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| Impressum 12. Juni 2009, von Michael Schöfer Rätselraten und Panik-Attacken Warum stürzte der Air-France-Airbus A330 in den Atlantik? Darüber rätselt zur Zeit die ganze Welt. Und die Presse verbreitet ständig neue Absturzursachen: "Das verschwundene Flugzeug der Air France ist offenbar über dem Atlantik von einem Blitz getroffen worden und daraufhin abgestürzt", behauptete der Focus am 1. Juni. Einen Tag später ruderte man heftig zurück: Es sei "extrem unwahrscheinlich, dass ein Blitz zum Absturz eines Flugzeuges führt". [1] Da hat sich in der Redaktion wohl jemand an den Physik-Unterricht erinnert. "Flugzeuge funktionieren in der Luft wie eine Art Faradayscher Käfig - als geschlossene Hülle aus leitendem Material, die den Innenraum bei Blitzschlägen abschirmt. 'Der Blitz schlägt ein, fährt durch die Aluminiumhaut und an anderer Stelle wieder hinaus. Das kommt häufiger vor und wird von den Passagieren kaum bemerkt'," erläutert der Direktor des Instituts für Flugsystemtechnik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Stefan Levedag. [2] Der Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, Jörg Handwerg, assistiert: "Die Technik sei so geschützt, dass sie bei einem Blitzeinschlag fast nie beeinträchtigt werde, erklärte der Flugkapitän weiter: 'In der Regel passiert da nichts.' Da es an Bord je nach Flugzeugtyp bis zu drei unabhängig voneinander arbeitende elektrische Systeme gebe, sei ein Strom-Totalausfall höchst unwahrscheinlich. Zudem gebe es Notsysteme: Der Airbus A320 beispielsweise verfüge in einer Tragfläche über eine Turbine, die ausgeklappt werde und dann mithilfe des Strömungswindes Elektrizität erzeugen könne." [3] Allerdings lässt die Analyse der Zwischenfälle der Luftfahrt Zweifel an den Expertenmeinungen aufkommen [4]:
Selbstverständlich gab es auch die Bomben-These: "Die Fluggesellschaft hat nach Angaben eines Sprechers vor dem Unglück eine Bombendrohung erhalten. Sie galt zwar einer anderen Maschine, doch noch schließt die französische Regierung einen terroristischen Hintergrund des Unglücks nicht aus." [8] Eine Bombe scheidet jedoch wahrscheinlich aus, weil der Airbus innerhalb von vier Minuten mehrere automatische Fehlermeldungen abgab, was gegen eine Bombenexplosion spricht, da hier die Systeme in der Regel alle zugleich ausfallen. "Um 23.10 Uhr, sandte das Flugzeug eine ganze Serie von automatischen Funkmeldungen aus, die darauf hindeuten, dass der Autopilot abgeschaltet und das Computersystem auf eine alternative Energieversorgung umgeschaltet wurde. Kontrollen, die für die Stabilität des Flugzeugs gebraucht werden, waren zu diesem Zeitpunkt bereits beschädigt. Außerdem ertönte ein Alarmsystem, was dem Bericht zufolge auf eine weitere Verschlechterung der Flugsysteme hindeutet. Drei Minuten später deuten weitere automatisch gefunkte Signale darauf hin, dass zwei weitere wichtige Systeme, mit denen die Piloten Geschwindigkeit, Höhe und Richtung überwachen, ausgefallen sind. Dann gibt es eine ganze Flut von anderen elektrischen Ausfällen in den Systemen, die den Hauptflugcomputer und die Tragflächen-Störklappen kontrollieren. Die letzte Meldung kam dann, wie bereits bekannt, um 23.14 Uhr brasilianischer Zeit. Sie weist auf einen Abfall des Kabinenluftdrucks und einen Ausfall der Elektrik hin." [9] Nun soll "eindeutig ein fehlerhafter Geschwindigkeitsmesser die Ursache" des Absturzes gewesen sein. "Demnach habe das Versagen der Sonden zur Geschwindigkeitsmessung zum Absturz des Air-France-Airbus in den Atlantik geführt", behauptet die französische Zeitung Le Figaro. [10] Aha, eindeutig. Die anderen Meldungen waren dann also weniger eindeutig. Soll ich Ihnen etwas sagen: Wir wissen gar nichts, alles reine Spekulation. Wir wissen nur, dass das Flugzeug in den Atlantik gestürzt ist. Die wahre Ursache wird sich hoffentlich noch herausstellen, sobald die Flugschreiber geborgen sind (wenn man sie überhaupt je findet). Dass die Presse heftig über das Unglück spekuliert, ist vollkommen normal. Es gibt ja sonst nichts Wichtiges zu berichten - höchstens die bevorstehende Hochzeit von Boris Becker mit einer gewissen Lilly Kerssenberg. Und dass TV-Moderator Oliver Pocher jetzt mit Beckers Ex, Sandy Meyer-Wölden, Nachfolgerin und gleichzeitig Vorgängerin von Lilly, zusammen ist (puh, die Welt ist ganz schön kompliziert, und irgendwie hängt halt alles zusammen). Schlimm sind jedoch die Meldungen, die die Presse jetzt fast jeden Tag verbreitet:
Im vergangenen Jahr habe es bei Flugzeugunglücken weltweit 598 Tote gegeben - im Straßenverkehr dagegen 1,2 Millionen. Jan-Arwed Richter vom Flugunfallbüro JACDEC (Jet Airliner Crash Data Evaluation Centre) in Hamburg: "Der gefährlichste Teil einer Reise ist immer noch der Weg zum Flughafen." [16] Endlich: Stimmen der Vernunft! ---------- [1] Focus vom 02.06.2009 [2] Spiegel-Online vom 02.06.2009 [3] tagesschau.de vom 02.06.2009 [4] Wikipedia, Chronik der Luftfahrtkatastrophen 1951 bis 1975, Chronik der Luftfahrtkatastrophen 1976 bis 1990 und Zwischenfälle der Boeing 747 [5] Rheinische Post-Online vom 05.06.2009 [6] Frankfurter Rundschau vom 06.06.2009 [7] Spiegel-Online vom 02.06.2009 [8] Die Welt-Online vom 03.06.2009 [9] Stern vom 04.06.2009 [10] Spiegel-Online vom 11.06.2009 [11] Süddeutsche vom 11.06.2009 [12] Spiegel-Online vom 10.06.2009 [13] Stern vom 11.06.2009 [14] n-tv vom 11.06.2009 [15] Wikipedia, Zwischenfälle der Boeing 747 [16] n-tv vom 11.06.2009 |