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21. Februar 2009, von Michael Schöfer
Unser ungeklärtes Verhältnis zur Religion


Es wurde bereits viel über die von Gewalttätigkeiten begleitete Reaktion der islamischen Welt auf die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" geschrieben. Ebenso über die Fatwa des iranischen Revolutionsführers Chomeini, in der er zur Tötung des Schriftstellers Salman Rushdie aufrief, als der seinen Roman "Die satanischen Verse" veröffentlichte. Beides gilt - zu Recht - als exemplarisch für die Intoleranz und Brutalität des islamischen Fundamentalismus. Doch haben wir, die ach so aufgeklärten Deutschen, unser eigenes Verhältnis zur Religion hinreichend geklärt? Stellen wir uns - trotz Aufklärung - im Konflikt zwischen Glauben und Meinungsfreiheit stets auf die Seite von Letzterem? Keineswegs, wie Sie nachfolgend sehen werden.

"Die Wissenschaftsfreiheit von Hochschullehrern der Theologie findet ihre Grenzen am Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften", sagt das Bundesverfassungsgericht. Das Selbstbestimmungsrecht der Religionen sei höher zu bewerten als die Wissenschaftsfreiheit des Beschwerdeführers, urteilte das höchste deutsche Gericht im Fall des Theologieprofessors Gerd Lüdemann. "Der protestantische Theologe Gerd Lüdemann hatte in einer Reihe von Veröffentlichungen klargemacht, dass er nicht mehr an die biblische Geschichte glaube, an Jungfrauengeburt, Kreuzestod und Auferstehung, dass er die Bibel nicht für Gottes Wort, Jesus Christus nicht für Gottes Sohn halte. Schon darum nicht, weil er auch nicht mehr an einen Gott glaube." [1]

Dass die Religionsgemeinschaften autonom über die Ausbildung ihrer Pfarrer und Priester entscheiden dürfen, ist nicht der springende Punkt, so etwas fällt natürlich unter die vom Grundgesetz garantierte Religionsfreiheit [2]. Aber dann bitte keinesfalls auf Kosten des Steuerzahlers (Theologieprofessoren werden vom Staat bezahlt), sondern auf eigene Rechnung. Die Finanzierung der als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften, bekanntlich wird die Kirchensteuer in Deutschland von den Finanzämtern eingezogen, ist ebenfalls ein Anachronismus. Die Kirchensteuer gehört schlicht und ergreifend abgeschafft. Die Kirchen sollten, wie bei jeder anderen Vereinigung üblich, die finanziellen Beziehungen zu ihren Mitgliedern eigenständig regeln. Wenn der Mitgliedsbeitrag eines Fußballvereins, einer Gewerkschaft oder einer Partei gleich bei der Auszahlung des Gehalts vom Arbeitgeber einbehalten würde, gäbe es gewiss einen Aufschrei ohnegleichen. Bei den Religionsgemeinschaften wird das Ganze unverständlicherweise hingenommen.

Über die Intoleranz eines Teils der Muslime schütteln viele bloß noch den Kopf. Doch wie sieht es bei der Intoleranz von Christen aus? Der emeritierte Heidelberger Theologieprofessor Norbert Scholl verfasste die Petition "Für die uneingeschränkte Anerkennung der Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils", nachdem der Papst die Exkommunikation von vier Bischöfen der traditionalistischen Pius-Bruderschaft aufhob. Sie wurde von drei Professoren der theologischen Fakultät in Regensburg unterschrieben. Darauf reagierte der als besonders papsttreu geltende Regensburger Bischof Gerhard Müller. Er forderte "den Pastoraltheologen Heinz-Günther Schöttler, den Religionspädagogen Burkard Porzelt und die Kirchenrechtlerin Sabine Demel auf, sich von der Erklärung zu distanzieren und sich bei Papst Benedikt XVI. zu entschuldigen. (...) Die drei Professoren, so Müller, hätten den Papst beleidigt, ihm ein Handeln zum Schaden der Kirche unterstellt und sich als katholische Theologen disqualifiziert. Doch damit nicht genug: Müller verlangt von den drei Professoren, sie müssten bei ihm erscheinen und einen Treueeid auf die Lehre der katholischen Kirche ablegen. Andernfalls würden 'weitere Schritte' folgen. Damit könnte der Entzug der Lehrerlaubnis gemeint sein." [3] Kritik und Selbstkritik - wie anno dazumal bei den Kommunisten.

