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30. Dezember 2009, von Michael Schöfer
So wird die Gier erzeugt...


...die die Finanzmärkte mitsamt ihren Blasen befeuert: Ein Tagesgeldkonto bringe dem Anleger bedauerlicherweise bloß noch eine magere Rendite, beklagt Die Welt. [1] "Anleger, die ihr Erspartes in den vergangenen Monaten brav auf dem sicheren Tagesgeldkonto liegen ließen", schmerze deshalb der Rückblick auf die Kapitalmärkte des Jahres 2009, behauptet das Blatt. Doch es geht auch anders, versichert uns Redakteur Karsten Seibel: "Entgegen aller Untergangsstimmung zu Jahresbeginn ließen sich in diesem Jahr zweistellige Renditen verdienen. Und das nicht nur mit deutschen Aktien. Fonds auf große heimische Dividendentitel kamen laut Datenanbieter Morningstar vor Kosten im Schnitt auf einen Wertzuwachs von 22 Prozent und damit auf weniger als entsprechende Investmentprodukte, deren Manager das Geld in Unternehmensanleihen (26 Prozent) und Wandelanleihen (33 Prozent) investierten. Wer sich Silber ins Schließfach legte, kann sich seit Januar sogar über einen Wertzuwachs von rund 50 Prozent freuen. Zum Vergleich: Der gerade von vielen Privatanlegern so aufmerksam verfolgte Goldpreis erhöhte sich im gleichen Zeitraum umgerechnet in Euro lediglich um 22 Prozent."

Das ist natürlich alles Ansichtssache. Mit einem Zinssatz von auf den ersten Blick unattraktiven 1,5 Prozent ist das Tagesgeldkonto bei einer Preissteigerungsrate von 0,4 Prozent [2] jedenfalls kein Verlustgeschäft. Man wird zwar nicht reich, geht aber auch keinerlei Risiken ein. Die reale Rendite von 1,1 Prozent kann sich durchaus sehen lassen. Wer hingegen mindestens fünf Prozent Rendite erwartet, von Josef Ackermanns legendären 25 Prozent ganz zu schweigen, ist sicherlich enttäuscht. Vorteil des Tagesgeldkontos: Das Kapital und die Zinsen liegen jederzeit zur Abholung bereit. Kursverluste entstehen keine. Das Risiko der Kapitalanlage trägt die Bank und, falls das Institut pleitegehen sollte, der Einlagensicherungsfonds. Daher haben Inhaber von Tagesgeldkonten bislang trotz Finanzkrise keinen müden Cent verloren, anders als zahlreiche Aktionäre oder Besitzer von Lehman-Zertifikaten. Je höher die Rendite, desto größer ist bekanntlich das Risiko. Außerdem: Wertzuwächse bei Aktien und Edelmetallen stehen zunächst nur auf dem Papier, man muss sie nämlich erst realisieren. Genau das ist das Problem. Wenn alle Bargeld brauchen und verkaufen wollen, fallen die Kurse wieder in den Keller. Dann ist auch die Rendite gering, nicht selten kommt es hierbei sogar zu herben Verlusten. Marktwirtschaftliche Logik nennt man das.



Bleiben wir der Einfachheit halber mal beim Goldpreis. Der aktuelle Goldpreis je Feinunze beträgt heute 1.093,55 US-Dollar (18:00 Uhr), Anfang 2009 stand der Goldpreis bei 802,65 US-Dollar. [3] Bin ich bei diesem Preis eingestiegen, habe ich eine beachtliche Rendite von 36,2 Prozent erwirtschaftet - sofern ich jetzt wieder aussteige. Doch den richtigen Zeitpunkt verpassen viele, u.a. weil Vorhersagen über die Zukunft von jeher äußerst schwierig sind und sich obendrein immer einer findet, der weitere Kursgewinne prophezeit. Binsenweisheit der Börsianer: Die Kunst des Geldverdienens besteht zu einem Großteil im rechtzeitigen Einstieg und vor allem im rechtzeitigen Ausstieg. Es ist eine erschreckend banale, allerdings weithin ignorierte Erkenntnis: Kurse können auch fallen. Davon will man während der Hausse natürlich nichts hören. Von dieser Gier, die blind macht für die ökonomischen Realitäten, nähren sich die Blasen, die gelegentlich unter großem Getöse platzen. Wir haben es ja gerade erlebt. Noch etwas: Silber im Schließfach bringt genaugenommen keinen Wertzuwachs, vielmehr verliert man dabei Geld (Stichworte: Preissteigerungsrate, Schließfachkosten, An- und Verkaufsgebühren), denn Silber erwirtschaftet keine Zinsen. Der Wertzuwachs über Kursgewinne ist virtuell und kommt erst beim Verkauf zum Tragen - sofern die Kurse dann noch günstig sind. Damit sind wir wieder beim rechtzeitigen Ein- und Aussteigen. Eine Kunst, die nur wenige richtig beherrschen. Liebe Leser, ich höre Ihren Einwand, auch ich denke an die Hyperinflation. Aber ist diese Gefahr wirklich real? Vermutlich wissen das nicht einmal die Götter, die Papierkörbe quellen über mit falschen Prognosen.

Zugegeben, wenn man sich intensiv mit Investmentprodukten beschäftigt und mühsam die notwendige Sachkenntnis aneignet, wachsen die Chancen, hohe Renditen zu erwirtschaften. Wenigstens theoretisch. Wie freilich die Finanzkrise gezeigt hat, haben in dieser Hinsicht selbst die hochbezahlten Profis der Banken erbärmlich versagt. Die umworbenen Privatanleger sollen trotzdem cleverer sein? Ein Ammenmärchen, meist sind sie die ersten, die Kapital verlieren. Der Artikel der "Welt" verführt bloß dazu, Risiken einzugehen. Risiken, die vollkommen unnötig sind, weil man auch mit einer realen Rendite von 1,1 Prozent auf dem Tagesgeldkonto zufrieden sein kann. Aber Bescheidenheit ist offenbar nach wie vor unmodern. Zumindest, wenn man der Zeitung aus dem Hause Springer Glauben schenkt. "Otto Normalanleger" wird sich nach der Lektüre des Artikels gewiss armselig vorkommen, sofern er nicht mindestens eine zweistellige Rendite eingefahren hat. Seine Ersparnisse landen dann häufig im Rachen der Finanzhaie, denn der Text suggeriert: Wer sein Geld aufs Tagesgeldkonto legt, ist ziemlich dumm.

Wenn die nächste Blase platzt und viele Anleger abermals massive Verluste erleiden, werden sich die gleichen Journalisten bestimmt furchtbar echauffieren. Wie konnte es überhaupt so weit kommen, werden sie lauthals rufen. Um im gleichen Atemzug darauf hinweisen, wie blöd "Otto Normalanleger" war, derartige Risiken einzugehen. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Artikel, wie der von Karsten Seibel, sind dann längst vergessen. Schade, denn so werden die Anleger niemals klug. Aber vielleicht ist das gar nicht gewollt, schließlich muss man irgendwem das Geld aus der Tasche ziehen. Getreu dem Motto: Das Kapital ist nicht verloren, es ist nur in anderen Händen. "Otto Normalanleger" bleibt dagegen auf seinen mehr oder minder wertlosen "Wertpapieren" sitzen. Noch so 'ne banale Erkenntnis: Die Kunst des Geldverdienens besteht des Öfteren auch darin, andere schlicht und ergreifend übers Ohr zu hauen.

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[1] Die Welt vom 29.12.2009
[2] Statistisches Bundesamt
[3] finanzen.net