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11. Dezember 2010, von Michael Schöfer
Wie Phönix aus der Asche


Der Automobilindustrie, vor kurzem noch stark von Absatzeinbrüchen gebeutelt und nur mit staatlicher Unterstützung gerettet, geht es wieder gut. Die Kapazitäten sind bis zum Anschlag ausgelastet, die Mitarbeiter müssen in diesem Jahr sogar auf einen Teil ihres Weihnachtsurlaubs verzichten. Die Branche steigt gewissermaßen wie Phönix aus der Asche auf. Doch das nur mit Hilfe des Exports, die Absatzzahlen im Inland sind im Vergleich zum Vorjahr, in dem es allerdings noch die Abwrackprämie gab (euphemistisch: Umweltprämie), rückläufig.

Zwischen Januar und November 2010 wurden hierzulande 1.879.100 PKW (deutsche Marken) zugelassen, das sind 20 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Im gleichen Zeitraum ist freilich der Export einheimischer Fabrikate um 25 Prozent gestiegen. 3,9 Mio. PKW lieferte Deutschland in den ersten 11 Monaten ans Ausland. [1] Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), erwartet für das laufende Jahr einen Export von insgesamt 4,2 Mio. Einheiten. Verantwortlich hierfür ist der Absatzboom in China: "Nahezu jeder fünfte Neuwagen, der im Jahr 2010 weltweit verkauft wird, wird in China abgesetzt. Wir halten das hohe Tempo mit. Fast jeder fünfte Neuwagen in China zählt zu einer deutschen Konzernmarke. Das unterstreicht eindrucksvoll die Leistungsfähigkeit unserer Hersteller", erläutert Wissmann. [2]

Die Hoffnungen der Autobauer konzentrieren sich also hauptsächlich auf den Absatzmarkt in China, vom Inlandsmarkt dürfen sie hingegen nicht allzu viel erwarten. Wenig verwunderlich: In keinem Land der EU steigen die Löhne so langsam wie in Deutschland. "In der Bundesrepublik sind die Bruttolöhne und -gehälter in den vergangenen zehn Jahren um 22,4 Prozent gestiegen." Damit ist Deutschland mit Abstand das Schlusslicht in der Europäischen Union, dort waren es im Durchschnitt 37,4 Prozent. [3] Laut "Einkommens- und Verbrauchsstichprobe" des Statistischen Bundesamts ist in Westdeutschland das durchschnittliche monatliche Haushaltsnettoeinkommen zwischen 2003 und 2008 von 2.957 auf 3.056 Euro (+ 3,4 %) gestiegen, in Ostdeutschland ist es sogar um einen Euro auf 2.292 Euro zurückgegangen. Da aber im gleichen Zeitraum die Preise um 10 Prozent zunahmen, sind die Realeinkommen abermals gesunken. [4] Resultat neoliberaler Umverteilungspolitik. Die berechtigte Frage ist: Woher soll angesichts dessen die Kaufkraft für einen anziehenden Inlandsmarkt kommen?

Doch sind die Hoffnungen auf Chinas Wachstum nicht genauso trügerisch? Wie auch immer die langfristigen Absatzchancen im Reich der Mitte aussehen mögen, unter umwelt- und energiepolitischen Gesichtspunkten steht hinter alldem ein dickes Fragezeichen. In der Volksrepublik rollen gegenwärtig 25,3 Mio. PKW über die Straßen, rechnerisch kommen daher auf ein Fahrzeug 53 Einwohner. [5] Zum Vergleich: In der Bundesrepublik sind es pro Fahrzeug lediglich 2 Einwohner. Hätte China die gleiche Autodichte wie Deutschland, gäbe es dort rund 679 Mio. PKW - fast 27-mal soviel wie jetzt. Der Nachholbedarf der Chinesen ist evident. Und warum den deutschen Automobilproduzenten das Wasser im Mund zusammenläuft, ebenfalls. Damit wäre allerdings der PKW-Bestand allein in China so hoch wie heute auf der ganzen Welt. Von anderen aufstrebenden Märkten, wie etwa Indien (z. Zt. pro Fahrzeug 112 Einwohner), ganz zu schweigen. Was das für den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen bedeuten würde, kann man sich leicht ausmalen. Mit heutiger Technologie kaum zu realisieren.

China, bereits heute mit 7.518,5 Mio. Tonnen und einem Anteil von 24,2 Prozent der weltgrößte CO2-Emittent, würde seinen Ausstoß vervielfachen. [6] Prognosen zufolge steigen die CO2-Emissionen des asiatischen Riesen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2007 um 91 Prozent. [7] Und ein Ende des Aufwärtstrends ist nicht absehbar. Womit das Land künftig seinen enormen Energiebedarf decken will, ist hingegen völlig schleierhaft. Aus diesem Grund ist m.E. auch das BRIC-Konzept von Goldman Sachs äußerst fragwürdig. [8] China könnte deshalb schneller in die Bredouille kommen, als es den Chinesen und der deutschen Automobilindustrie lieb ist.



CO2-Emissionen China (in MillionenTonnen) [9]
1970 870,8
1980 1500,6
1990 2477,3
2000 3381,7
2009 7518,5

Fairerweise muss man hinzufügen: Der Pro-Kopf-Energieverbrauch der Volksrepublik liegt trotz dieses gewaltigen Anstiegs nach wie vor deutlich unter dem der westlichen Industriestaaten. Wer von China bloß Verzicht verlangt und, wie etwa die USA, selbst kaum etwas zur Minderung des eigenen Energieverbrauchs tut, wird in den schnell wachsenden Volkswirtschaften der Schwellenländer zu Recht auf wenig Verständnis stoßen.


[Quelle: Google, Public Data, Energieverbrauch pro Kopf]

Wie dem auch sei, die dank China wie Phönix aus der Asche aufgestiegene Automobilindustrie sollte jedenfalls stets daran denken, dass der mythische Vogel regelmäßig auch wieder verbrennt. Von daher wäre es klug, den Inlandsabsatz anzukurbeln. Das geht aber nicht mit den üblichen Rezepten (Senkung der Lohnkosten, Umverteilung von unten nach oben, einseitige Belastung der Arbeitnehmer etc.), sondern nur mit deutlichen Reallohngewinnen der abhängig Beschäftigten. Getreu dem Spruch von Henry Ford: "Autos kaufen keine Autos." Schon allein aus purem Eigeninteresse müssten sich Wissmann & Co. gegen den rigiden Sparkurs der schwarz-gelben Bundesregierung wenden. Ich fürchte jedoch, mit diesem Ansinnen wird man beim Verband der Automobilindustrie auf Granit beißen. Immerhin war Matthias Wissmann einst unter Helmut Kohl Bundesminister. Aber das Zeug, ein zweiter Heiner Geißler zu werden, hat er wohl nicht.

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[1] VDA, Monatszahlen
[2] VDA, Pressemeldung vom 02.12.2010
[3] Hamburger Abendblatt vom 10.12.2010
[4] taz vom 08.12.2010
[5] Wikipedia, Wirtschaftszahlen zum Automobil, Kraftfahrzeugbestand nach Ländern
[6] Wikipedia, Liste der größten Kohlenstoffdioxidemittenten nach Ländern
[7] Fischer Weltalmanach 2011, Seite 709
[8] vgl. Fragwürdige Wachstumsprognosen vom 31.01.2010
[9] Wikipedia, Liste der größten Kohlenstoffdioxidemittenten, Emission