Es lebe die Meinungsfreiheit - bloß nicht in der Kirche. Die Methoden, wie man dort Kritiker behandelt, passen zwar nicht in eine Demokratie, dennoch wird nichts dagegen unternommen, schließlich dürfen die Religionsgemeinschaften - höchstrichterlich abgesegnet - ihr Binnenverhältnis in Eigenregie ordnen. Rede- und Schreibverbote gab es nicht nur im Mittelalter, es gibt sie noch immer. Naturwissenschaftler, wie seinerzeit Galileo Galilei (1564-1642), sind zwar keine mehr betroffen, aber nach wie vor unbotmäßige Theologen, stellvertretend für sie steht der Name des brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff. "Kardinal Joseph Ratzinger - der heutige Papst Benedikt XVI. - war als Vorsitzender der katholischen Glaubenskongregation [ehedem Inquisition genannt, Anm. d. Verf.] maßgeblich für den Entzug der Lehrerlaubnis und das Redeverbot gegen Leonardo Boff verantwortlich." [4] Und Mitarbeiter der Kirchen müssen sogar ihr Privatleben nach den Geboten der Kirche ausrichten. "Der Verstoß gegen kirchenrechtliche Loyalitätsobliegenheiten kann eine verhaltensbedingte Kündigung sozial rechtfertigen." [5]

Was geht mich das Binnenverhältnis der Kirchen an, mögen Sie jetzt denken. Nun, hierzulande müssen sich alle Vereine und Parteien an demokratische Grundsätze halten. [6] Warum dann nicht auch die Kirchen? Sollte die Demokratie nicht überall gelten? Aber Religionsgemeinschaften wirken nicht nur nach innen, sondern ebenso nach außen. Und hierbei zeigen sie sich mitunter ähnlich intolerant, wie wir es gerne den Muslimen unterstellen.

Wie bitte, Sie regen sich über das Kopftuch auf? Wie reagieren Sie dann darauf: Im Karneval erregt derzeit eine "Nonne im Nacktscanner" die Gemüter. "Im Mainzer Rosenmontagszug wird ein Motivwagen mit einer Nonne im Nacktscanner nach Protesten von Ordensschwestern geändert. (...) Die Ordensfrauen der Diözese Mainz hatten in einem offenen Brief den Rückzug des Wagens gefordert. In dem Brief heißt es, die Darstellung der Nonne im Nacktscanner empfinde man als 'im hohen Maße verunglimpfend'. Es sei 'respektlos und persönlichkeitsverletzend', wenn diejenigen, die sich seit Jahrzehnten für die Wahrung der Menschenwürde einsetzten, 'so obszön in den Dreck' gezogen würden." [7] Über Humor kann man sicherlich streiten. Aber ist das nicht die gleiche Intoleranz und Humorlosigkeit wie damals in Bezug auf die Mohammed-Karikaturen? Folgte ein Aufschrei der Narren? Nein, sie sind gleich eingeknickt.

Vor genau 200 Jahren wurde Charles Darwin, der Vater der Evolutionstheorie geboren, doch bis heute reagieren religiöse Fundamentalisten allergisch auf seine Lehre von der Entstehung der Arten. Nicht wenige präferieren die Schöpfungsgeschichte der Bibel: Die Hälfte der Briten glaubt nicht an die Evolution, 22 Prozent bevorzugen den Kreationismus. [8] Einer Umfrage des Gallup-Instituts zufolge glauben 66 Prozent der US-Amerikaner, dass "Gott den Menschen innerhalb der vergangenen 10.000 Jahre erschuf". [9] Glaubenssache? Nicht schlimm? Doch, und zwar dann, wenn der Versuch unternommen wird, die wissenschaftlich unhaltbare Schöpfungslehre in unseren Schulen zu verbreiten. Insbesondere, wenn sich daran selbst Kultusministerinnen beteiligen. [10]

Religion ist eine reine Privatangelegenheit, deshalb brauchen wir endlich die strikte Trennung von Staat und Kirche. Und da Religionen generell zu Intoleranz neigen, nicht selten unter Anwendung von Gewalt, sollte die Öffentlichkeit jeden Versuch, die Meinungsfreiheit zu beschränken, unnachsichtig zurückweisen - egal von wem er kommt.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 19.02.2009
[2] siehe Artikel 4 GG
[3] Frankfurter Rundschau vom 18.02.2009
[4] Wikipedia, Befreiungstheologie
[5] Wikipedia, Arbeitsrecht der Kirchen
[6] vgl. Gesetz über die politischen Parteien, § 15 Willensbildung in den Organen
[7] Spiegel-Online vom 20.02.2009
[8] Guardian vom 01.02.2009
[9] Frankfurter Rundschau vom 12.02.2009
[10] siehe Wolff will Schöpfungslehre im Biologieunterricht, FAZ.Net vom 28.06.2007