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11. Oktober 2009, von Michael Schöfer
Inflation oder Deflation?


Viele fürchten die Inflation, nicht zuletzt deshalb ist der Goldpreis mittlerweile auf 1.049,25 US-Dollar je Feinunze geklettert (Stand: 09.10.2009). Vor Ausbruch der Finanzkrise lag er bei 649,50 US-Dollar (Stand: 05.07.2007) und hat damit um 61,5 Prozent zugelegt. Massenhafte Flucht in die Sachwerte. Manche sehen sogar einen Goldpreis von 5.000 US-Dollar je Feinunze auf uns zukommen. [1] Bläht sich hier nicht erneut eine Blase auf, die unweigerlich platzen muss?

Nun ist die Angst vor der Geldentwertung durchaus verständlich, vor allem in Deutschland hat man damit ja in der Tat schlimme Erfahrungen gemacht. Doch während die meisten die drohende Inflation im Fokus haben, sollten wir uns besser über deflationäre Tendenzen Gedanken machen. Das ist, zumindest vorerst, ein viel naheliegenderes Problem. Wie das Statistische Bundesamt mitgeteilt hat, sind die Verbraucherpreise im September 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat um 0,3 Prozent gesunken. Obgleich die Industriestaaten viel Liquidität in die Märkte pumpten (ein Argument, das die Inflationsgefahr belegen soll), sinken die Preise.


[Quelle: Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr.383 vom 09.10.2009]

Eine höhere Inflation mag vielleicht irgendwann einmal tatsächlich einsetzen, die deflationären Tendenzen sind jedoch bereits da. Die Zahlen belegen es. Es wäre fatal, würden sich diese Tendenzen verfestigen und in eine ausgewachsene Deflation münden.

Wie man die Gefahr, Inflation oder Deflation, beurteilt, ist nicht unwichtig, denn die Politik wird natürlich entsprechend ihrer Prognose über die weitere Entwicklung handeln. Doch Vorhersagen sind außerordentlich schwer, vor allem solche über die Zukunft (Niels Bohr). Wohin die schwarz-gelbe Koalition strebt, ist offen. Die Quadratur des Kreises, Steuersenkungen bei gleichzeitiger Einhaltung der Schuldenbremse, wird wohl kaum gelingen. Wenn dabei eine Politik herauskommt, die abermals die Unternehmen und die Besserverdienenden entlastet, die unteren und mittleren Einkommensbezieher hingegen belastet, dürfte das zweifelsohne negative Auswirkungen auf die Kaufkraft und damit auf die Binnenkonjunktur haben. Dann bleibt - wie gehabt - nur das Hoffen auf den Export.

Allerdings: "Die USA erwarten von Ländern wie China und Deutschland, die mehr exportieren als importieren, dass sie ihre Binnennachfrage ankurbeln", verlautete auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh. [2] Das Signal ist eindeutig: Wer weiterhin hauptsächlich auf den Export setzt, verstärkt zwangsläufig die Ungleichgewichte auf dem Weltmarkt. Ist es vor diesem Hintergrund nicht paradox, dass die Deutschen am 27. September zwar eine neue Bundesregierung gewählt haben, aber bis dato keinen blassen Dunst davon haben, welche Politik auf sie zukommt? Das Orakel von Delphi (lies: die Koalition) berät noch. Neuerdings gilt, frei nach Forrest Gump: "Wahlen sind wie eine Schachtel Pralinen - man weiß nie was man bekommt."

Eine Politik, die die Kaufkraft auch künftig schrumpfen lässt (die Nettorealverdienste der Arbeitnehmer sind 2008 um 1 Prozent gesunken), leistet der Deflation Vorschub. Die Bekämpfung der Deflation müsste folglich auf der Agenda ganz oben stehen. Ob Schwarz-Gelb das genauso sieht, ist wenig wahrscheinlich.

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[1] Wirtschaftswoche vom 05.10.2009
[2] Süddeutsche vom 25.09.2009