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07. Dezember 2010, von Michael Schöfer
Nuklearer Winter durch lokale Atomkriege


Neben den direkten Auswirkungen einer Atomwaffenexplosion (Hitze, Druckwelle, radioaktive Strahlung) haben massive nukleare Schlagabtausche auch schlimme Folgen für das Weltklima: "Die Explosionen verursachen ungeheure Mengen an Rauch und Staub, was den Himmel verdunkeln würde. Nach neuesten Erkenntnissen könnte das zu einem Absinken der Durchschnittstemperaturen auf der gesamten Erde führen. Die extremsten Voraussagen lassen ein Absinken der Durchschnittstemperatur auf minus 30 Grad Celsius befürchten. (Nuklearer Winter) In diesem Fall dringt weniger als ein Prozent der normalen Lichtstärke zum Erdboden durch. Keiner kann sich ausmalen, was es bedeutet, für einen längeren Zeitraum weltweit den gleichen Bedingungen wie am Nord- und Südpol unterworfen zu sein. Selbst wenn die Durchschnittstemperaturen nur um einige Grade sinken, hat das weitreichende Konsequenzen. Nur ein Grad Abkühlung bringt den Weizenanbau in Kanada zum Erliegen, was sich auf die Welternährungslage katastrophal auswirkt", schrieb ich vor nunmehr fast 30 Jahren. [1] Damals, auf dem Höhepunkt der gegenseitigen Bedrohung von Ost und West (NATO-Nachrüstung), ein zutiefst beunruhigender Gedanke. Doch seitdem hat sich die Lage durch den Zusammenbruch der Sowjetunion zumindest zwischen den früheren Supermächten deutlich entspannt. Eine trügerische Ruhe, wie aktuelle Forschungen zeigen, denn selbst ein lokaler nuklearer Schlagabtausch kleinerer Atommächte könnte der Welt jahrelange Dunkelheit bescheren.

1983 besaßen die USA 9.049 und die Sowjetunion 8.345 strategische Nuklearsprengköpfe. [2] Eine Studie im Auftrag der UNO taxierte seinerzeit das gesamte Atomwaffenarsenal der USA auf 25.000 bis 33.000 Sprengköpfe, das der Sowjetunion auf 11.000 bis 15.000. [3] Alle damals bekannten Atomwaffenstaaten (USA, UdSSR, Großbritannien, China und Frankreich) verfügten über eine Sprengkraft von insgesamt 11.000 bis 20.000 Megatonnen. Das gesamte Atomwaffenarsenal hätte ausgereicht, die Menschheit gleich mehrfach zu vernichten. Zum Vergleich: Die Bombe, die am 6. August 1945 auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen wurde (Little Boy), besaß eine Sprengkraft von lediglich 13 Kilotonnen. 43 Sekunden nach der Detonation "hatte die Druckwelle 80 Prozent der Innenstadtfläche dem Erdboden gleich gemacht. Es entstand ein Feuerball mit einer Innentemperatur von über einer Million Grad Celsius. Die Hitzewirkung von mindestens 6000°C ließ noch in über zehn Kilometer Entfernung Bäume in Flammen aufgehen. Von den 76.000 Häusern der Großstadt wurden 70.000 zerstört oder beschädigt. (…) 70.000 bis 80.000 Menschen waren sofort tot." [4] Die Bombe, die drei Tage später Nagasaki zerstörte (Fat Man), hatte eine Sprengkraft von 21 Kilotonnen.


Russland 15.000

USA 9.900

Frankreich 350

China 200

Großbritannien 200

Israel 80

Pakistan 60

Indien 50

Nordkorea <10

Iran in Entwicklung?
Quelle: Spektrum der Wissenschaft, November 2010, Seite 91


Atommächte [Quelle: Wikipedia, Bild steht unter der GNU-Lizenz
für freie Dokumentation, Änderungen durch den Autor]


Über den tatsächlichen Bestand gibt es allerdings unterschiedliche Angaben. [5] Noch immer existiert, wie man unschwer erkennt, ein irrationales Overkill-Potential. Was jedoch die jetzige Situation im Gegensatz zu früher erheblich instabiler macht, sind die kleinen Atomwaffenstaaten: Indien und Pakistan haben bislang drei Kriege miteinander ausgefochten (1947 bis 1949, 1965, 1999), der Konflikt um Kaschmir ist dennoch ungelöst. Und sollte sich der Iran wirklich Atomwaffen beschaffen, werden die Spannungen mit Israel zweifellos drastisch ansteigen. Von der scheinbar paranoiden Führung Nordkoreas ganz zu schweigen.

Erste Studien über den drohenden nuklearen Winter wurden bereits 1982/1983 vorgelegt, freilich immer mit dem Blick auf einen umfassenden Atomkrieg zwischen den Supermächten. Ob auch ein begrenzter nuklearer Schlagabtausch von kleineren Atommächten einen nuklearen Winter auslösen könnte, stand zu jener Zeit nicht im Fokus der Forschungen. Das haben nun Alan Robock (Professor für Klimatologie, Rutgers University, New Jersey/USA) und Owen Brian Toon (Leiter des Department for Atmospheric and Oceanic Sciences, University of Colorado, Boulder/USA) nachgeholt und sind zu so unerwarteten wie besorgniserregenden Ergebnissen gekommen. [6] "Selbst ein lokal begrenzter nuklearer Konflikt, bei dem nur ein Bruchteil des weltweiten Kernwaffenarsenals zur Explosion gebracht würde, hätte verheerende Folgen", schreiben sie. Die Wissenschaftler untersuchten anhand von Computersimulationen, welche Auswirkungen ein Krieg zwischen Indien und Pakistan hätte, bei dem nahezu das ganze Arsenal beider Länder zum Einsatz käme.

