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02. April 2009, von Michael Schöfer
In welchem Staat leben wir eigentlich?


Kein Zweifel, Rechtsbrecher gehören bestraft. Und natürlich ist Gewalt zur Durchsetzung politische Ziele abzulehnen. Das Gewaltmonopol des Staates ist unumstritten. Voraussetzung ist natürlich, dass sich der Staat seinerseits konsequent ans demokratisch legitimierte Recht hält. Doch was sich das Bundeskriminalamt (BKA) bisweilen leistet, fällt definitiv nicht unter diese Kategorie.

Presseberichten zufolge hat die Telekom dem BKA nach dem 11. September 2001 "ohne ersichtliche Rechtsgrundlage Millionen von Kundendaten für groß angelegte Rasterfahndungen bereitgestellt. (...) Dabei sei es jedoch nicht um die Suche nach bestimmten Straftätern oder konkrete Gefahren gegangen, sondern um eine umfassende Durchrasterung von nahezu allen Kunden-Datenbeständen der Telekom, berichten Zeugen." [1] Wie das Bundesverfassungsgericht später in seinem Urteil vom 04.04.2006 (Az: 1 BvR 518/02) festgestellt hat, ist eine unter diesen Voraussetzungen durchgeführte Rasterfahndung verfassungswidrig:

"Eine präventive polizeiliche Rasterfahndung (...) ist mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) nur vereinbar, wenn eine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben ist. Im Vorfeld der Gefahrenabwehr scheidet eine solche Rasterfahndung aus. Eine allgemeine Bedrohungslage, wie sie im Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 11. September 2001 durchgehend bestanden hat, oder außenpolitische Spannungslagen reichen für die Anordnung der Rasterfahndung nicht aus. Vorausgesetzt ist vielmehr das Vorliegen weiterer Tatsachen, aus denen sich eine konkrete Gefahr, etwa für die Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Anschläge, ergibt." An der fehlenden Rechtsgrundlage haben sich offenbar weder die Telekom noch das BKA gestört. Was schließen wir daraus? Mehdorns gibt es überall.

Ein noch dreisteres Verhalten legte das BKA im Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der "militanten gruppe" (mg) an den Tag. Schon vor zwei Jahren fiel die Bundesanwaltschaft bei der Verhaftung des Sozialwissenschaftlers Andrej H. negativ auf. [2] Nun musste das BKA vor Gericht zugeben, Beweise gefälscht zu haben. Ein ungeheuerlicher Vorgang. "Eines der spektakulärsten Antiterrorverfahren in Deutschland hat eine ungeahnte Wende bekommen: Ende vergangener Woche musste der Ermittlungsführer des Bundeskriminalamtes vor dem 1. Senat des Kammergerichts Berlin eingestehen, Beweise gegen drei mutmaßliche Mitglieder der 'militanten gruppe' (mg) gefälscht zu haben. Dabei hatte Kriminalhauptkommissar Oliver Damm die Manipulation der Beweismittel zunächst bestritten. Erst auf wiederholte Nachfrage der Verteidigung gestand er die Falsifikate ein. Der Fall bringt nun nicht nur das aktuelle Verfahren in Zwielicht. Inzwischen steht das polizeiliche Vorgehen generell in Frage." [3] Was ist passiert? Beiträge, die die "mg" an das Berliner Szenemagazin "Interim" geschickt haben soll, stammen wenigstens zum Teil von den BKA-Ermittlern selbst.

In welchem Staat leben wir eigentlich? In einer Bananenrepublik? Einfach unfassbar: Beamte, die ausdrücklich an Recht und Gesetz gebunden sind, produzieren eigenhändig falsche Beweise. Auf dieser Grundlage kann man jeden ins Gefängnis bringen, sogar vollkommen Unschuldige. In Russland, der Schauprozess gegen Michail Chodorkowskij lässt grüßen, überrascht so etwas kaum. Aber hier, in Deutschland? Sind die Sitten in Wirtschaft und Staat inzwischen total verlottert? Hoffentlich nicht. Die Politik braucht sich vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht zu wundern, wenn viele Bürger der Online-Durchsuchung mit Hilfe des sogenannten "Bundestrojaners" äußerst reserviert gegenüberstehen. Fehlende, aber erwünschte "Beweise" könnte man dann kurzerhand auf jeder x-beliebigen Festplatte ablegen. Das ist relativ einfach und vom Beschuldigten vor Gericht praktisch nicht nachzuweisen. Jeder Richter würde entsprechende Unschuldsbeteuerungen als Schutzbehauptung oder gar als Hirngespinst abtun ("Angeklagter, Sie lesen wohl zu viele Spionageromane.").

Die Vorgänge zeigen erneut, wie wichtig Pressefreiheit ist. Ohne die publizistische Begleitung durch die "Vierte Gewalt" wären die meisten Skandale vermutlich nie an die Öffentlichkeit gekommen. Man darf gespannt sein, was noch ans Tageslicht gezerrt wird.

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[1] Frankfurter Rundschau vom 02.04.2009
[2] siehe Absurder Terrorverdacht? vom 31.08.2007
[3] Telepolis vom 01.04.2009


Nachtrag (05.04.2009):
Das BKA hat zugegeben, Daten von Telekom-Beschäftigten erhalten und ausgewertet zu haben, zu einem Abgleich von Kundendaten sei es jedoch nicht gekommen. Das BKA erhob nach eigenen Angaben im Jahr 2001 "aus Gründen der Gefahrenabwehr" Daten aus den Bereichen Kernenergie, Gefahrgutlizenzen, Fluglizenzen und Flughäfen. "Diese Erhebung habe sich auf Beschäftigte dieser Stellen bezogen, die mit sicherheitsrelevanten Einrichtungen oder gefährlichen Stoffen in Kontakt kommen konnten. In diese Maßnahme sei auch die Telekom einbezogen worden, räumte das BKA ein." [4] Ob es für diese Überprüfung eine Rechtsgrundlage gab, bleibt weiterhin offen. Und ob es wirklich nicht zu einer Überprüfung von Kundendaten kam, ebenfalls.

[4] Frankfurter Rundschau vom 03.04.2009