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23. August 2009, von Michael Schöfer
Artikel transportiert antisemitische Vorurteile


Was hat das schwedische Boulevardblatt "Aftonbladet" (deutsch: Das Abendblatt) bloß geritten, einen solchen Artikel zu schreiben? In "Våra söner plundras på sina organ" (Unsere Söhne geplündert für ihre Organe) vom 17.08.2009 "waren Anschuldigungen von Palästinensern wiedergegeben worden, ihre getöteten Verwandten seien im Jahr 1992 von israelischen Soldaten Organe entfernt worden. Ohne Beweise stellte der Autor des Artikels einen Zusammenhang zu aktuellen Ermittlungen gegen einen Rabbiner in den USA wegen Organhandels her." [1] Dem Homo sapiens ist bekanntlich keine Tat fremd, sei sie auch noch so widerlich, doch wenn man derartige Anschuldigungen veröffentlicht, sollten wenigstens Beweise vorliegen. Offenbar ist das nicht der Fall. Kein Wunder, wenn die israelische Regierung empört ist.

Ritualmordlegenden waren schon von jeher ein beliebtes Mittel von Antisemiten, das christliche Abendland gegen die Juden aufzuhetzen. Bereits im ersten Jahrhundert nach Christus soll behauptet worden sein, dass die Juden "alle sieben Jahre einen Fremden gefangennehmen, wegführen, schlachten und sein Fleisch in kleine Stücke schneiden." Immer wieder kam es zu Ritualmordanklagen, "sie endeten fast alle mit Pogromen und Hinrichtungen der Angeklagten". [2] Antisemitische Ritualmordlegenden gibt es noch heute, insbesondere in den islamischen Ländern. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund ohne Belege eine Story über den angeblichen Handel mit Organen erschossener Palästinenser zu veröffentlichen, ist entweder bösartig oder dumm. Vermutlich sogar beides.

Um nicht missverstanden zu werden: Kritik an Israel und der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern ist durchaus erlaubt und angesichts des völker- und menschenrechtswidrigen Verhaltens Israels zweifellos geboten. Wenn man Beweise für solch abscheuliche Taten vorlegen kann - bitteschön, dann steht einer Veröffentlichung nichts im Wege. Doch Aftonbladet streut lediglich Gerüchte, das hätte das Boulevardblatt besser nicht getan.

Viele werden sich an die Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung "Jyllands-Posten" erinnert fühlen. [3] Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen lehnte damals eine Entschuldigung mit dem Hinweis auf die in Dänemark geltende Pressefreiheit ab. Zu Recht. Jetzt lehnt der schwedische Außenminister Carl Bildt juristische Schritte gegen Aftonbladet ebenfalls ab. Die Pressefreiheit in Schweden sei geschützt, betont er. Auch Schwedens Ministerpräsident Frederik Reinfeldt weist Forderungen aus Jerusalem mit Verweis auf die Pressefreiheit zurück. Das ist, analog zum Fall Jyllands-Posten, sicherlich genauso richtig. Die schwedische Regierung ist weder für die Veröffentlichung verantwortlich noch darf sie Zeitungen zensieren. Die Grenzen werden, wie in einer Demokratie üblich, allein von den Gesetzen gezogen. Es gibt folglich keinen Grund, den Forderungen aus Israel nachzukommen. Das macht allerdings den verantwortungslosen Artikel nicht weniger scheußlich.

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[1] tagesschau.de vom 23.08.2009
[2] Wikipedia, Ritualmordlegende
[3] siehe Wikipedia, Mohammed-Karikaturen