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| Impressum 27. Juli 2010, von Michael Schöfer Neue Technik - neue Ängste Früher war alles besser, sagen manche. Doch die Verhältnisse haben sich durch die Einführung neuer Techniken unwiderruflich geändert. Nehmen wir beispielsweise die elektronische Datenverarbeitung und das Internet. Schon von jeher versuchten Regierungen ihre schmutzigen Aktionen geheim zu halten, doch das scheint dank elektronischer Datenverarbeitung immer weniger zu gelingen. So hat etwa das Internet-Portal WikiLeaks, das auf die Veröffentlichung von Geheimdokumenten spezialisiert ist, soeben rund 92.000 Berichte der amerikanischen Streitkräfte ins Netz gestellt. Früher, in den vermeintlich guten alten Zeiten, hätte der unbekannte Informant von WikiLeaks dafür mindestens 230 Kilo Papier (92.000 Seiten je 2,5 Gramm) bewegen müssen - fast ein Ding der Unmöglichkeit. Nun reicht das Kopieren auf einen einzigen USB-Stick vollkommen aus. Für die Verantwortlichen ist das natürlich ein Alptraum, weil man den USB-Stick notfalls in der Unterhose - und damit an jeder Kontrolle vorbei - transportieren kann. Die Veröffentlichung im Internet ist technisch gesehen ein Kinderspiel, Whistleblower haben es leichter denn je. Doch nicht nur Regierungen fürchten sich neuerdings vor unangenehmen Enthüllungen, auch Banken und ihre Kunden dürften fast täglich vor schlechten Nachrichten zittern. Die Finanzbehörden werden nämlich momentan mit Daten-CDs, auf denen Informationen über Steuerhinterzieher gespeichert sind, geradezu überschwemmt. Die Verkäufer tun das zwar in der Regel aus höchst eigensüchtigen Motiven heraus, nichtsdestotrotz wird die Luft für Steuerhinterzieher immer dünner. Allein die Ankündigung, dass abermals eine Daten-CD auf dem Markt zum Verkauf angeboten wird, reicht für zahlreiche Selbstanzeigen aus. Man wundert sich, dass es angesichts des Entdeckungsrisikos überhaupt noch Steuerhinterzieher gibt. Nun, bekanntlich stirbt die Dummheit niemals aus. Als die Banken ihre Unterlagen noch mit der Schreibmaschine oder gar handschriftlich bearbeiten mussten, wäre so etwas undurchführbar gewesen. Das ist - aus ihrer Sicht - der Fluch der Technik. Ehrliche Steuerzahler erfüllt das hingegen mit Schadenfreude. Das Ganze hat selbstverständlich auch seine Schattenseiten: die Datenkraken des World Wide Web, das illegale Ausspähen von Mitarbeitern (Telekom, Deutsche Bahn etc.) oder der unselige Handel von Daten aller Art über praktisch jeden Bürger. Anonymität, Privatsphäre und Sicherheit vor Spionen erscheinen uns mittlerweile als Fremdworte, stattdessen lernten wir Worte wie Phishing, Skimming oder Malware fürchten. Zwei Seiten derselben Medaille. Freud und Leid liegen eben nah beieinander. War früher wirklich alles besser? Wohl kaum, denn das Gleiche behaupteten schon die alten Griechen, die sich über ihre Jugend echauffierten. Dennoch hat die Welt seitdem unbestreitbar ein paar Fortschritte gemacht. Bob Dylan war in dieser Beziehung ein bisschen weitsichtiger: The Times They Are A-Changin'. Beinahe hätte ich hinzugefügt: Das waren noch Zeiten... |