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26. Oktober 2010, von Michael Schöfer
Kolossale Fehlinvestition


Die Waffenschmieden jubeln: Aus Furcht vor dem Iran kaufen die Golf-Staaten in den USA Rüstungsgüter für insgesamt 122 Mrd. Dollar. [1] Saudi-Arabien soll 84 F-15E-Kampfflugzeuge, 70 Apache-Kampfhubschrauber sowie 108 Helikopter vom Typ Black-Hawk bzw. Little Bird, Raketen, lasergestützte Bomben, Radaranlagen und weitere militärische Ausrüstung bekommen. In dem 60 Milliarden-Dollar-Paket ist auch die Modernisierung von 70 saudischen Kampfflugzeugen enthalten. [2]

Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) kaufen Waffen im Wert von 35,6 Mrd. Dollar, Oman gibt 12,3 Mrd. Dollar und Kuwait 7,1 Mrd. Dollar aus. [3] Spanien ist ebenfalls gut im Geschäft, die Saudis wollen dort 270 Panzer vom Typ Leopard 2E bestellen. Wert des Deals rund 3 Mrd. Euro. [4] Und natürlich darf Israel nicht fehlen. Der "amerikanische Flugzeugträger im Nahen Osten" wird mit 20 hochmodernen F-35-Kampfflugzeugen ausgerüstet, die über Tarnkappen-Technologie verfügen. Kaufpreis: 2,25 Mrd. Dollar. Auf weitere 55 Flugzeuge hat Israel eine Option. [5] Außerdem liefern die USA an Israel 52 F-16-Maschinen. [6]

Dabei sind die Streitkräfte des Iran keineswegs beeindruckend. "US-Schätzungen zufolge verfügt der Iran über 1613 Kampfpanzer", die meisten davon sind sowjetische T-54 (540 Stück) und T-72 (480 Stück). [7] Das sind Panzer, die in den vierziger bzw. siebziger Jahren gebaut wurden. Einigermaßen modern zu nennen ist lediglich die Eigenentwicklung Zulfiqar aus den neunziger Jahren, von denen der islamische Gottesstaat 100 Stück haben soll. Das Gleiche gilt für die iranische Luftwaffe. "Nach Schätzungen besitzt der Iran rund 310 Kampfflugzeuge", darunter 40 noch im Einsatz befindliche F-14 Tomcat, 65 F-4 Phantom, 60 F-5, 35 MiG-29 und 30 Suchoi SU-24. [8] Die modernsten Typen sind die F-14 und MiG-29, die allerdings beide noch aus den siebziger Jahren stammen. Die iranische Luftwaffe hat offenbar Probleme mit der Ersatzteilbeschaffung, hinter ihrer Einsatzbereitschaft steht folglich ein großes Fragezeichen.

"Pieter Wezeman, Rüstungsexperte des Stockholm International Peace Research Institute, hält die iranische Armee für deutlich unterlegen. 'Der Iran ist, was konventionelle Waffen angeht, keine Bedrohung. Sie bewegen sich waffentechnisch nicht auf demselben Niveau wie die Nachbarn.' (…) 'Man geht davon aus, dass die Kampfjets der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) die iranische Luftwaffe innerhalb von sechs Stunden ausschalten könnten', sagt Theodore Karasik vom Institute for Near East & Gulf Military Analysis in Dubai. Der Sicherheitsexperte hält das Militär der VAE mit seinen 184 Kampfjets und 471 Panzern für das stärkste und fähigste am Golf." [9] Die Stärke der iranischen Streitkräfte ist hauptsächlich in ihrem zahlenmäßigen Umfang und der Motivation der Soldaten zu sehen, einigermaßen verständlich sind allenfalls die Ängste vor den Raketen und dem vermuteten Atomprogramm. Doch gerade gegen Letzteres sind Kampfflugzeuge, Panzer und Kampfhubschrauber machtlos.

