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04. August 2010, von Michael Schöfer
Dunkle Wolken


Die Konjunktur in den USA schwächelt. Nach 3,7 Prozent im ersten Quartal 2010 hat das Wachstum im zweiten Quartal mit 2,4 Prozent deutlich nachgelassen. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf hohem Niveau, derzeit liegt die Arbeitslosenrate bei 9,5 Prozent. Da war das als mangelhaft empfundene Krisenmanagement bei der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko bloß noch das Tüpfelchen auf dem i.

Zwangsläufige Folge: Die Umfragewerte von US-Präsident Barack Obama sind schlecht, nur noch 44 Prozent der US-Bürger sind mit seiner Amtsführung zufrieden, 47 Prozent hingegen äußern sich unzufrieden. Der einstige Hoffnungsträger befindet sich auf dem absteigenden Ast. Auch die Kongress-Wahlen im November versprechen für die Demokraten zum Debakel zu werden, eine Mehrheit der Wähler zweifelt nämlich daran, ob die demokratische Partei überhaupt noch die richtigen Entscheidungen für das Land zu treffen vermag. Die Mehrheit im Repräsentantenhaus (wird alle zwei Jahre komplett neu gewählt) könnte verloren gehen, selbst im Senat (alle zwei Jahre wird ein Drittel des Senats neu gewählt) könnte es ziemlich knapp werden. Bislang haben die Demokraten in beiden Häusern die Mehrheit. Hält die Talfahrt beim Wählerzuspruch an, könnte sogar Obamas Wiederwahl in Frage stehen.

In der Innenpolitik kann Barack Obama, wie man sieht, nur begrenzt reüssieren. Die Innenpolitik war für US-Präsidenten ohnehin schon von jeher ein undankbares Feld, es zu beackern ist angesichts der vielfältigen Blockademöglichkeiten der Opposition äußerst mühsam. Wesentlich leichter fällt der Regierung dagegen die Profilierung auf dem Gebiet der Außenpolitik, hier ist ihre Gestaltungsmacht ungleich höher. Und die Erfahrung zeigt, dass sich das Wahlvolk in Krisen, die auf - vermeintliche oder tatsächliche - Bedrohungen von außen zurückzuführen sind, um seinen Präsidenten schart. Kommt es zu einem militärischen Konflikt, steigen die Umfragewerte des Präsidenten meist rapide an, egal wie schlecht sie vorher gewesen sind. Da ist die Versuchung, wegen mieser Umfragewerte kurz vor den Wahlen einen internationalen Konflikt künstlich anzuheizen, groß. Obama wäre nicht der Erste, der zu solchen Mitteln greift. Das Image des Friedensnobelpreisträgers würde dadurch sicherlich großen Schaden erleiden, gleichwohl gibt es momentan Anzeichen dafür, dass er diesen Weg zumindest in Erwägung zieht.

Beispiel Nordkorea: Die amerikanischen Streitkräfte führten kürzlich zusammen mit Südkorea im Japanischen Meer ein Seemanöver durch, das stalinistische Nordkorea reagiert wie erwartet mit wüsten Drohungen. Grund für das Seemanöver, bei dem 200 Flugzeuge und 20 Kriegsschiffe eingesetzt wurden, war die angebliche Versenkung der südkoreanischen Korvette "Cheonan" durch ein nordkoreanisches U-Boot. Dabei kamen 46 Marinesoldaten ums Leben. Südkorea plant jetzt ein neues Seemanöver, das pathologisch aggressive Pjöngjang droht zum wiederholten Male mit Krieg. Das ist geradezu ein pawlowscher Reflex, mithin leicht vorhersehbar. Außerdem wollen die USA die Sanktionen gegen das kommunistische Regime abermals verschärfen.

Ohne Pjöngjang in Schutz nehmen zu wollen, aber an der Richtigkeit der Torpedo-These zweifeln inzwischen selbst seriöse Medien, zum Beispiel die Süddeutsche. [1] Wird hier ein Konflikt bewusst durch eine falsche Beschuldigung auf die Spitze getrieben? Die "Maddox" lässt grüßen. Der amerikanische Zerstörer wurde 1964 vor der nordvietnamesischen Küste angeblich ebenfalls torpediert, doch die Attacke auf das Kriegsschiff hat es in Wahrheit nie gegeben. Trotzdem war sie für den damaligen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson eine willkommene Gelegenheit, den Vietnamkrieg auszuweiten. Der für die USA desaströse Ausgang ist bekannt. Beim Untergang der "Cheonan" denkt natürlich jeder gleich an Nordkorea, genau das ist dabei vielleicht beabsichtigt. Motto: "Verhaften Sie die üblichen Verdächtigen."

Beispiel Iran: Die Islamische Republik steht in dringendem Verdacht, sich in den Besitz von Atomwaffen bringen zu wollen, was zweifellos eine außerordentliche Gefahr darstellen würde. Wie die Weltgemeinschaft darauf reagieren soll, ist allerdings umstritten. Krieg oder Sanktionen, das ist die alles entscheidende Frage. Auch in dieser Auseinandersetzung wird mächtig mit dem Säbel gerasselt: "In Washingtons Machtzirkeln werde erneut allen Ernstes ein militärischer Schlag gegen das Nuklearprogramm des Regimes in Teheran erwogen", meldet die Süddeutsche. [2] Solche Gerüchte sind keineswegs neu, immer wieder wird - wenigstens verbal - eine militärische Drohkulisse aufgebaut. Despot Mahmud Ahmadinedschad hält mit einer ebensolchen kräftig dagegen ("Tel Aviv wird brennen"). Was an den Gerüchten dran ist, kann freilich niemand genau sagen. Erlaubt Obama tatsächlich den Angriff? Darf Israel mit Washingtons Billigung gegen Teheran losschlagen? Und das auch noch zufälligerweise rechtzeitig vor den Wahlen? Darüber gibt es naturgemäß keine nachprüfbaren Erkenntnisse, bloß entsprechende Befürchtungen, die sich aber am Ende womöglich als unbegründet herausstellen.

Barack Obama wird sich gewiss nach Kräften gegen die drohende Niederlage seiner demokratischen Partei wehren. Und je aussichtsloser das Unterfangen erscheint, desto eher könnten sich schwelende internationale Konflikte verschärfen. Spätestens dann, wenn es um seine eigene Wiederwahl geht, muss sich Obama etwas einfallen lassen. Erringen die Republikaner im November wirklich die Mehrheit in einem der beiden Häuser des Kapitols (Gesetze müssen von beiden Parlamentskammern beschlossen werden), bleibt ihm eigentlich, quasi als letztes Refugium, nur noch die Außenpolitik. Folglich könnte die Kriegsgefahr durchaus wachsen.

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[1] Süddeutsche vom 21.07.2010
[2] Süddeutsche vom 22.07.2010