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02. März 2010, von Michael Schöfer
Die schwarze Witwe


Die FDP bezieht zur Zeit für ihre Forderung nach Einführung der Kopfpauschale im Gesundheitswesen mächtig Prügel. Zu Recht. Da bei diesem Konzept alle, von der Putzfrau bis zum Bankdirektor, den gleichen Beitrag zahlen, sieht es einen sozialen Ausgleich vor, der über Steuern finanziert werden soll. Nach unterschiedlichen Berechnungen benötigt man dafür zwischen 20 und 35 Milliarden Euro. "Alleine um den unteren Wert zusätzlich einzunehmen, müsste der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer auf 73 Prozent steigen und ab einem Einkommen von 120.664 Euro gelten (...). Wollte man 33 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen, müsste der Spitzensteuersatz ab 179.664 Euro bei 100 Prozent liegen", ließ Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ausrechnen. [1] Zum Vergleich: Der höchste Grenzsteuersatz von 45 Prozent, die sogenannte "Reichensteuer", gilt derzeit bei Ledigen erst ab 250.401 Euro und bei Verheirateten ab 500.802 Euro. [2] So weit, so schlecht.

Die Frontlinie hinsichtlich der Kopfpauschale verläuft mitten durch die Regierungskoalition, insbesondere CSU und FDP bekriegen sich heftig. Was bei dem ganzen Getöse völlig untergeht, ist, dass die Union 2005 mit dem gleichen Konzept angetreten ist.

Wahlprogramm CDU/CSU 2005
Wahlprogramm FDP 2009
CDU und CSU werden ein grundlegend neues, zukunftssicheres System der gesetzlichen Krankenversicherung schaffen (…): die solidarische Gesundheitsprämie. Die Krankenkassen erhalten für jeden erwachsenen Versicherten eine Gesundheitsprämie als kostendeckenden Beitrag. (…) Für Versicherte mit niedrigem Einkommen greift automatisch ein sozialer Ausgleich. [3]
In der Krankenversicherung muss der Weg wegführen von der Lohnbezogenheit der Beiträge (…).Der  soziale Ausgleich zwischen Einkommensstarken und Einkommensschwachen soll nicht mehr innerhalb der Krankenversicherung stattfinden, wo er zum Teil zu Ungereimtheiten oder sogar Ungerechtigkeiten führt und jegliches individuelles Kostenbewusstsein außer Kraft setzt. Er gehört vielmehr in das Steuer- und Transfersystem, wo jeder nach seiner Leistungsfähigkeit herangezogen wird. [4]

Zwei Parteien, ein Wille: die Einführung der Kopfpauschale. Zumindest galt das noch 2005. Nur zwei Parteien? Ja, denn die CSU war bereits vor fünf Jahren gegen die Kopfpauschale gewesen, konnte sich damals jedoch gegen ihre größere Schwesterpartei nicht durchsetzen. "Eine Kopfprämie mit einer Finanzierung über den Haushalt ist für mich unvorstellbar. Dafür stehe stehe ich nicht zur Verfügung", bekundete Horst Seehofer 2004. [5] Eine Position, von der er bis dato um keinen Deut abgerückt ist.

2005 wäre Angela Merkel mit ihrem marktradikalen Bundestagswahlprogramm beinahe gescheitert, deshalb haben CDU und CSU das "Regierungsprogramm 2009-2013" deutlich entschärft. Das Wort "Gesundheitsprämie" sucht man dort vergeblich. Zur Gesundheitspolitik heißt es im Regierungsprogramm 2009-2013 u.a.: "Unser Ziel ist es, die Finanzierbarkeit der gesundheitlichen Versorgung zu sichern und die gesetzliche Krankenversicherung mittelfristig auch im Hinblick auf mehr Generationengerechtigkeit konsequent weiterzuentwickeln. Wir wollen für die Versicherten zusätzliche Belastungen in Grenzen halten und Entlastungsspielräume nutzen. Die Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen ist dabei ein wichtiges Element." [6] Wischiwaschi, wie so vieles in diesem Wahlprogramm - bloß nicht auf irgendetwas Konkretes festlegen, das die Wähler abschrecken könnte. Eine Änderung der Taktik. Gewiss. Aber war das auch gleichbedeutend mit einer Änderung bei den Zielen?

Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag findet sich zur Kopfpauschale folgender Satz: "Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden." [7] Doch auch hier vermeiden die Vertragsparteien die Termini "Gesundheitsprämie" und "Kopfpauschale" völlig. Begriffe mit negativem Image werden eben gerne umschrieben, in der Sache ändert sich dadurch freilich nichts.

Hat sich die CDU zwischen 2005 und 2009 bewusst verstellt und die Kopfpauschale klammheimlich weiterhin angestrebt, das Ganze aber geschickt verschleiert? Oder hat sie inzwischen dazugelernt, ist innerlich von der Kopfpauschale abgerückt und lediglich in den Koalitionsverhandlungen vor der FDP eingeknickt? Das werden wir vermutlich nie erfahren. Angie könnte ja gedacht haben: "Jetzt schicke ich mal den Guido vor, dann bekomme ich meine Kopfpauschale und die FDP macht sich beim Wahlvolk ziemlich unbeliebt. Zwei Fliegen mit einer Klappe." Falls sich dahinter tatsächlich System verbergen sollte, wäre es ohne Frage ein äußerst raffiniertes Vorgehen.

Ob Merkel zu so viel Raffinesse fähig ist? Zuzutrauen wäre es ihr. Um nämlich in der Union jahrelang eine Führungsposition einzunehmen, ist zweifellos ein hohes Maß an Durchtriebenheit nötig, dies gilt vor allem für eine evangelische Frau aus der ehemaligen DDR. Angie hat bislang noch jeden kleingekriegt respektive mehr oder minder elegant abserviert: Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz, Edmund Stoiber und die Sozialdemokraten. Nicht ohne Grund nannte sie der Spiegel treffend "Die schwarze Witwe". [8] Politische Leichen pflastern ihren Weg. Sind jetzt die Liberalen an der Reihe?

Wie auch immer, Guido Westerwelle bezieht jedenfalls momentan ordentlich Prügel, obgleich Angela Merkel vor kurzem die gleichen Ziele propagierte. Das ist in unserer schnelllebigen Zeit bloß vergessen worden. Anders ausgedrückt: "Die schwarze Witwe" hat dafür gesorgt, dass wir die Kopfpauschale nur noch mit den Liberalen in Verbindung bringen. Die CDU ist bei diesem Spiel also fein raus. Politik ist in der Tat ein schmutziges Geschäft.

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[1] Süddeutsche vom 11.02.2010
[2] Wikipedia, Spitzensteuersatz
[3] CDU/CSU, Regierungsprogramm 2005-2009, Seite 26, PDF-Datei mit 457 kb
[4] FDP, Deutschlandprogramm 2009, Seite 18, PDF-Datei mit 299 kb
[5] ArztWiki, Horst Seehofer, Zitate
[6] CDU, Regierungsprogramm 2009-2013, Seite 36, PDF-Datei mit 2,6 MB
[7] CDU, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, Seite 86, PDF-Datei mit 629 kb, Hervorhebung durch den Autor
[8] Spiegel-Online vom 20.10.2009