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29. Januar 2010, von Michael Schöfer
Arm, aber wettbewerbsfähig


Erinnern Sie sich noch an das hässliche Wort "Berufsverbot"? Für die Jüngeren unter uns: Es gab in Deutschland, damals noch durch die Zonengrenze ordentlich in zwei Teile zerlegt, eine Zeit, in der Briefträger der "Deutschen Bundespost" Beamte waren. Hoheitliche Aufgabe, extrem wichtig! Für die Herrschenden lag klar auf der Hand, dass Briefträger eine tragende Säule der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) sind. Die FDGO - ein Begriff, der mittlerweile etwas aus der Mode gekommen ist - war seinerzeit so kostbar, dass Briefträger keinesfalls in der DKP sein durften. Kommunisten konnten nicht Briefträger werden, irrtümlich eingestellte wurden wieder aus dem Dienst entfernt, schließlich hätten sie durch Sabotage leicht das ganze Staatsgefüge zum Einsturz bringen können. Stellen Sie sich vor, ein vertraulicher Brief des Bundeskanzlers wäre bei der taz gelandet. Oder in Moskau (vor Gorbi Bestandteil der Achse des Bösen). Nicht versehentlich, sondern mit Absicht. Ein einziger kommunistischer Briefträger hätte ausgereicht, die Bundesregierung bloßzustellen oder dem Kreml die sensibelsten Staatsgeheimnisse in den Briefkasten zu werfen. Allein der Gedanke war unerträglich. Deshalb gab es in dieser, für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland lebenswichtigen Frage kein Pardon. Kritiker subsumierten das Ganze unter dem Terminus "Berufsverbot".


Als sich Kapital und Arbeit noch in den Armen lagen
[Quelle: Wikipedia, Bundesarchiv, B 145 Bild-F088809-0038 / Thurn, Joachim F. / CC-BY-SA,
Ausschnitt aus der East Side Gallery]

Heute verschickt Angela Merkel Staatsgeheimnisse gerne per SMS, regieren kann man nämlich auch mit einer auf 140 Zeichen begrenzten Nutzdatenlänge. Und es juckt keinen mehr, ob bei der Telekom, Vodafone oder O2 Kommunisten arbeiten, jetzt könnte dort selbst Sahra Wagenknecht anheuern. Der FDGO ist das vollkommen egal, im 21. Jahrhundert zählt bloß noch die Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb mutierten Briefträger von der tragenden Säule der FDGO zum Billiglöhner. Noch schlimmer: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat gerade erst den Post-Mindestlohn gekippt. Briefträger dürfen nun mit höchstrichterlicher Genehmigung sogar zu den Aufstockern absinken. Das sind die, deren Einkommen nicht zum Leben reicht und die deswegen nebenher Leistungen vom Staat erhalten. Welch ein Abstieg. Die Springer-Presse jubelt trotzdem: "Ein Urteil für den Wettbewerb." [1] "Das Urteil freut die privaten Briefdienste im Lande, weil sie ihren Mitarbeitern nun weniger zahlen müssen und dadurch wettbewerbsfähiger werden", lesen wir dort. 9,80 Euro pro Stunde waren in der Tat viel zu viel, davon hätte man ja fast schon existieren können. Nun stehen den Wettbewerbern wieder alle Dumpinglohn-Türen offen. Und der Staat legt per ALG II kräftig drauf. Ach, glückliches Deutschland: arm, aber wettbewerbsfähig.

PS: Welch ein Zufall - Schutzpatron der Zusteller ist der Erzengel Gabriel (ob mit dem SPD-Vorsitzenden verwandt oder verschwägert, ist allerdings nicht bekannt). Kein Wunder, dass sich die Sozialdemokraten weiterhin für den Post-Mindestlohn stark machen.

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[1] Die Welt-Online vom 29.01.2009