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09. August 2009, von Michael Schöfer
Nebelkerzen, nichts als Nebelkerzen


Bankgeschäfte beruhen im Wesentlichen auf Vertrauen, und das gleich in mehrfacher Hinsicht. Erstens müssen die Kunden natürlich auf die Solidität und Kompetenz der Bank vertrauen, zweitens auf ihre Verschwiegenheit und drittens auf die Ehrlichkeit ihrer Aussagen. Nun, die Finanzkrise hat uns in dieser Hinsicht eines Besseren belehrt. Die Banken sind, wie sich bedauerlicherweise herausgestellt hat, weder solide, kompetent noch ehrlich. Verschwiegen haben sie uns vor allem die Risiken.

Beispiel Hypo Real Estate (HRE): "Die Hypo Real Estate Group bestätigt (...) Ihre bisherige Aussage, aus der Krise um die US-Subprime keine negativen Belastungen zu erwarten. In der gewerblichen Immobilienfinanzierung betreibt die Gruppe direkt weder Finanzierungen noch Risikonahmen im Subprime Segment. Unsere CDO Investments haben keinen direkten Bezug zu Subprime. (…) Selbst wenn es zu einem vollständigen Zusammenbruch des Subprime Marktes käme, wäre dies im Rahmen unserer kalkulierten Risikovorsorge mehrfach abgedeckt." [1]

"Auch die Depfa-Bank [eine Tochter der HRE] erklärte, sie sei nicht im Markt für US-Ramschhypotheken (Subprime) engagiert. 'Wir haben kein Exposure am US-Subprime Markt. Von daher gibt es aus diesem Bereich auch keine Risiken', unterstrich ein Sprecher der Bank." [2] Die Geschäftspolitik der Depfa wurde von der Presse bejubelt: "Wachstum ohne Risiko. (…) Das Geschäftsmodell von Depfa ist genial", schrieb etwa Focus-Money am 06.09.2006. Die Depfa glänzte 2006 mit einer Eigenkapitalrendite von 21 Prozent (nach Steuern). [3] Damit lag sie noch vor der Deutschen Bank, die sich im gleichen Zeitraum mit 20,3 Prozent begnügen musste. [4] Ob sich Josef Ackermann geärgert hat, ist nicht überliefert. "Die DEPFA BANK ist sehr zuversichtlich im Hinblick auf ihre Investitionsstrategie und das zukünftige Wachstum", teilte sie uns noch mit.

"Dem größten deutschen Spezial-Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate hat die US-Hypothekenkrise nicht geschadet. Nach Ansicht von Vorstandschef Georg Funke geht das Institut sogar gestärkt aus der Marktkrise hervor", las man Ende 2007. "Da die auf Gewerbeimmobilien und öffentliche Projekte spezialisierte Bank nicht im US-Privatmarkt tätig sei, habe sich die Krise nicht direkt auf den Konzern ausgewirkt. (…) Insgesamt habe die Immobilienkrise gezeigt, dass sich das HRE-Geschäftsmodell als solide erweise." [5]

In einschlägigen Finanzforen wurde deshalb unkritisch nachgeplappert: "Nach Ansicht der Analysten profitiert die HRE-Aktie tendenziell von der Krise, weil höhere Zinsmargen höhere Funding-Kosten überkompensierten und das Unternehmen kein Funding-Problem habe. (…) Die Aktie ist ein Kauf, die Geschäfte laufen laut Vorstand gut und an den Subprimes nicht beteiligt. Das werden sicherlich blendende Zahlen. Ein KGV von etwa 8,5 für 2008 verspricht noch Kurssteigerungen." [6] Die Aktie habe Nachholbedarf, redeten sich die vermeintlichen "Finanzexperten" ein. So kann man sich täuschen.

