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12. März 2010, von Michael Schöfer
Nicht zwingend, aber politisch gewollt


Deutschland ist das Land der großen Gefühle. 2006, bei der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land, befand sich die Republik im kollektiven Freudentaumel. Sommermärchen nannte man das damals. Die Mannen von Jürgen Klinsmann erreichten beim Turnier zwar bloß Platz drei, trotzdem überschlug sich die Nation buchstäblich vor Begeisterung. Im Gegensatz dazu war Deutschland von 2003 bis 2008 Exportweltmeister, dessen ungeachtet wurde das Land in Grund und Boden geredet. Der Serien-Exportweltmeister sei nicht konkurrenzfähig, hieß es allenthalben. Clement, Sarrazin & Co. leisteten ganze Arbeit. "Die spinnen, die Römer", behauptet Obelix. Die Römer? Nein, die Deutschen!

Kein Zweifel, die Weltwirtschaft befindet sich in der schwersten Krise seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Davon kann sich natürlich auch Deutschland nicht abkoppeln. Doch in dieser durchaus kritischen Lage wird alles viel zu schwarz gemalt. "Verschuldung: Deutschland womöglich vor dem Staatsbankrott", liest man zum Beispiel. [1]

Oje, reden wir mal über die Fakten:

Das Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik ist 2009 um satte 5 Prozent gesunken, das ist in der Tat ziemlich schlimm. Aber ist das auch ein Grund für die weitverbreitete Weltuntergangsstimmung? Mitnichten, denn wie man auf den ersten Blick sieht, ist die Wertschöpfung hierzulande trotz Weltwirtschaftskrise immer noch wesentlich höher als im Jahr 2005. Und ging es uns damals - volkswirtschaftlich betrachtet - schlecht? Die Krise soll keinesfalls bagatellisiert werden, aber Armageddon steht eben auch nicht unmittelbar vor der Tür. Entgegen den allermeisten Prognosen blieb sogar die Arbeitslosenquote trotz Rezession mit durchschnittlich 8,2 Prozent verhältnismäßig niedrig. Die Entscheidung, die miese Auftragslage hauptsächlich über Kurzarbeit aufzufangen, war also goldrichtig.


[Quelle: Statistisches Bundesamt]


[Quelle: Deutsche Bundesbank, Zeitreihe JJ5000: VGR - Bruttoinlandsprodukt (preisbereinigt)]

"Im Krisenjahr 2009 ist der Schuldenstand von Bund, Ländern und Gemeinden auf die Rekordhöhe von 1,69 Billionen Euro geklettert. Der Anstieg um 7,1 Prozent oder 112,7 Milliarden Euro im vergangenen Jahr ist laut Statistischen Bundesamt der zweitgrößte Schuldenzuwachs in der Geschichte der Bundesrepublik. Die 1692 Milliarden oder 1,69 Billionen Euro sind nach Angaben eines Sprechers des Statistischen Bundesamts der bisher höchste Schuldenstand seit Bestehen der Bundesrepublik." [2]

Dennoch betrug die staatliche Defizitquote im vergangenen Jahr bloß 3,3 Prozent. [3] Nicht wenig, aber man sollte bedenken: Da fliegt uns fast der gesamte Finanzsektor um die Ohren, die Volkswirtschaft erlebt beispiellose Einbrüche, und was kommt dabei heraus? Eine öffentliche Neuverschuldung, die schlappe 0,3 Prozent über der erlaubten Defizitquote des EU-Stabilitätspakts liegt. Da ist man fast versucht ausrufen: Crisis. What crisis? Droht deshalb der baldige Kollaps? Wohl kaum.

Volkswirtschaftlich ist genug Geld vorhanden. "Das Bruttogeldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland ist im abgelaufenen Jahr 2009 nach Schätzungen von Allianz Global Investors auf 4,64 Billionen Euro gewachsen. Damit liegt das Bruttogeldvermögen Ende 2009 um 4,4 % höher als im Jahr 2008, in dem es auf 4,45 Billionen Euro gesunken war. (…) In der Zusammensetzung des Geldvermögens der privaten Haushalte dominieren mit gut 38 % weiterhin die Anlagen bei Banken und Sparkassen; rund 1,78 Billionen Euro liegen dort als Sicht-, Termin- und Spareinlagen sowie als Sparbriefe." [4]

Allein das Bargeld, das die Deutschen bei den Banken und Sparkassen angelegt haben, ist höher als die gesamte Staatsschuld. Wenn immer davon gesprochen wird, die kommenden Generationen würden einen riesigen Schuldenberg erben, stimmt das. Aber sie erben zugleich ein gewaltiges Vermögen. Die Vermögenswerte sind allerdings höchst ungleich verteilt. Und der Staat (die öffentlichen Haushalte) hat sich mit wiederholten Steuersenkungen selbst arm gemacht.

Ich weiß, so geht das nicht, schon allein wegen dem Grundgesetz, aber man darf ja mal kurz träumen: Liebe Bürger, der Staat, das sind doch im Grunde wir alle. Jetzt lasst mal kurz eure Spargroschen rüberwachsen - und schwupps, der Schuldenberg ist im Nu verschwunden. So einfach geht das, jedenfalls in der Phantasie. Das Ganze zeigt immerhin, dass wir noch weit von der Pleite entfernt sind. Wenn ab 2011 eisern gespart werden muss, liegt das nur an der ins Grundgesetz aufgenommenen Schuldenbremse. Die ist freilich keine Naturkatastrophe, sondern menschengemacht.

Es gehört zu den ökonomischen Binsenweisheiten: Schulden dürfen nicht in astronomische Höhen wachsen und müssen irgendwann zurückgezahlt werden. Deutschland hat 2009 eine Gesamtverschuldung von etwa 72,5 Prozent des BIP erreicht, Prognosen der Bundesregierung zufolge soll sie bis 2012 auf mehr als 81 Prozent steigen. [5] Die vielzitierte "schwäbische Hausfrau" wäre hocherfreut, mit derartigen Konditionen ihr "Häusle" bauen zu können. Normalerweise ist die Relation (Schulden im Verhältnis zum Jahreseinkommen) beim Hausbau nämlich deutlich ungünstiger. Im Schwabenland ist das kein Geheimnis. Wir leben somit keineswegs über unsere Verhältnisse.

Die schwerste Wirtschaftskrise seit 80 Jahren hat Deutschland erstaunlich gut verkraftet. Es besteht überhaupt kein Grund zur Panik, lasst die Kirche daher lieber mal im Dorf. Der drastische Sparzwang, der zweifellos auf uns zukommen wird, ist weniger an volkswirtschaftlichen Rahmendaten festzumachen, er resultiert vielmehr aus politischen Entscheidungen (Steuersenkungen, Schuldenbremse, Vernachlässigung der Massenkaufkraft etc.). Anstatt das Vermögen und die Erträge gerechter zu verteilen, wird bedauerlicherweise am falschen Ende gespart: im Sozialbereich, bei den Arbeitnehmern, bei den Arbeitslosen. Damit eines klar ist: Ökonomisch zwingend sind solche Entscheidungen nicht, aber politisch gewollt.

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[1] LifeGen vom 12.03.2010
[2] tagesschau.de vom 11.03.2010
[3] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 062 vom 24.02.2010
[4] Allianz Global Investors, Pressemitteilung vom 05.01.2010
[5] Reuters vom 11.03.2010