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23. Mai 2010, von Michael Schöfer
Leerverkäufe - Fluch oder Segen?


Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hat kürzlich "ungedeckte" Leerverkäufe bis zum 31. Mai 2011 untersagt. Auch ungedeckte Credit Default Swaps (CDS) sind von dem Verbot betroffen, sofern sie sich auf Verbindlichkeiten eines Staates der Euro-Zone beziehen und nicht der Absicherung von Ausfallrisiken dienen. Ob derartige Verbote wirksam sind, ist allerdings umstritten. Manche behaupten, Leerverkäufe seien ein wirksames Korrektiv, um an der Börse Übertreibungen, also die Bildung von Blasen, zu verhindern. Andere wiederum weisen darauf hin, dass Leerverkäufe besonders riskant seien und zu massiven Kursverlusten führen könnten.

Was sind überhaupt Leerverkäufe? Unter Leerverkäufen versteht man den Verkauf von Aktien, die man nicht besitzt. Bei "gedeckten" Leerverkäufen leihe ich mir Aktien gegen eine Gebühr und mit dem Versprechen, sie nach einer bestimmten Zeit an den Verleiher zurückzugeben. Die geliehenen Aktien verkaufe ich dann in der Hoffnung, dass der Aktienkurs sinkt und ich die Aktien später zu einem niedrigeren Kurs erwerben und an den Verleiher zurückgeben kann. Die daraus resultierende Differenz ist mein Gewinn.

Ein anschauliches Beispiel: "Fritzchen geht zu einem Freund und borgt sich einen Korb mit 20 Äpfeln, läuft zum Markt und verkauft den Korb für 10 Euro. Dafür muss er seinem Freund einen kleinen Obolus überlassen. Fritzchen vermutet, dass am nächsten Tag mehrere Bauern mit der neuen Ernte zum Markt kommen und die Äpfel dann billiger sind. Genau das geschieht. Die Äpfel kosten am nächsten Tag nur noch 5 Euro. Fritzchen ersteht am nächsten Tag einen Korb Äpfel zu 5 Euro, bringt seinem Freund einen Korb mit den Früchten zurück und steckt einen Gewinn von knapp 5 Euro in die Tasche. Das war ein gedeckter Leerverkauf, denn Fritzchen hat Äpfel gehabt, wenn auch zwischenzeitlich von seinem Freund geborgt." [1] Spekulanten können durch den massiven Einsatz von Leerverkäufen Aktienkurse in den Keller treiben, mithin ihr Ziel, vom daraufhin einsetzenden Kursverfall zu profitieren, sogar selbst beeinflussen. Je mehr "geliehene" Äpfel am Markt angeboten werden, desto niedriger wird ihr Preis.

Leerverkäufe funktionieren aber auch mit Aktien, die ich mir gar nicht erst leihe, das sind dann sogenannte "ungedeckte" Leerverkäufe: "Fritzchen [geht] ohne Äpfel zum Markt und sagt einer Hausfrau, dass er ihr in drei Tagen einen Korb Äpfel bringe, obwohl er gar keine Äpfel hat. Dieser Korb koste 10 Euro und die Hausfrau willigt ein. Am nächsten Tag ersteht Fritzchen einen Korb Äpfel für 5 Euro, bringt ihn der Frau, bekommt von ihr 10 Euro und behält einen Gewinn von 5 Euro. Das gefährliche bei diesem Trick ist, dass Fritzchen der Frau auch zwei oder vier Körbe Äpfel versprechen kann in der Hoffnung, er werde sie am nächsten Tag billiger erstehen. Wenn Fritzchen dies tut, drückt allein die Tatsache, dass von ihm so viele Körbe Äpfel angeboten werden, den Preis - es weiß ja niemand, dass er gar keine Äpfel besitzt und sich eindecken muss." [2] Läuft die Finanzierung solcher Geschäfte auf Kredit, gehen die Anleger enorme finanzielle Risiken ein. Scheitern sie nämlich mit ihrer Spekulation, stehen sie unter Umständen vor der Pleite.

In der Schweiz sind "ungedeckte" Leerverkäufe seit langem verboten [3], in den Vereinigten Staaten sind sie strikten Regeln unterworfen. Auch andere Länder haben "ungedeckte" Leerverkäufe ganz oder teilweise untersagt. [4] In Österreich wird das bereits bestehende Verbot voraussichtlich verlängert. [5]

Warum Marc Beise, der Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutschen Zeitung, vor diesem Hintergrund trotzdem behauptet, Deutschland laufe Gefahr, sich mit dem Verbot von ungedeckten Leerverkäufen lächerlich zu machen, ist vollkommen unverständlich. [6] Ob Leerverkäufe tatsächlich, wie er behauptet, Blasenbildungen an den Börsen verhindern, ist mehr als fraglich, denn in der Vergangenheit kam es dort - trotz des Instruments Leerverkäufe - immer wieder zu irrationalen Übertreibungen. Beispiel Internet-Blase: Zwischen Dezember 1991 und Dezember 1999 ist das reale Bruttoinlandsprodukt Deutschlands um lediglich 11,5 Prozent gewachsen, der Dax hingegen im gleichen Zeitraum um sagenhafte 341 Prozent. [7] Das evidente Missverhältnis wurde nicht durch Leerverkäufe korrigiert, obgleich man mit ihnen damals - auf dem Höhepunkt der Internet-Blase - viel, viel Geld hätte verdienen können.

Ob das Verbot von Leerverkäufen wirklich Kurseinbrüche verhindert, ist andererseits genauso unsicher. Die eigentliche Frage ist jedoch, wem - außer den Spekulanten selbst - Leerverkäufe überhaupt dienen, denn sie haben für die Realwirtschaft keinerlei Nutzen. Und wenn wir eines gelernt haben sollten, dann ist das die Erkenntnis, dass eine von jeglichen realen ökonomischen Vorgängen abgekoppelte Börsenlandschaft äußerst schädlich ist. An den Börsen sollten deshalb nur Geschäfte erlaubt sein, die der Gesellschaft nützlich sind. Spekulanten reich zu machen, womöglich auch noch, wie es zur Zeit geschieht, auf Kosten der Steuerzahler, gehört meines Erachtens nicht dazu. Es ist erstaunlich, wie wenig manche bereit sind, ihre von der Realität längst widerlegten Auffassungen zu revidieren und aus dem offenkundigen Versagen von weitgehend unregulierten Märkten zu lernen. Aber es ist natürlich erlaubt, die bereits in Schräglage befindliche Titanic unbeirrt als unsinkbar zu bezeichnen.

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[1] FAZ vom 19.09.2008
[2] FAZ a.a.O.
[3] Schweizer Radio DRS
[4] siehe Wikipedia, Naked short selling, Regulations outside of the United States
[5] Die Presse.com vom 19.05.2010
[6] Süddeutsche vom 22.05.2010
[7] siehe Der nächste Börsencrash kommt bestimmt vom 13.09.2000