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18. August 2010, von Michael Schöfer
Der dünne Firnis der Zivilisation


Manche behaupten, Lynchjustiz [1] sei hierzulande undenkbar, die deutsche Bevölkerung reagiere anders, so etwas gebe es nur in den USA. Aber nicht nur dort, auch in Deutschland ist der Firnis der Zivilisation ziemlich dünn. Leider.

Hier ein kleines, vergleichsweise harmloses Beispiel: Sebastian Frankenberger, der Initiator des erfolgreichen Volksbegehrens für ein striktes Rauchverbot in Bayern (61 Prozent Zustimmung), wird derzeit mit Hass-E-Mails überschwemmt und auf der Straße angepöbelt, man will ihm "den Schädel einschlagen" und "die Bude abfackeln". An vielen Lokalen in seiner Heimatstadt Passau hängt sein Foto, mit dem Hinweis "Ich muss leider draußen bleiben". Und beim Waldkirchner Volksfest in der Nähe von Passau wurde er aus dem Bierzelt geworfen.

"Ich bin in jüngster Zeit aus jedem Lokal und jedem Festzelt geworfen oder erst gar nicht eingelassen worden. (…) Selbst wenn ich nur durch die Standlerreihen gegangen bin, wurde ich angepöbelt. Es haben mich auch schon Menschen körperlich bedrängt. Eine Servicekraft ist mit einem Besen auf mich losgegangen, und als mich Security-Leute aus einem Festzelt warfen, haben die Leute applaudiert", schildert Frankenberger seine Erlebnisse. "Auch bei seinem jüngsten München-Besuch hätten ihn die Menschen auf offener Straße verbal attackiert und 'Du Drecksau, verschwinde!' zugerufen." [2] Es ist vor diesem Hintergrund wenig verwunderlich, wenn er sich momentan nur noch mit Pfefferspray in der Hosentasche aus dem Haus traut.

Wohlgemerkt, Frankenberger ist kein Straftäter. Aber wenn seine Grundrechte trotzdem in den Wogen des Volkszorns unterzugehen drohen, belegt das um so mehr, wie wichtig deren uneingeschränkte Beachtung ist. [3] Ich bleibe dabei: Lynchjustiz ist kein spezifisches Merkmal der Vereinigten Staaten, vielmehr ist sie ein typisches Merkmal der Menschen, denn Lynchjustiz ist bedauerlicherweise weit verbreitet, man findet sie in allen Regionen der Welt. Und daher ist sie auch in Deutschland keineswegs auszuschließen. Am besten lässt man es gar nicht darauf ankommen.

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[1] siehe Internet-Pranger für Sexualstraftäter? vom 09.08.2010
[2] ÖÖ-Nachrichten vom 18.08.2010
[3] siehe Grundrechte gelten für alle vom 11.08.2010