HRE-Chef Georg Funke nahm es offenbar mit der Wahrheit nicht so genau, denn seine Bank kam allen Beteuerungen zum Trotz gehörig ins Trudeln. Die Depfa Bank in Dublin erwies sich nämlich als Zockerbude. Oder lag dem Ganzen eine aus eklatanter Inkompetenz resultierende Fehleinschätzung zugrunde? Das "geniale Geschäftsmodell" der Depfa stellte sich jedenfalls am Ende als Archillesferse heraus. Um Geld zu sparen und den Profit zu erhöhen hatte die Depfa langristige Ausleihungen kurzfristig refinanziert. Damit verstieß sie freilich gegen die "goldene Bankregel", nach der langfristige Ausleihen auch langfristig zu finanzieren sind. "Die goldene Bankregel ist eine klassische Finanzierungsregel, die für den Bereich der Kreditwirtschaft Anwendung finden soll. Danach darf kurzfristig aufgenommenes Geld nur kurzfristig ausgeliehen werden, während langfristig aufgenommenes Kapital langfristig ausgeliehen werden darf. Es soll damit das Prinzip der Fristenkongruenz eingehalten werden." [7]

Axel Troost (MdB, Die Linke) schrieb hierzu: Es "wurde deutlich, dass das Geschäftsmodell der übernommenen Depfa unter den Bedingungen der Finanzmarktkrise nicht mehr funktionierte. Die irische Depfa hatte sich das Geld für die Kredite, die sie an Kommunen und andere öffentliche Schuldner vergeben hat, ca. zur Hälfte über langfristige, gesicherte Anleihen (ähnlich wie Pfandbriefe) besorgt. Die andere Hälfte der Refinanzierung lief über kurzfristige Geldaufnahme. Der Gewinn bestand üblicherweise darin, dass in der Regel die Zinsen, die die Depfa für die kurzfristige Geldaufnahme zahlen musste, deutlich niedriger waren als die Zinsen, die sie von den Kommunen und sonstigen öffentlichen Gläubigern bekam. Im Zuge der Finanzkrise stiegen die kurzfristigen Zinsen aber erheblich an, langfristige Anleihen waren wegen des Vertrauensverlustes kaum mehr unterzubringen. Dadurch wurde die Refinanzierung der Depfa unausweichlich immer kurzfristiger, immer krisenanfälliger und immer teurer. (…) Vor der Lehman-Pleite wurde die kurzfristige Refinanzierung immer schwieriger, danach wurde sie unmöglich. (…) Der Risikocontroller der HRE-Holding hat vor dem [HRE-Untersuchungs-]Ausschuss ausgesagt, dass er und sein Vorgesetzter schon bald nach Übernahme der Depfa vor den Gefahren bei der Liquidität gewarnt habe. Beim HRE-Vorstand sei dies aber auf taube Ohren gestoßen." [8]

Es wurde weiter mit Nebenkerzen geworfen: "Die Hypo Real Estate Group hat sich eine umfangreiche neue Kreditlinie gesichert, deren Ausgestaltung das Unternehmen vom Einfluss der derzeit weitgehend funktionsunfähigen internationalen Geldmärkte abschirmt. (…) Die neue Kreditlinie verwirklicht einen weitreichenden und innovativen Ansatz, mit dem wir unsere Finanzierungsstruktur so anpassen können, dass sie den derzeitigen Fehlfunktionen an den internationalen Geldmärkten gerecht werden. Die Hypo Real Estate Group wird diese Geldmärkte auf absehbare Zeit nicht mehr in Anspruch nehmen müssen." [9] Ha, ha, ha! Die Geldmärkte wurden tatsächlich nicht mehr in Anspruch genommen, vielmehr der Steuerzahler.

Der Staat sah sich genötigt, helfend einzugreifen. Aber auch hier wurde zunächst abgewiegelt. "Erstmals drohte mit der Hypo Real Estate eine große deutsche Bank umzufallen. Und das nicht wegen Ausfällen auf Wertpapiere oder Kredite, sondern wegen fehlender Liquidität." [10] Die HRE selbst, so wurde beteuert, sei grundsolide. "Es handelt sich bei Hypo Real Estate um ein grundsolides Unternehmen mit einem grundsoliden Geschäftsmodell. (…) Sie hat kein Soliditätsproblem, kein Solvenzproblem, sondern sie hat ein Liquiditätsproblem", versicherte Torsten Albig, der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, den anwesenden Journalisten am 06.10.2008 auf einer Regierungspressekonferenz. [11]

Die Misere der HRE sei also allein auf den Zusammenbruch des Interbankenmarktes zurückzuführen, auf dem sich die Banken gegenseitig Geld leihen. Wegen der allgemeinen Vertrauenskrise würden sich die Banken diesbezüglich zurückhalten. Sie trauen sich nicht mehr über den Weg, hieß es. "Die HRE geht nicht in die Knie, weil sie sich - wie die Kollegen von der SachsenLB oder der IKB - am US-Markt für Ramsch-Hypotheken verzockt hat." [12] "Nicht milliardenschwere Abschreibungen, sondern Finanzierungsprobleme waren es, die die Hypo Real Estate (...) kollabieren ließen." [13] Mit anderen Worten: Die HRE ist an ihrer Schieflage vollkommen unschuldig. Schuld hat der böse Interbankenmarkt.

