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11. Dezember 2009, von Michael Schöfer
Es macht keinen Spaß mehr


Seit jeher muss sich die SPD aus der konservativen Ecke vorhalten lassen, schlecht zu wirtschaften. "Sozialdemokraten können nicht mit Geld umgehen", höhnte zum Beispiel Jürgen Rüttgers (CDU) im Februar 2005. [1] Und jetzt das: "Steuersenkungsversprechen ohne solide Gegenfinanzierung, wie sie sich im Koalitionsvertrag finden, sind unseriös." Dieses Verdikt stammt nicht etwa von den üblichen Verdächtigen, Gewerkschaftern oder linken Ökonomen, sondern von den sonst mehrheitlich neoliberalen Wirtschaftsweisen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung). [2] Dass es für Steuersenkungen keinen Spielraum gibt, sagt auch der Bundesrechnungshof. "Die Haushaltszahlen eröffnen uns derzeit keinen Spielraum für große Steuererleichterung", schreibt Rechungshof-Präsident Dieter Engels der schwarz-gelben Bundesregierung ins Stammbuch. [3] Der Feind hat die konservative Phalanx längst durchbrochen, steht sozusagen bereits in deren eigenen Reihen. "Ihr habt sie doch nicht alle", soll der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) seinen Parteifreunden angesichts der beabsichtigten Steuersenkungsorgie an den Kopf geworfen haben. [4] Mit anderen Worten: Auch die Union kann nicht mit Geld umgehen.

Kürzlich hat sich der Oeffinger Freidenker in einem Beitrag damit beschäftigt, dass sich der Printjournalismus durch das Internet im Allgemeinen und durch das "Web 2.0" (vulgo: die bösen Blogger) im Besonderen bedroht fühlt. Mir kamen fast die Tränen. Doch wer hat eigentlich Mitleid mit uns Bloggern? Traurige Feststellung: keiner! Ahnt die Bevölkerung überhaupt, wie sinnlos uns mittlerweile unsere Existenz erscheint, wenn schon der Sachverständigenrat und der Bundesrechnungshof den schwarz-gelben Koalitionsvertrag buchstäblich in Stücke reißen? Keinen guten Fetzen lassen die an dem Papier. Zur Zeit leiden die Regierenden mehr unter "friendly fire", als unter den Salven der Opposition. Und was bleibt für uns? Blogger hacken nämlich mit Vergnügen auf dem Establishment herum und fürchten demzufolge den Mainstream wie der Teufel das Weihwasser. Auf ihr Dissidenten-Image legen Blogger bekanntlich großen Wert. Wenn schon keine Revolution auf der Straße, dann wenigstens eine virtuelle im World Wide Web. Aber plötzlich sind wir mit unserer Kritik mitten im Mainstream gelandet. Ops! Wenn sogar unser Lieblingsfeind, ifo-Chef Hans-Werner Sinn, eine "teilweise Verstaatlichung der deutschen Banken für notwendig" hält [5], fühlen wir uns geradezu nutzlos. Kurzum, wir verlieren an Bedeutung. Je weniger Kontrast, desto weniger Profil. Merke: Die wahre Krise ist die Schreib-Krise der Blogger. Es macht einfach keinen Spaß mehr.

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[1] Phoenix vom 15.02.2005
[2] Reuters vom 13.11.2009
[3] Reuters vom 08.12.2009
[4] Focus vom 28.11.2009
[5] Focus-Money vom 01.12.2009