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12. September 2009, von Michael Schöfer
Wunderwaffe Steinbrück


Bei der SPD scheinen sie aufgewacht zu sein. Oder sie haben im Willy-Brandt-Haus kürzlich einen Praktikanten eingestellt, der rechnen kann. Wie auch immer, jedenfalls sind die Sozis schlagartig zu der Erkenntnis gelangt, dass man sich bis zur Bundestagswahl noch ein bisschen anstrengen muss. Bei den Landtagswahlen am 30. August, so förderten zumindest die akribischen Nachforschungen des Praktikanten zutage, bekam die SPD im Durchschnitt magere 17,8 Prozent (24,5 + 18,5 + 10,4 : 3). "Das reicht nicht ganz", hat wohl Steinmeier zu Steinbrück gesagt, "damit bleibe ich ja nicht einmal Vizekanzler." Und Steinbrück hat daraufhin nachgedacht. Und nachgedacht... Und nachgedacht.... Bis ihm schließlich ein Licht aufging. "Fordern wir doch einfach eine internationale Finanztransaktionssteuer", stieß er hervor. "Geniale Idee", erwiderte Kanzlerkandidat Steinmeier. Gesagt, getan.

Die SPD will also neuerdings Banken, Versicherungen und Investmentfonds an den Kosten der Finanzkrise beteiligen und künftig die Spekulation eindämmen. Im Grunde eine gute Sache und seit Jahren auf der Agenda von Attac, der Organisation, die sogar eigens hierfür gegründet wurde (association pour une taxation des transactions financières pour l'aide aux citoyens, dt. Vereinigung für eine Besteuerung von Finanztransaktionen zum Nutzen der Bürger). Bloß merkwürdig, dass die SPD die Tobin-Tax erst 14 Tage vor der Wahl aus dem Hut zaubert und darüber hinaus ihren Sinneswandel ausgerechnet von Peer Steinbrück verkünden lässt. Kein Zweifel, Steinbrück kann das hervorragend. Seit Ausbruch der Finanzkrise tritt er als harter Regulierer auf - ganz so, als sei er schon immer für strenge Regulierung eingetreten. Dieses propagandistische Kunststück will er offenbar in Bezug auf die Tobin-Tax wiederholen.

Doch zu seinem Leidwesen geht im Internet nichts verloren: "Die Idee einer Abgabe auf internationale Finanztransaktionen tauche immer mal wieder auf wie das 'Ungeheuer von Loch Ness', geht Peer Steinbrück auf Distanz", lesen wir dort. [1] Im Februar 2009 vertraten Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück gemeinsam die Auffassung: "Die Börsenumsatzsteuer auf Wertpapiergeschäfte unterscheidet sich klar von den Plänen zur Einführung einer weltweiten Tobin-Steuer auf Devisentransaktionen, die wir nicht verfolgen." Auf den Devisenmärkten seien die "Transaktionskosten sehr gering, sodass eine Tobin-Steuer die Kosten zum Schaden des Finanzstandorts hier merklich erhöhen könnte." [2]

"Sehr geehrter Herr Steinbrück, wie stehen Sie zur Einführung der Tobin-Steuer? Halten Sie diese für sinnvoll?", fragt Malika den Finanzminister bei einem Internet-Chat am 28. Mai 2009. Peer Steinbrück antwortet: "Das Thema verfolgt mich seit meinem ersten Semester im letzten Jahrtausend. Wenn nicht alle Länder eine solche Transaktionsteuer auf alle Finanzmarktgeschäfte einführen, können Sie das Ding vergessen." [3] Und auf der Fachtagung des DGB "Umdenken - Gegenlenken - Finanzmärkte zähmen" am 1. Juli 2009 hörte sich die Meinung des SPD-Politikers zur Tobin-Tax folgendermaßen an: "Ich bitte wirklich um Nachsicht, dass ich an einer Stelle einer Gewerkschaftsdiskussion nicht folge, die ich seit 40 Jahren kenne, das ist die Einführung der Tobin-Steuer. Bitte quälen Sie mich nicht heute wieder damit. Ich halte es für aussichtslos. Auch vor dem Hintergrund eines nicht auszuschließenden Gefälles: Entweder müssen alle eine Finanzmarkttransaktionssteuer einführen oder keiner. Aber die Vorstellung, sie in der Bundesrepublik Deutschland einzuführen, aber in Mailand oder in London oder in Paris oder in Den Haag oder in Brüssel nicht, macht keinen Sinn." [4]

Das "Ungeheuer von Loch Ness", das Steinbrück seit seinem ersten Semester im letzten Jahrtausend verfolgt, ist überraschend aufgetaucht. Das, wovon die SPD sich noch im Februar 2009 klar distanzierte und was sie überdies als schädlich für den Finanzstandort bezeichnete, ist ab sofort Programm. "Bei einer Einführung der Steuer seien (...) Ausweichreaktionen auf andere Handelsplätze kaum zu erwarten", schreiben Steinmeier und Steinbrück heute. [5] Warum war die Einführung der Tobin-Tax im Juli noch "aussichtslos" und schon allein das Thema quälend, während man sich jetzt dafür stark macht? Warum diese Kehrtwende um 180 Grad? Ist es aufkommende Panik, weil die Wahlprognosen katastrophal ausfallen? Oder hat die SPD tatsächlich dazugelernt? Wahrscheinlich ist das verblüffte Publikum einfach zu misstrauisch. Das wird’s sein. Mal gespannt, ob die Wunderwaffe Steinbrück am Wahltag Wirkung zeigt.

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[1] Das Parlament vom 27.03.2006
[2] Bundesfinanzministerium, Die Finanzmärkte grundlegend neu ordnen - Unsere Finanzmarktgrundsätze, Seite 19, PDF-Datei mit 150 kb
[3] Bundesfinanzministerium
[4] Bundesfinanzministerium
[5] SPD, Lehren aus der Krise ziehen und Lasten fair verteilen