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18. August 2009, von Michael Schöfer
Menetekel für Israel


Im Gazastreifen bekämpften sich vor Tagen die radikale Hamas und eine noch radikalere Islamistengruppe namens "Dschund Ansar Allah" (Krieger Gottes), die angeblich al-Qaida nahestehen soll. "Bei den schweren Kämpfen wurden nach Angaben einer Menschenrechtsgruppe 28 Menschen getötet und etwa 100 weitere verletzt." [1] Dschund Ansar Allah wollte den Gazastreifen zu einem islamischen Emirat ausrufen, die Hamas fühlte sich herausgefordert und reagierte mit Gewalt, dem Emirat war dadurch ein recht kurzes Leben beschieden.

Rückkehr zur Normalität, könnte man jetzt sagen (soweit man diesen Begriff überhaupt auf den Nahen Osten anwenden darf). Doch der Versuch der Krieger Gottes, die Herrschaft der Hamas zu brechen, ist ein Menetekel für Israel. Es wir immer wieder kolportiert, der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet habe die Hamas in den Anfangsjahren als Gegengewicht zur PLO aufgebaut oder deren Gründung zumindest geduldet. Später sei die Hamas dann bedauerlicherweise aus dem Ruder gelaufen. Das wird von israelischer Seite selbstverständlich dementiert. Wie dem auch sei, die Hamas hat jedenfalls inzwischen der immer gemäßigter auftretenden PLO den Rang abgelaufen, das haben die Wahlen vom 25.01.2006, bei denen die Hamas die Mehrheit erringen konnte, bewiesen.

Doch die Hamas agiert momentan ebenfalls ziemlich zurückhaltend. Es wird heftig darüber spekuliert, ob sie künftig eine pragmatischere Haltung einnimmt oder nicht. Genau in diese vermeintliche Lücke wollte Dschund Ansar Allah stoßen. Vorerst jedoch ohne Erfolg. Es wird vermutlich nicht der letzte Versuch gewesen sein, der Hamas den Platz streitig zu machen. So wie einst die Hamas begann, die PLO zu verdrängen, gerät sie jetzt ihrerseits aus einer noch radikaleren Ecke unter Druck. Darunter könnte vor allem Israel zu leiden haben, weil sich der israelisch-palästinensische Konflikt dadurch unter Umständen weiter verschärft.

Aber Israel ist daran gewiss nicht unschuldig. Seit es 1967 im Sechstagekrieg das einstige biblische Kernland (Judäa und Samaria) eroberte [2], ist man dem Frieden - trotz Oslo und Roadmap - faktisch nicht näher gekommen. 1972 lebten lediglich 1.182 jüdische Siedler im Westjordanland (ohne Ost-Jerusalem). 1991, als in Madrid eine arabisch-israelische Friedenskonferenz stattfand, waren es 90.300. 1995, als man das Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen unterzeichnete, lebten dort bereits 133.200 Siedler. [3] Und bis Ende Juni 2009 ist die Zahl der jüdischen Siedler auf stattliche 304.569 gestiegen. [4] Die Siedler nehmen ungeachtet aller Friedensbemühungen von Jahr zu Jahr zu, dabei ist die Siedlungsfrage eine der zentralen Fragen des Nahostkonflikts.



Ob Israel tatsächlich bereit ist, das einstige jüdische Kernland aufzugeben, bleibt angesichts der Stärke der Siedlerlobby offen. Doch ohne den Rückzug Israels aus dem Westjordanland ist Frieden vollkommen undenkbar. Und je länger Israel Besatzungsmacht ist, desto mehr Einfluss bekommen die Radikalen. Gestern PLO, heute Hamas, morgen... Großes Fragezeichen! Die Lage erscheint immer aussichtsloser, weil die gegensätzlichen Positionen immer weniger für ein Friedensabkommen taugen. [5] Ob Israel dadurch langfristig gewinnt, ist äußerst zweifelhaft. Wir dürfen gespannt sein, ob US-Präsident Obama daran etwas ändern kann.

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[1] Reuters vom 16.08.2009
[2] siehe Israel/Palästina: Der endlose Konflikt vom 31.07.2004
[3] Foundation for Middle East Peace, Comprehensive Settlement Population 1972-2007
[4] israelnetz.com vom 27.07.2009
[5] siehe Es wird Zeit, sich mit der Hamas zu beschäftigen
vom 06.01.2009