiten zu drastischen Einbrüchen der Wirtschaftsleistung führt, wurde schon vor vielen Jahren gewarnt. Davor, dass selbst die USA nicht dauerhaft an ökonomischen Fakten vorbei agieren können (Stichwort: Verschuldung, Handelsbilanzdefizit), ebenfalls. Man hat es nicht hören wollen. Nichtsdestotrotz ist es genau so gekommen. Andrea Ypsilanti wurde vorgeworfen, zum zweiten Mal gegen dieselbe Wand gerannt zu sein. Jetzt, in der tiefsten Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts, besteht freilich die große Gefahr, einen verhängnisvollen Fehler, von dem man eigentlich wissen müsste, wie schlimm er sich damals ausgewirkt hat, zu wiederholen: Protektionismus. Rennt die Weltwirtschaft, ebenso wie Andrea Ypsilanti, zum zweiten Mal gegen dieselbe Wand?

Man muss kein überzeugter Anhänger des Freihandels sein, um derzeit protektionistische Maßnahmen als destruktiv zu bewerten. Protektionismus kann sehr wohl positive Effekte zeigen - manchmal, in bestimmten Situationen, für bestimmte Volkswirtschaften. Aber ausgerechnet jetzt könnte er sich als absolut kontraproduktiv und damit als verheerend erweisen. Was passierte beim Ausbruch der Weltwirtschaftskrise in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? "Neben dem Börsenkrach und dem Preisverfall auf den Rohstoffmärkten spielte beim Ausbruch der weltweiten Krise noch die zunehmend protektionistische Zollpolitik einiger Länder eine Rolle. Hier machten die USA mit dem Smoot-Hawley-Tarif 1930 den Anfang, der eine Welle von ähnlichen Zollerhöhungen in den Partnerländern zur Folge hatte. Diese Schutzzölle auf bestimmte Güter dämpften den Welthandel erheblich." [1]

Es ist falsch anzunehmen, die damalige Weltwirtschaftskrise sei unmittelbar nach dem Schwarzen Freitag, dem Börsencrash an der Wall Street (25. Oktober 1929), gleich mit voller Wucht ausgebrochen. Vorübergehend gab es sogar Zeichen der Erholung, die Aktienkurse stiegen wieder. Eine Verkettung von unglücklichen Umständen löste allerdings einen fatalen Domino-Effekt aus. "Die Einführung von Schutzzöllen war ursprünglich ein Versprechen gewesen, das Herbert Hoover im Präsidentschaftswahlkampf von 1929 abgegeben hatte, um die Lage der amerikanischen Landwirte zu verbessern. (...) Doch im Verlauf der Debatte im Kongress versuchte jeder Abgeordnete neue Artikel einzubringen (allein der Senat stellte 1253 Änderungsanträge). Das Ergebnis - ein Zolltarif mit 21000 Tarifpositionen - war extremer Protektionismus." [2]

"Die USA betrieben (...) eine Politik des 'America first', die schließlich auch für andere Staaten eine protektionistische Signalwirkung hatten. Ähnlich verhielt sich Großbritannien (...) - getreu dem Motto 'Britain first, Empire second, foreigners last'" [3] Zwar streiten die Gelehrten, ob der Protektionismus die alleinige Schuld an der Verschärfung der Wirtschaftskrise im Nachgang des Börsenkrachs von 1929 trägt, doch hat er die prekäre Lage zweifellos enorm verschärft.

Diesen Fehler sollte man daher keinesfalls wiederholen. Gerade jetzt nicht. Die Globalisierung muss sicherlich anders, d.h. sozialer gestaltet werden. Gleichwohl geht das nur peu à peu. Heftige Kursänderungen, etwa ein urplötzlich anschwellender Protektionismus, könnten die Krise dramatisch zuspitzen - wie in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Momentan protektionistische Schranken aufzubauen, wirkt eindeutig prozyklisch. Dringend notwendig ist jedoch eine antizyklische Wirtschaftspolitik. Deshalb sind die protektionistischen Bestrebungen, die in den USA im Zusammenhang mit dem dortigen Konjunkturpaket erkennbar werden, äußerst besorgniserregend. "Das US-Repräsentantenhaus hatte mit seinen Beschlüssen für ein Konjunkturprogramm weltweit Sorge vor einer Abschottung der US-Märkte ausgelöst. Die von Obamas Demokraten beherrschte Parlamentskammer fordert etwa, dass nur Stahl und Eisen aus den USA für Infrastrukturinvestitionen aus dem 825-Milliarden-Dollar-Paket genutzt werden dürfe." [4] Die "Buy American"-Klausel könnte der Auftakt zu weiteren Einschränkungen sein und sich ähnlich krisenverschärfend erweisen, wie die America-first-Politik von 1930. Viele befürchten, vermutlich zu Recht, den gleichen fatalen Domino-Effekt wie damals.

Der Drang zu protektionistischer Politik ist durchaus verständlich, weil er oberflächlich betrachtet plausibel erscheint. Aber ist er in der jetzigen Situation auch vernünftig? Der Drang zum Protektionismus ist keineswegs auf die USA begrenzt. "Die CSU fordert eine Überarbeitung der Abwrackprämie, falls von dem Bonus hauptsächlich ausländische Autobauer profitieren sollten. 'Unser Konjunkturpaket soll Arbeitsplätze in Deutschland sichern und nicht in Fernost', sagte CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg. (...) Sollte sich herausstellen, dass von der Prämie ausländische Hersteller zusätzlich profitierten, 'müssen wir nachsteuern'." [5] Das wäre die deutsche Version der "Buy American-Klausel". Eine britische, französische und japanische könnte folgen. Und dann? Wo endet das? Womöglich beim völligen Zusammenbruch der Weltwirtschaft. "Was immer du tust, handle klug und bedenke das Ende", sagt ein lateinisches Sprichwort.

Man muss verhängnisvolle Fehler nicht zwanghaft wiederholen. Wenngleich die Konstellation heute eine andere ist, beispielsweise braucht Deutschland keine Reparationszahlungen zu leisten, muss dennoch an die gravierenden Veränderungen der politischen Landschaft, die die Weltwirtschaftskrise hervorrief, erinnert werden. Wenn man verhängnisvolle Fehler tatsächlich wiederholt, wiederholen sich vielleicht auch die daraus resultierenden politischen Verwerfungen. Aus diesem Grund kann ich in der gegenwärtigen Lage bloß eindringlich vor Protektionismus warnen. Der Westen hat den Scherbenhaufen gemeinsam angerichtet, er sollte ihn daher auch gemeinsam aufkehren. Die Konsequenzen einer Politik des "rette sich wer kann - notfalls auf Kosten der anderen" wären gewiss desaströs und würden uns nur noch tiefer in den Schlamassel hineintreiben. Am Ende gäbe es nur Verlierer. Es ist eine gefährliche Illusion, sich durch Abschottung auf die Gewinnerseite retten zu können. Gehen wir ihr nicht auf den Leim.

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[1] Wikipedia, Weltwirtschaftskrise, Ursachen
[2] Harold James, Der Rückfall, München 2005, Seite 59
[3] Christian Kleinschmidt: Rezension zu: James, Harold (Hrsg.): The Interwar Depression in an International Context. München 2002. In: H-Soz-u-Kult, 29.10.2002
[4] Reuters vom 03.02.2009
[5] manager-magazin vom 24.01.2009