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27. Oktober 2009, von Michael Schöfer
Auch Du, mein Sohn Mappus?


Einige Namen sind historisch extrem vorbelastet. Seien Sie mal ehrlich, wollten Sie "Adolf" heißen? Bestimmt nicht. Zumindest nach 1945 war dieser Vorname total out, davor war er allerdings äußerst beliebt. Ein Kind "Judas" zu nennen, würde bei Standesbeamten vermutlich auf energische Ablehnung stoßen, wenigstens im christlich geprägten Kulturraum. Judas Ischariot hat nämlich der Legende zufolge einen gewissen Jesus von Nazareth für 30 Silberlinge verraten. Seitdem ist der Name "Judas" ein Synonym für Verräter, und der Kaufpreis eines Verräters wird im Volksmund als "Judaslohn" bezeichnet. Hätten die zu Guttenbergs dereinst ihren Sprössling "Judas" und nicht "Karl-Theodor, Maria, Nikolaus, Johann, Jacob, Philipp, Franz, Joseph, Sylvester" genannt, wäre der Gute sicherlich nie Bundeswirtschafts- bzw. Verteidigungsminister geworden, obgleich Verrat in der Politik genaugenommen eher die Regel als die Ausnahme ist. Namen sind, wie man an diesem Beispiel sieht, halt doch nicht bloß Schall und Rauch, sondern manchmal sogar der Karriere abträglich.

Nun entschloss sich Angela Merkel, ihren Parteifreund Günther Oettinger in die EU-Kommission wegzuloben. Oettinger hatte als Fraktionsvorsitzender der CDU-Landtagsfraktion den Ruf eines Aktenfressers und präsentierte sich stets als bis in die Details hinein informiert. Ohne Zweifel ein harter Arbeiter. Doch Oettingers Beförderung zum baden-württembergischen Ministerpräsidenten hat das "Peter-Prinzip" abermals glänzend bestätigt: "In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen." Fürs Backoffice (den Fraktionsvorsitz) hervorragend geeignet, aber im Außendienst (als Ministerpräsident) eine glatte Fehlbesetzung. Oettinger erwies sich als miserabler Öffentlichkeitsarbeiter - etwas, das Regierungschefs heutzutage einfach beherrschen müssen.

Nachfolger von Günther Oettinger soll Stefan Mappus werden, der von weniger wohlmeinenden Zeitgenossen den Spitznamen "Brutus" angeheftet bekam. Marcus Iunius Brutus gehörte bekanntlich zu den Verschwörern, denen 44 v. Chr. in den Iden des März Gaius Julius Caesar zum Opfer fiel. Der Name Brutus hat seitdem einen negativen Beigeschmack und gilt, ähnlich wie der biblische Judas, als Musterbeispiel schändlichen Verrats. Als die Attentäter auf Caesar einstachen, soll dieser erstaunt ausgerufen haben: "Auch Du, mein Sohn Brutus?" Für Mappus ist das Etikett "Brutus" demzufolge keine Ehrenbezeichnung. Und der Spitzname rührt daher, weil Oettinger und Mappus als Intimfeinde gelten. Mappus habe schon länger am Stuhl des Ministerpräsidenten gesägt, wird in Stuttgart kolportiert.

Aber wenn man es sich genau überlegt, ist die Bezeichnung "Brutus" vielleicht doch eher positiv zu werten. Nicht, weil Stefan Mappus (er erinnert nicht nur von seiner Physiognomie her ein bisschen an Franz-Josef Strauß) in Wahrheit ein angenehmer Zeitgenosse wäre, sondern weil die Geschichtsschreibung Marcus Iunius Brutus wahrscheinlich großes Unrecht angetan hat. Gaius Julius Caesar war immerhin der Totengräber der Römischen Republik und schwang sich damals zum Alleinherrscher auf. Brutus wiederum gehörte zu den überzeugten Anhängern der Republik und wurde deshalb - z.B. von Shakespeare und Voltaire - als mutiger Tyrannenmörder und ehrenwerter Charakter dargestellt. Beim Volk hat Brutus dennoch seit jeher ein ziemlich schlechtes Image. Glücklicherweise leben wir in zivilisierten Zeiten. Gaius Julius Caesar würde man heute ebenfalls nach Brüssel abschieben und Marcus Iunius Brutus erhielte dafür eine Einladung zu Anne Will oder Johannes B. Kerner. Ich bin sicher, früher oder später wird dort auch Stefan Mappus auftauchen.

Fazit: Wir haben allen Anlass, Brutus zu rehabilitieren. Wie sich Mappus entwickelt, muss sich noch zeigen. Den Spitznamen "Brutus" wird er jedenfalls so schnell nicht wieder los. Der historische Brutus wird selbst nach mehr als 2000 Jahren total verkannt. Auch Du, mein Sohn Mappus? Er kann einem fast leid tun.