Die naheliegende Frage ist daher, ob die enorme Aufrüstung, die die ohnehin bereits bestehenden riesigen Waffenarsenale weiter aufbläht, tatsächlich notwendig ist. Die Zweifel daran sind nur allzu berechtigt, insbesondere wenn man sich die soziale Situation der arabischen Länder vor Augen hält. Die ölreichen Staaten am Golf, die über einen immensen Devisenzufluss verfügen, vergeuden ihr Kapital mit größtenteils nutzlosem Rüstungskram. Vom ostentativ zur Schau gestellten Luxusleben der Oberschicht einmal ganz abgesehen. Sie könnten das Geld an anderer Stelle viel sinnvoller investieren: "In der arabischen Welt können nach Angaben der arabischen Organisation für Bildung, Kultur und Wissenschaft (Alesco) fast 100 Millionen der über 15-jährigen Menschen nicht lesen und schreiben. Das sind knapp 30 Prozent der Gesamtbevölkerung in den 21 arabischen Ländern." [10] In Saudi-Arabien gibt es nach Angaben der Vereinten Nationen (UNDP) unter der Bevölkerung im Alter über 15 Jahre 15 Prozent Analphabeten, in den Vereinigten Arabischen Emiraten sind es 10 Prozent und in Kuwait immer noch 5,5 Prozent. Zum Vergleich: Im ungleich ärmeren Kuba sind es bloß 0,2 Prozent. [11]

Die Mitglieder des Golf-Kooperationsrats (Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate) sollen allein im Jahr 2007 Öleinnahmen in Höhe von 350 Mrd. US-Dollar erzielt haben [12], zwischen 2002 und 2007 sind es angeblich unfassbare 1,7 Billionen US-Dollar gewesen [13]. Hätten sie ihr Kapital klug genutzt, könnten die Ölförderländer heute zu den gebildetsten Nationen der Welt gehören, stattdessen sind die gigantischen Öleinnahmen weitgehend nutzlos versickert, wurden in Prestigeprojekten verschwendet oder von den Herrscher-Cliquen sinnlos verprasst. Wenn die Ölquellen in ein paar Jahrzehnten versiegt sind, wird es dort wahrscheinlich ein böses Erwachen geben.

Die Aufrüstung im Nahen Osten mag gegenüber dem Iran eine Drohkulisse aufbauen, vielleicht ist darin sogar eine Absicherungsmaßnahme für den von vielen befürchteten Militärschlag gegen den iranischen Atomkomplex zu sehen. Wie auch immer, angemessen ist sie jedenfalls nicht. Die USA werden dadurch zwar etliche Milliarden einnehmen und in ihrer Rüstungsindustrie auf Jahre hinaus Tausende von Arbeitsplätzen sichern, sie nehmen dafür aber eine weitere Destabilisierung der Region in Kauf. Angesichts der bitteren Erfahrungen mit dem Irak stellt sich unweigerlich die Frage, ob die Vereinigten Staaten aus ihrer verfehlten Politik überhaupt die richtigen Lehren gezogen haben. Die Antwort lautet: Nein. Vermutlich haben sie nichts dazugelernt. Die Rüstungskäufe werden sich demzufolge als kolossale Fehlinvestition entpuppen. Wohlgemerkt, für beide Seiten - Käufer und Verkäufer.

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[1] Financial Times Deutschland vom 10.10.2010
[2] Deutsche Welle vom 21.10.2010
[3] Handelsblatt vom 21.09.2010
[4] Die Presse.com vom 25.10.2010
[5] NZZ-Online vom 08.10.2010
[6] Neues Deutschland vom 22.10.2010
[7] Wikipedia, Streitkräfte des Iran, Heer
[8] Wikipedia, Streitkräfte des Iran, Luftwaffe
[9] Financial Times Deutschland vom 10.10.2010
[10] Die Presse.com vom 08.01.2008
[11] UNDP, Human Development Report 2009, Seite 176, PDF-Datei mit 3,9 MB
[12] T-Online-Wirtschaft vom 22.06.2008
[13] Center for Security Studies (CSS), ETH Zürich, Ölpreis und Geopolitik, Juli 2009, PDF-Datei mit 482 kb