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12. September 2009, von Michael Schöfer
Doppeltes Bezahlen ist Abzocke


Google, gemeinhin als Datenkrake verschrien, hat Internet-Nutzern natürlich auch immense Vorteile zu bieten, sonst wäre das Unternehmen nicht so erfolgreich. Abgesehen von der Suchmaschine nutze ich häufig "Google news", um Zeitungsartikel zu finden, aus denen ich zitieren kann. Recherchen stehen immer am Anfang. Der schnelle Blick auf das aktuelle Tagesgeschehen ist ebenfalls wichtig. Google wird allerdings von Zeitungsverlegern der Vorwurf gemacht, von den journalistischen Inhalten anderer ungerechtfertigt zu profitieren, d.h. von der Arbeit der Zeitungsverleger zu leben. So spricht etwa Hubert Burda, Präsident des Verbandes der deutschen Zeitschriftenverleger, von einer "schleichenden Enteignung der Produzenten". [1] Dabei nutzt Google nur das, was die Verleger im Netz öffentlich zugänglich machen. "Google news" klaut nicht, Google verlinkt. Auch "Google bücher", ein Projekt, bei dem der Suchmaschinenbetreiber Bücher einscannt und im Netz zur Verfügung stellt, steht im Fokus der Urheber.

Selbstverständlich müssen Verleger, Journalisten und Autoren von etwas leben, sonst müssten sie sich zwangsläufig einen anderen Job suchen. Und Qualität hat fraglos seinen Preis. Ein Leben ohne Zeitungen und Bücher? Undenkbar! Jedenfalls für mich. Selbst Blogger sind auf professionelle Redaktionen angewiesen, weil sie von dort den Großteil ihrer Informationen beziehen. Weblogs können Zeitungen also nie ersetzen, sie ergänzen sie lediglich. Angeblich ist das Geschäftsmodell der Verlage durch das Internet in höchster Gefahr, das Anzeigeaufkommen sinkt genauso kontinuierlich wie die Auflage der Printausgaben. Das wäre nicht besonders schlimm, wenn das Internet die schrumpfenden Einnahmen kompensieren würde. Tut es aber nicht, denn im Internet ist fast alles kostenfrei. Hier wird gewissermaßen die Anarchie der Globalisierung auf die Spitze getrieben: "Arbeit wird billig wie Dreck", schrieb Horst Afheldt vor 15 Jahren, weil es immer irgendwo jemanden gibt, der seine Arbeitskraft noch billiger anbietet. Und dieser Jemand ist im Netz nur einen Klick weit entfernt.

Konkret heißt das: Eine Tageszeitung kann für ihre Online-Ausgabe keine Nutzungsgebühren verlangen, weil die Inhalte andernorts kostenfrei angeboten werden. Warum soll der User zum Beispiel bei XY Geld für einen Artikel über den G20-Gipfel zahlen, wenn er ihn woanders ohne Gebühr bekommen kann? Und exklusiver Content ist rar, was schließlich nicht die Schuld der User ist, sondern in erster Linie die der Anbieter. Die Verlage sind deshalb in einem Dilemma. Entweder sperren sie ihre Inhalte ganz und werden dadurch weniger zur Kenntnis genommen, oder sie sehen sich zwangsläufig nach anderen Einnahmequellen um. Ob Google tatsächlich an den schrumpfenden Einnahmen der Verlage schuld ist, darf bezweifelt werden. Würde es ohne "Google news" wirklich mehr Zeitungsleser geben? Würden die Autoren ohne "Google bücher" wirklich mehr Bücher verkaufen? Wohl kaum.

Die Verlage müssen sich vielmehr vorhalten lassen, die durchs Internet hervorgerufenen neuen Verbreitungsformen der literarischen Kultur lange Zeit verschlafen zu haben. Ohne "Google bücher" würden wir wahrscheinlich noch in zwanzig Jahren von einer leicht zugänglichen Weltbibliothek träumen. Es ist doch phantastisch, dass ich heute weltweit in Büchern stöbern kann. Bücher, die ich vielleicht für ein Zitat brauche, aber selbst ohne "Google bücher" nie kaufen würde. Insofern entgehen den Autoren auch keine Einnahmen. Im Gegenteil, unter Umständen werden andere durchs Zitieren auf bestimmte Werke erst aufmerksam gemacht.

Bücher lese ich nie online, bei Zeitungen höchstens einzelne Artikel. Für Bücher und Zeitungen in Papierform entrichte ich nach wie vor bereitwillig meinen Obolus an der Ladenkasse bzw. als Abonnent. Das wird sich auch nicht ändern. Im Internet lange Artikel zu lesen, ist mir ohnehin ein Graus. Daher gehe ich auch nie mit dem Notebook ins Bett, sondern seit Jahrzehnten mit einem Buch. Und informative Hintergrundberichte lese ich gerne am Frühstückstisch in der Printausgabe meiner Zeitung. Das "world wide web" brauche ich vor allem als Nachschlagewerk. Außerdem enthalten viele nichtkommerzielle Websites Anregungen und Sichtweisen, die ich in den etablierten Medien leider vergeblich suche. So haben etwa die Mainstreammedien vor der Finanzkrise kläglich versagt - eben weil sie Mainstream waren. Wenn ich im Internet für die bislang kostenlos genutzten Inhalte bezahlen müsste, würde ich lieber darauf verzichten. Das doppelte Bezahlen empfinde ich nämlich als Abzocke.

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[1] Der Tagesspiegel vom 01.07.2009