Im Nachhinein ist man immer schlauer: "Bei der Hypo Real Estate darf offenbar seit Jahren - zumindest mit staatlicher Duldung - munter Geld verbrannt werden: Entstanden ist der Finanzkonzern am 29. September 2003 als eine Art Schrottplatz für verkorkste Immobiliengeschäfte der Hypo-Vereinsbank." [14] So schnell geht das - vom "genialen Geschäftsmodell" zum "Schrottplatz für verkorkste Immobiliengeschäfte". The higher they climb the harder they fall. Die Hypo Real Estate war also schon vor der Finanzkrise keineswegs grundsolide, die Risiken sind bloß - bewusst oder unbewusst - übersehen worden.

Die Nachrichten wurden mit der Zeit immer schlimmer, die HRE erwies sich als Fass ohne Boden, mittlerweile hat die Bundesregierung mehr als 100 Mrd. Euro in Form von Garantien und Beihilfen in die Hypo Real Estate gepumpt. Darüber hinaus ist die HRE inzwischen faktisch verstaatlicht. All das, um eine "Kernschmelze des Finanzsektors" zu verhindern. Die Angst vor dem Dominoeffekt: "Ein Zusammenbruch der Immobilienbank Hypo Real Estate im vorigen Herbst hätte nach Einschätzung von Bafin-Chef Jochen Sanio das Weltfinanzsystem in den Abgrund gestürzt. (…) 'Am Montagmorgen wären Sie aufgewacht und hätten sich in dem Film 'Apocalypse now' befunden', rechtfertigte Sanio die damaligen Entscheidungen zur HRE-Rettung." Auch Bundesbankpräsident Axel Weber "unterstrich, es habe zur Rettung der HRE keine Alternative gegeben. Wegen der engen Vernetzung der HRE auf dem Finanzmarkt habe ansonsten eine 'Kernschmelze' gedroht." [15] Kurzum, die Insolvenz der HRE hätte ein "unkalkulierbares Risiko" bedeutet.

Aber es kommt noch besser. Jetzt lesen wir plötzlich: "HRE will noch mehr Steuermilliarden. (…) 'Der Konzern braucht für den Fortbestand weitere Kapitalunterstützung in erheblichem Umfang', gab Vorstandschef Axel Wieandt am Freitag zu." Man höre und staune: "Nachdem sich die Situation beim Problemkind Depfa mithilfe von Milliardengarantien stabilisiert hat, bereitet der HRE nun die Talfahrt einiger Immobilienmärkte Probleme. (…) 'Wir verfolgen die Entwicklung mit großer Sorge und sehen, dass die Anzahl der problembehafteten Kredite in unserem Portfolio weiter steigt', betonte Wieandt." [16] Grund: "Hohe Abschreibungen auf faule Immobilienkredite haben im ersten Halbjahr zu Verlusten von gut 1,1 Milliarden Euro geführt." [17] Die Bank musste deswegen Wertberichtungen vornehmen, dabei ging es hauptsächlich um gewerbliche Immobilienkredite in den USA, Großbritannien und anderen europäischen Ländern sowie um faule Wertpapiere.

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die HRE sei nicht wegen Ausfällen auf Wertpapiere oder Kredite in der Krise, sondern weil der Interbankenmarkt zusammengebrochen ist. Sie habe kein Soliditäts-, sondern ein Liquiditätsproblem. Nicht milliardenschwere Abschreibungen, sondern Finanzierungsprobleme seien für den Kollaps der Bank verantwortlich. Die HRE habe sich nicht wie andere Banken verzockt. Und nun muss die Hypo Real Estate milliardenschwere Wertberichtigungen auf Immobilienkredite und Wertpapiere vornehmen. Wohlgemerkt, die des eigenen Portfolios. Es werden vermutlich nicht die letzten Wertberichtigungen sein. Abermals hat man uns hinters Licht geführt. Zahlen dürfen wir (als Steuerzahler) trotzdem. Ein dreistes Bubenstück.

