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| Impressum 06. April 2010, von Michael Schöfer Korpsgeist Die katholische Kirche ist wie einst die KPdSU: realitätsblind, dünkelhaft und nach außen abgeschottet. Was beide unterscheidet ist lediglich die Dauer ihres Bestehens. Natürlich wird die Kirche auch an den jüngsten Missbrauchsfällen nicht zugrunde gehen. Solange die Menschen - warum auch immer - an ein höheres Wesen glauben wollen, wird sie vermutlich fortbestehen. Sie mag dann zwar weniger Einfluss besitzen, aber sie wird existieren. Religion scheint, im Gegensatz zum Glauben an den Sozialismus, ein menschliches Grundbedürfnis zu sein, zumindest hält sie sich viel hartnäckiger. Jede Organisation neigt naturgemäß dazu, einen Korpsgeist auszubilden. Dieser sorgt dafür, dass man Angriffe gemeinsam abwehrt und dabei eng zusammensteht. Einer für alle, alle für einen! Ob die Angriffe berechtigt sind oder nicht, spielt normalerweise eine untergeordnete Rolle. Diesen Korpsgeist finden wir u.a. beim Militär, bei der Polizei und sogar bei Sportvereinen. Wird jemand aus der Gruppe angegriffen, gilt das als Angriff auf alle. Der Korpsgeist hat für die jeweilige Gruppe natürlich einen tieferen Sinn, denn er festigt die Gemeinschaft und stiftet ein Identitätsgefühl. Von außen betrachtet hat er bestenfalls etwas belustigendes. Werden, wie im vorliegenden Fall, Verbrechen entweder abgestritten oder verharmlost, schüttelt die Außenwelt allerdings verständnislos den Kopf. Kardinal Sodanos Spruch vom "Geschwätz des Augenblicks" [1] ist hierfür wohl das Paradebeispiel. Er ist charakteristisch für die falsche Solidarität mit dem schweigenden Papst und unterstreicht die skandalöse Missachtung der Opfer. Kein Wunder, wenn Kleriker Presseberichte über Pädophilie und Gewalt in der Kirche gerne als "Kampagne gegen die Kirche" auffassen. Wir mögen uns über den krassen Realitätsverlust wundern und die zum Himmel schreiende Unmenschlichkeit aufregen, innerhalb des Klerus dürfte diese Haltung jedoch vielfach auf Verständnis stoßen. Jedenfalls öfter, als wir annehmen. Dass besonnene Stimmen in solchen Organisationen intern häufig als Nestbeschmutzer gelten, kommt noch hinzu. Genau das ist ja das Wesen des Korpsgeistes. Motto: Right or wrong, my country! Es herrscht buchstäblich Wagenburgmentalität. Korpsgeist hält sich zäh, die Katholiken werden also noch länger mit vollkommen unverständlichen Reaktionen ihrer Repräsentanten leben müssen. ---------- [1] Der Tagesspiegel vom 06.04.2010 |