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08. Januar 2010, von Michael Schöfer
Sloterdijk ist da, werft Marx in die Tonne


Der Philosoph Peter Sloterdijk wendet sich gegen die Ausplünderung der Leistungsträger durch die "Kleptokratie des Staates" und propagiert deshalb die "Revolution der gebenden Hand". Zwangssteuern sollen abgeschafft werden, stattdessen will er deren Umwandlung in "Geschenke an die Allgemeinheit". Mit anderen Worten: Die Zahlung von Steuern soll künftig auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruhen. Jeder entscheidet selbst, was er zu geben bereit ist. [1]

Natürlich erntete der Philosoph postwendend heftige Kritik. Nicht zu Unrecht, denn schließlich lebt er als Rektor der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und Professor für Philosophie und Ästhetik ausgerechnet von jenem Staat, dem er Kleptokratie vorwirft (Professorengehälter speisen sich bekanntlich aus Steuergeldern). Und das bestimmt nicht schlecht. Als Rektor dürfte Sloterdijk in der Besoldungsgruppe W3 eingestuft sein, das ist in Baden-Württemberg laut aktueller Besoldungstabelle mit einem Grundgehalt in Höhe von 5.257,44 Euro verbunden. [2] Monatlich, nicht jährlich! Früher waren Philosophen irgendwie genügsamer.


Diogenes von Sinope kam noch ohne Professorengehalt aus
[Quelle: Wikipedia, Bild ist gemeinfrei, Foto: Walters Art Museum]

Der Kritik von Heiner Flassbeck [3] kann ich nur beipflichten. Dennoch, der Freiwilligkeitsgedanke hat einen gewissen Reiz, allerdings darf er nicht bloß bei der Entrichtung von Steuern Anwendung finden. Warum sollte ich im "Media Markt" für einen Flachbildfernseher mehrere hundert Euro löhnen, tut's eine freiwillige Spende von - sagen wir mal - 56,21 Euro nicht auch? Schließlich bin ich doch nicht blöd. Im Buchladen die gesammelten Werke von Peter Sloterdijk erstehen, wäre mir glatt 5 Euro wert. Ich gehe davon aus, dass damit Buchhändler, Verlag und Autor hochzufrieden wären. Nicht jeder würde für Sloterdijks Gesamtwerk 5 Euro investieren (erst recht nicht nach Veröffentlichung des o.g. Artikels). Oder ich besorge mir die Bücher gleich als Raubkopie im Internet. Wobei, wenn ich's recht bedenke, Raubkopien gibt es nach Vollendung der "Revolution der gebenden Hand" auch keine mehr. Selbst das Urheberrecht wird durch das Freiwilligkeitsprinzip ausgehöhlt, die "Raubkopie" bewegt sich eben lediglich auf der Freiwilligkeitsstufe null. "Fer umme", wie wir Pfälzer sagen. Umsonst.

Ich kann das Ganze hier gar nicht zu Ende denken, Peter Sloterdijk würde jedenfalls mit seinem Vorschlag die ganze Welt umkrempeln. Und das viel drastischer als der olle Marx. GEZ-Gebühren? Ha, Ausplünderung der bildungsfernen Schichten! Tabaksteuer? 50 Cent für eine Packung Camel sind vollkommen ausreichend. Nachteil: Unter zwei Packungen am Tag würde ich es dann nicht mehr machen, der Raucherhusten wäre mithin vorprogrammiert. Dafür spare ich an den Krankheitskosten, nämlich die Praxis- und Rezeptgebühr (vielleicht auch gleich den vollen Krankenversicherungsbeitrag, aber das habe ich noch nicht entschieden). Essen im Restaurant? Wie hoch war der Schnitzelpreis anno 1972? Miete, Nebenkosten, Heizung, Strom - alles perdu, liebe Blutsauger. Mehr als der symbolische Euro wäre unangemessen. Wenn mein Arbeitgeber sich ebenfalls aufs Freiwilligkeitsprinzip beruft, hört der Spaß jedoch auf, denn von irgendetwas muss der Mensch ja leben.

Ich habe im heimischen Bücherregal gleich mal Platz gemacht und sämtliche Philosophen, von "A" wie Anaximander über "K" wie Kant und "P" wie Platon bis "Z" wie Zenon, in die Tonne geworfen. Für mich gibt’s ab sofort nur noch einen: Peter Sloterdijk. Das werden Sie, liebe Leser, doch sicherlich verstehen. Oder nicht?

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[1] FAZ vom 13.06.2009 und Süddeutsche vom 06.01.2010
[2] dbb, PDF-Datei mit 149 kb
[3] Die unendliche Leistungsträgerlüge, NachDenkSeiten vom 07.01.2010