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17. Januar 2010, von Michael Schöfer
Stümperhafte Drachentöter


Banker sind wie Süchtige. Ihr Stoff ist nicht Heroin oder Kokain, sondern die Gier - die Gier nach Rendite. Und wie alle Abhängigen brauchen sie täglich eine bestimmte Dosis. Um das nötige Quantum zu bekommen, tun sie fast alles. Die Sucht der Banker führte schon vor Jahren zu einem gravierenden Realitätsverlust, weil ihre Aufmerksamkeit bloß noch dem Stoff galt. 2008 setzten sie sich dann kollektiv den "goldenen Schuss". Folge eines lang anhaltenden Drogenmissbrauchs. Die Staaten mussten notgedrungen Erste Hilfe leisten, um den Finanzsektor zu retten. Nun geht es den Süchtigen wieder besser, trotzdem machen sie weiter wie zuvor. Sie tun so, als ob nie etwas gewesen wäre. Schlimmer: Sie treten den Hilfeleistenden nachträglich ins Gesicht.

"Banken, besonders private und börsennotierte Institute, haben keine Verpflichtung, das Gemeinwohl zu fördern", behauptet Goldman-Sachs-Deutschland-Chef Alexander Dibelius. [1] Mit anderen Worten: Die Banken pfeifen aufs Gemeinwohl. Kurz gesagt, die Banken sind nicht für die Allgemeinheit da, sondern die Allgemeinheit für die Banken. Wenigstens sagt einer der Verantwortlichen mal offen, was wir ihnen schon immer unterstellt haben. Allerdings: Ohne Staatsbeihilfe in Höhe von 10 Mrd. US-Dollar gäbe es Goldman Sachs gar nicht mehr, dennoch fühlt sich die Bank der Allgemeinheit keineswegs verpflichtet. Aus dem Koma erwacht, zählt jetzt - wie vor der Finanzkrise - nur noch die Rendite.

Abzulesen ist das Ganze am Boni-Wahnsinn: "An der Wall Street ist wieder Zeit für Champagner. In diesen Tagen beginnen die Banken mit der Ausschüttung ihrer Bonus-Zahlungen an die Top-Mitarbeiter. (...) Die 38 größten US-Finanzinstitute könnten zusammen rund 145 Milliarden Dollar für Gehälter und Sonderzahlungen an ihre Angestellten ausschütten, prognostiziert das Wall Street Journal. Das wäre ein Plus von 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und sogar mehr als im bisherigen Rekordjahr 2007." [2] "2008 zahlten die vom 'WSJ' unter die Lupe genommenen börsennotierten Unternehmen Vergütungen und Boni von 123,37 Milliarden Dollar. Im bisherigen Rekordjahr 2007 waren es 137,23 Milliarden Dollar." [3] Und in Deutschland ist es schwer, Banker mit 500.000 Euro (das ist das Doppelte des Gehalts der Bundeskanzlerin) zufrieden zu stellen. [4] Einfach pervers.

Für die Süchtigen kommt offensichtlich nur noch der Zwangsentzug in Frage. Doch hier versagen die Politiker. Die Ankündigungen, den Finanzsektor reformieren zu wollen, sind bislang das geblieben, was sie waren: Ankündigungen. In der Praxis ist fast nichts passiert. Die Lobbyisten der Wall Street haben erfolgreich ihren Einfluss geltend gemacht, Politiker wurden kurzerhand gekauft: "In den letzten Wahlen von 2008 investierte die Branche nicht weniger als 475 Millionen Dollar in den Kongress, sei es in Form von direkten Zuschüssen an Kandidaten, sei es als Lobbyaufwendungen oder in Form von Zuwendungen an politische Aktionskomitees." [5] Kein Wunder, dass es nicht zu einschneidenden Reformen kommt.

Nichts ist besser für die Banken als das unkoordinierte Vorgehen der Regierungen. Großbritanniens Premierminister Gordon Brown erhebt eine befristete Sondersteuer auf Banker-Boni. Deutschland und die USA lehnen solche Maßnahmen ab. US-Präsident Barack Obama will hingegen von allen Banken mit einer Bilanzsumme von mindestens 50 Mrd. US-Dollar eine Sonderabgabe erheben. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt das ebenfalls ab, sie favorisiert nämlich die sogenannte Tobin-Tax, eine globale Devisentransaktionssteuer. Die wiederum wird von den USA abgelehnt. So wurstelt jede Regierung alleine vor sich hin und bleibt dadurch weitgehend wirkungslos. Nach außen signalisieren sie: Wir tun etwas. Faktisch tun sie nichts. Oder zumindest nicht genug. Das internationale Kapital ist bekanntlich wie ein "scheues Reh" und lässt sich nur durch ein koordiniertes Vorgehen der Regierungen beherrschen. Doch genau daran mangelt es. Die Ackermänner lachen sich gewiss ins Fäustchen.

Ist es Dilettantismus? Ist es Unwillen? Man greift sich förmlich an den Kopf. Anstatt dem Drachen gemeinsam mit einem Schwerthieb die Flügel zu stutzen, begnügen sich die Jung-Siegfrieds und die deutsche Brünhild mit einzelnen Nadelstichen, die dem Drachen aber kaum weh tun. Das Untier spuckt unbeeindruckt weiter Feuer. Es ist zum Haareausraufen. Das Zeitfenster für den Umbau des Finanzsektors schließt sich immer mehr, bald dürfte es dafür zu spät sein. Zurück bleiben eine am Abgrund taumelnde Wirtschaft und riesige Löcher in den öffentlichen Haushalten. Die Rechnung zahlen am Ende die Bürger.

Das wird sich vermutlich bitter rächen, denn die nächste Finanzkrise ist damit quasi vorprogrammiert. Die Dummheit, die Süchtigen weiterhin nach eigenem Gusto agieren zu lassen, führt unweigerlich zum Untergang. Noch einmal werden die Regierungen die Banken nicht retten können, denn die nächste Krise trifft auf Staaten am Rande des Staatsbankrotts. Entweder kollabiert das Finanzsystem oder der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, löst sich endgültig auf. Und künftige Generationen werden sich bestimmt abermals über die "Torheit der Regierenden" (Barbara Tuchman) wundern.

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[1] Süddeutsche vom 15.01.2010
[2] Frankfurter Rundschau vom 15.01.2010
[3] n-tv vom 15.01.2010
[4] msn-Nachrichten vom 05.01.2010
[5] Basler Zeitung vom 13.01.2010