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10. Februar 2010, von Michael Schöfer
Kulturelle Eigenart


China verbittet sich bekanntlich jede Einmischung von außen, insbesondere wenn es um Menschenrechte geht. Anderen Menschen Schmerz zufügen fällt bei ihnen nämlich unter den Begriff "kulturelle Eigenart". Und davor müsse das Ausland Respekt zeigen, fordert Peking. Wenn es um Folter geht, verlangt auch die islamische Welt Respekt vor ihrer Kultur. Damit will man offenbar jede Kritik von vornherein unterbinden. Folter als kulturelle Eigenart, so direkt sagt man das natürlich nie, aber genau darauf läuft es hinaus.

Wer jetzt meint, der Westen wäre in dieser Beziehung allen anderen kulturell überlegen, dem seien die Vernehmungsmethoden in den CIA-Geheimgefängnissen oder in Guantanamo unter George W. Bush in Erinnerung gerufen. Auch in den USA ist der Firnis der Demokratie ziemlich dünn. Die Republikaner kritisieren beispielsweise, dass die Obama-Regierung Terroristen "zu viele Rechte" gewähre. Der "Unterhosenbomber" Umar Farouk Abdulmutallab, der an Weihnachten eine Passagiermaschine kurz vor der Landung in Detroit in die Luft sprengen wollte, werde "behandelt wie ein gewöhnlicher Krimineller", beklagen sie lautstark. Die Obama-Kritiker bemängeln, man habe Abdulmutallab sogar auf seine Rechte hingewiesen: das Recht auf Aussageverweigerung und das Recht auf einen Anwalt. [1]

Terroristen auf ihre Rechte hinzuweisen, ihnen einen Anwalt zur Seite zu stellen und sie vor einem ordentlichen Gericht anzuklagen - kurzum, Terroristen wie Menschen zu behandeln, ist in ihren Augen offenbar eine schlimme Sache und keine demokratische Selbstverständlichkeit. Die Radikalisierung der oppositionellen Republikaner ist besorgniserregend. Und dass sie bei den Wählern dafür Zuspruch ernten, noch viel mehr. Ich habe zwar die Obama-Euphorie nie geteilt, aber wenn 2012 in den USA tatsächlich die Populistin Sarah Palin an die Macht kommen sollte, müssen wir uns wohl auf noch viel Schlimmeres gefasst machen als das, was wir von Bush gewohnt waren. Nach allem, was man über Sarah Palin weiß, ist sie eine ausgesprochen dumme und erschreckend ungebildete Person. Und Dummheit, das belegt die Geschichte, war von jeher gefährlich. Wenn Obama scheitert, werden vermutlich viele dunkle Jahre folgen.

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[1] Süddeutsche vom 05.02.2010