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21. Oktober 2009, von Michael Schöfer
Schatten


"Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten", sagt der Volksmund. Das stimmt. Wahlkämpfende Politiker sind es gewohnt, ein Schattenkabinett aufzustellen. Das sind die, die gerne möchten, aber noch nicht dürfen. Und manchmal dürfen sie nie. Wenn wir uns thematisch weiter der Bundespolitik annähern, fällt uns prompt Wolfgang Schäuble ein, der als Bundesinnenminister für die Beschattung zuständig ist. Doch Vorsicht, bitte nicht mit dem Schattenspender verwechseln, den man gemeinhin für teures Geld an den Sandstränden Mallorcas mieten kann. Schäuble spendet nie, insbesondere dem Verfassungsgericht keinen Beifall.

Koalitionsverhandlungen wiederum gleichen - wohlgemerkt, ohne jegliche Beteiligung der Mittelmeersonne - in zweierlei Hinsicht raffinierten Schattenspielen. Erstens bleibt lange im Dunkeln, was überhaupt geplant ist. Und zweitens kocht die schwäbische Hausfrau, früher ein Synonym für haushaltspolitische Solidität, nicht nur im eigenen Bundeshaushalt, sondern neuerdings auch im Schattenhaushalt. Dort lebt nämlich ein Nachbar von Angela Merkel, dem es äußerst peinlich ist, in der Öffentlichkeit als überschuldet dazustehen. Ich weiß nicht, wie es andernorts gehandhabt wird, aber in der Pfalz sagt man zu so jemand, er habe einen Schatten - was, nebenbei bemerkt, nicht als Kompliment zu verstehen ist.

Just in diesem Schattenhaushalt will die schwäbische Hausfrau heimlich jene Schuldscheine verstecken, mit deren Gegenwert ein gewisser Westerwelle (für Zeitgenossen, die Englisch beherrschen: Mister Westwave) das Wahlvolk zu beglücken gedenkt. Okay, sagen wir es genauer: einen Teil des Wahlvolks. Ungefähr 14,6 Prozent davon, was rein zufällig dem Wahlergebnis der Liberalen (in Amerika übrigens ein schlimmes Schimpfwort) entspricht. Die Wahlvolkbeglückung soll jetzt rasch unter Dach und Fach, denn spätestens 2011 wird sich den Prognosen zufolge ein dunkler Schatten namens Schuldenbremse übers ganze Land legen. Davor haben alle Angst, obgleich sie den Schatten vor noch nicht allzu langer Zeit geradezu herbeisehnten.

Ein etwas intelligenterer Landsmann von Silvio Berlusconi, ein gewisser Leonardo da Vinci, dachte bekanntlich lange Zeit über Licht und Schatten nach. Dieser Leonardo hat bereits vor 500 Jahren den Prototyp eines Hubschraubers konstruiert. Glaubt man weitverbreiteten Gerüchten, entdeckte er ferner die Quadratur des Kreises, diese im Grunde bahnbrechende Erfindung fristete aber seitdem ein Schattendasein. Vollkommen zu Unrecht. Sein Meisterwerk wurde allerdings vor wenigen Tagen überraschend wiederentdeckt - und das ausgerechnet im Verhandlungssaal der nordrhein-westfälischen Landesvertretung, wo Schwarze und Gelbe zur Zeit dabei sind, eine Koalition zu schmieden. Zufälle gibt’s...

Bleibt mir zu guter Letzt bloß noch, die hervorstechenden Eigenschaften von Schattenpflanzen zu erwähnen: Schattenpflanzen sind sehr widerstandsfähig und passen sich schnell ihrer Umgebung an. Kann man Angela Merkel besser charakterisieren? Wohl kaum. "Eine 'schwäbische Hausfrau' würde die Lebensweisheit stützen, dass man nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben darf", hieß es auf dem CDU-Bundesparteitag Ende letzten Jahres. [1] Wer angesichts dessen behauptet, der geplante Schattenhaushalt passe nicht zur Bundeskanzlerin, weiß nichts über Schattenpflanzen oder unterschätzt sträflich deren Anpassungsfähigkeit. Merkel ist an Schatten gewöhnt: Sie wuchs im Schatten der Mauer auf, durfte im Schatten des Dicken zum ersten Mal Kabinettsluft schnuppern und wurde im Schatten der Parteispendenaffäre Bundesvorsitzende der CDU. Anderer Schatten, Edmund Stoiber, Friedrich Merz oder wie sie alle hießen, hat sie sich jedoch erfolgreich entledigt. Soviel zur Widerstandsfähigkeit. Sie sehen, im Schatten der Weltwirtschaftskrise kann Deutschland gar nichts Besseres passieren.

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[1] FAZ.Net vom 01.12.2008