Es könnte noch schlimmer kommen: "Laut einem Zeitungsbericht wurden [bei der Hypo Real Estate] hochspekulative Milliarden-Geschäfte außerhalb der Bilanz getätigt. (...) Die 'Hannoversche Allgemeine Zeitung' berichtet (...) von - teilweise hochspekulativen - Geschäften in Höhe von knapp 600 Milliarden Euro, die nicht in der Bilanz auftauchten. Das wäre mehr als die offizielle Bilanzsumme, die bei 400 Milliarden liegt. Zusammen würde sich folglich ein Betrag von knapp einer Billion Euro ergeben, die der angeschlagene Immobilienfinanzierer laufend mit neuen Krediten refinanzieren müssen." Die Bank dementierte umgehend: "Die HRE wies die Spekulationen über einen angeblichen Refinanzierungsbedarf von einer Billion Euro energisch zurück. Dies sei eine Falschinterpretation, erklärte der Konzern. Die HRE verfüge zwar über Derivate mit einem Nominalvolumen in der genannten Größenordnung. Doch müsse nur der Marktwert in der Bilanz verbucht werden, nicht das dahinterliegende Nominalvolumen. Mit Derivaten sichere sich das Geldinstitut wie andere Banken auch gegen Kredit- und Marktrisiken ab. 'Die Absicherung zielt auf die Vermeidung von Risiken ab, nicht auf das Eingehen zusätzlicher Risiken', hieß es." [18]

Nun muss die HRE kleinlaut eingestehen: "Das Ergebnis aus Sicherungszusammenhängen belief sich auf -107 Mio. € (...). Hier wirkten sich zwei Effekte aus. Zum einen resultierte aus Hedge-Ineffizienzen ein Aufwand von -84 Mio. € (...). Zum anderen ergab sich ein höheres negatives Bewertungsergebnis von -23 Mio. € (...) aus 'designated at Fair Value through Profit or Loss (dFVTPL)-Vermögenswerten' und dazugehörigen Derivaten. Die beizulegenden Zeitwerte dieser auf Zinsrisiken gesicherten Positionen haben sich aufgrund von Credit-Spread-Veränderungen verschlechtert." [19] Anders ausgedrückt: Das mit der Absicherung hat nicht geklappt. Banker würden sagen: suboptimal.

Das Spiel wird zweifellos weitergehen, und die Katastrophenmeldungen serviert man uns sicherlich nur häppchenweise. Einfach skandalös. Dass die Anleger jetzt auf Schadenersatz klagen und Ex-HRE-Chef Funke ebenfalls Gehaltsnachzahlungen fordert, setzt dem Ganzen noch das Sahnehäubchen obendrauf. Solange es die Deutschen phlegmatisch zu tragen bereit sind... Den Umfragen zufolge wird uns demnächst ein Gespann aus Merkel (Physikerin), Guttenberg (Jurist) und Westerwelle (Jurist) regieren. Das kann ja heiter werden.

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[1] Hypo Real Estate, Presseinformation vom 03.08.2007, PDF-Datei mit 20 kb
[2] manager-magazin vom 03.08.2007
[3] Depfa Bank, Ad-hoc-Meldung vom 12.02.2007, PDF-Datei mit 79 kb
[4] Deutsche Bank, Der Konzern im Dreijahresvergleich
[5] Handelsblatt vom 07.11.2007
[6] wallstreet-online
[7] Wirtschaftslexikon24.net
[8] Axel Troost, Das große Ganze und seine Details, Ein Zwischenfazit zum HRE-Untersuchungsausschuss, 12.07.2009
[9] Hypo Real Estate, Presseinformation vom 29.09.2008, PDF-Datei mit 21 kb
[10] Welt-Online vom 29.09.2008
[11] Bundesregierung
[12] N24 vom 01.10.2008
[13] boese.ARD.de vom 29.09.2008
[14] Focus-Money vom 06.02.2009
[15] manager-magazin vom 30.07.2009
[16] manager-magazin vom 07.08.2009
[17] Deutsche Welle vom 07.08.2009
[18] boerse.ARD.de vom 20.02.2009
[19] Hypo Real Estate, Presseinformation vom 07.08.2009, PDF-Datei mit 102 kb