Die in Pakistan explodierenden 50 Sprengköpfe würden drei Millionen Tonnen Rauch erzeugen, die über Indien detonierenden 50 Bomben vier Millionen Tonnen. Alles in allem bläst ein solcher Schlagabtausch nach den Prognosen von Robock und Toon fünf Millionen Tonnen Rauch in die obere Atmosphäre, dieser könnte innerhalb von zwei Wochen alle Kontinente überdecken. Der rußige Dunst würde sich ein Jahrzehnt lang in der Atmosphäre halten. Die Temperaturen auf der Erde fielen binnen kurzem auf den niedrigsten Stand seit 1.000 Jahren, es käme zu einer durchschnittlichen globalen Abkühlung um rund 1,25 Grad Celsius. Selbst nach 10 Jahren wären es immer noch 0,5 Grad. Zudem verringern sich die weltweiten Niederschläge um 10 Prozent, in den asiatischen Monsungebieten sogar um 40 Prozent. Die landwirtschaftliche Produktion wäre erheblich beeinträchtigt und könnte unter Umständen ganz zum Erliegen kommen, Hungersnöte wären unausweichlich.

Zum Vergleich: "1815 brach der Tambora mit einer Intensität von sieben auf dem Vulkanexplosivitätsindex aus, die größte Eruption seit dem Ausbruch des Taupo vor etwa 22.500 - 26.500 Jahren. (...) Das durch die Eruption ausgeworfene Material bewirkte globale Klimaveränderungen, die aufgrund der Auswirkungen auf das nordamerikanische und europäische Wetter dem Jahr 1816 die Bezeichnung 'Jahr ohne Sommer' einbrachten. In Teilen der nördlichen Hemisphäre kam es durch Missernten und eine erhöhte Sterblichkeit unter Nutztieren zur schlimmsten Hungersnot des 19. Jahrhunderts." [7] " Die globale Abkühlung durch den Tambora betrug rund 0,5 Grad Celsius.

Die Studie von Robock und Toon belegt, dass sich die Menschheit nach wie vor in großer Gefahr befindet und ihr Überleben selbst durch einen lokalen Nuklearkrieg bedroht wäre. Vielleicht ist die Gefahr sogar wesentlich größer als früher, weil ein Atomkrieg zwischen den USA und der Sowjetunion viel unwahrscheinlicher war, als es heutzutage ein mit Atomwaffen geführter Krieg zwischen Indien und Pakistan ist. Wie dem auch sei, ein Nuklearkrieg zwischen Indien und Pakistan hätte jedenfalls für alle Menschen fatale Folgen. Ein Grund mehr, in diesem Konflikt - wie auch andernorts (Naher Osten, koreanische Halbinsel) - den Weg der politischen Verständigung und der friedlichen Konfliktlösung zu fördern.

Robock und Toon untersuchten darüber hinaus die klimatischen Auswirkungen eines Atomkriegs zwischen Russland und den USA, bei dem die von Dmitri Medwedew und Barack Obama angestrebten Atomwaffenbestände zum Einsatz kämen. Bekanntlich unterzeichneten beide am 8. April 2010 "in Prag den bis 2020 gültigen New START Vertrag über Maßnahmen zur weiteren Reduzierung und Begrenzung der strategischen Angriffswaffen. Dieser sieht ab der Ratifizierung des Vertrages für die nächsten 7 Jahre eine Reduzierung der Anzahl der Sprengköpfe von 2200 auf je 1550 und die Anzahl der Trägersysteme von 1600 auf 800 vor." [8] Die Forscher warnen: "Auch die verkleinerten Arsenale reichten unseren Studien zufolge mehr als aus, um die Landwirtschaft weltweit zusammenbrechen zu lassen. Gegen städtische Ziele eingesetzt, würden die Waffen den Tod von Hunderten von Millionen Menschen verursachen und unvorstellbare 180 Teragramm [= 180 Millionen Tonnen] Rauch in die globale Stratosphäre treiben. In vielen landwirtschaftlichen Anbaugebieten sänken die durchschnittlichen Temperaturen selbst im Sommer für mehrere Jahre unter den Gefrierpunkt."

J. Robert Oppenheimers Aussage "Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten." (Zitat aus der Bhagavadgita, dem heiligen Buch der Hindus) würde bittere Realität.

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[1] Die Folgen eines Atomkriegs
[2] Bundesverteidigungsministerium, Weißbuch 1983, Seite 59
[3] Die UNO-Studie Kernwaffen, München 1982, Seite 40
[4] Wikipedia, Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, Abwurf auf Hiroshima
[5] vgl. Wikipedia, Kernwaffe, Aktueller Stand
[6] auf deutsch veröffentlicht in: Spektrum der Wissenschaft, "Lokaler Krieg, globales Leid", November 2010, Seite 88 bis 96, online nur kostenpflichtig verfügbar; englischsprachiges Original: Scientific American, "Local Nuclear War, Global Suffering", PDF-Datei mit 2,3 MB
[7] Wikipedia, Tambora
[8] Wikipedia, Strategic Arms Reduction Treaty, New START