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07. Januar 2011, von Michael Schöfer
Nichts dazugelernt


Erinnern Sie sich noch an den Gammelfleischskandal, der uns 2005 vorübergehend den Appetit auf den geliebten Döner genommen hat? "Bundesweit überprüfen derzeit 2.311 Inspekteure die Einhaltung der Hygienevorschriften im Lebensmittelbereich", hieß es 2004. [1] Bis Anfang 2006 hatte sich die Situation trotz Gammelfleisch keineswegs gebessert, von nach wie vor "etwa 2300 Kontrolleuren in Deutschland" sprach die Süddeutsche Zeitung damals. [2] Sachstand 2010: Die Zahl der Kontrolleure hat sich seitdem kaum erhöht. "2500 amtliche Lebensmittelkontrolleure sind für über eine Million Betriebe zuständig." [3] Es seien aber weitere 1.500 Kontrolleure notwendig, mahnte Harry Sauer vom Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure. "Man hangelt sich von Skandal zu Skandal und vertraut darauf, dass die Mogelpackung Lebensmittelsicherheit unentdeckt bleibt." Sauer mahnte leider vergebens.

Jetzt kommt schon wieder ein Lebensmittelskandal ans Tageslicht, diesmal sind es mit Dioxin verseuchte Futtermittel, die uns den Appetit auf Eier und Fleisch vermiesen. Doch die Situation bei den Lebensmittelkontrolleuren ist nach wie vor die gleiche. "'Uns fehlen bis zu 1500 Kontrolleure, um spürbaren Überwachungsdruck auf die Branche ausüben zu können', sagte der Vorsitzende des Bundesverbandes [der Lebensmittelkontrolleure], Martin Müller (...). Lebensmittelsicherheit in Deutschland sei daher eine Mogelpackung. Etwa jedes zweite Unternehmen in Deutschland werde innerhalb eines Jahres gar nicht überprüft (...). Bundesweit seien derzeit 2500 Kontrolleure für 1,1 Millionen Betriebe zuständig, in manchen Regionen gebe es nur einen Mitarbeiter für 1200 Firmen." [4]

Und tatsächlich, die Kontrollen sind äußerst lückenhaft, es werden lediglich ungefähr 50 Prozent der Betriebe untersucht. Überraschend: Die Kontrolldichte hat wider Erwarten sogar abgenommen, so ist die Quote der kontrollierten Betriebe zwischen 2004 und 2009 trotz der Lebensmittelskandale um fast 9 Prozent gesunken. Auch in absoluten Zahlen wird die Überwachung schlechter, die Anzahl der kontrollierten Betriebe ist nämlich um 14,3 Prozent zurückgegangen. Kein Wunder, wenn es bei diesen Versäumnissen immer wieder zu neuen Lebensmittelskandalen kommt.

Jahr
Zahl der Betriebe
Zahl der kontrollierten Betriebe
Kontrollquote
2004
1.185.083
635.576
53,63 %
2005
1.137.176
618.579
54,40 %
2006
1.179.330
590.010
50,03 %
2007
1.187.335
562.047
47,34 %
2008
1.213.690
541.731
44,64 %
2009
1.214.374
544.544
44,84 %
Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Lebensmittelsicherheit in Deutschland: Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung im Jahr 2009 vom 21.10.2010, Seite 5, PDF-Datei mit 1,3 MB





Von daher ist die harte Kritik des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure nur allzu berechtigt. Wir müssen feststellen: Die Politik hat bedauerlicherweise nichts dazugelernt. Die Empörung von Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner ("ein hohes Maß an krimineller Energie") ist demzufolge bloß Theaterdonner. Die Politik ist total unglaubwürdig, statt starker Worte wären endlich Taten notwendig. Wie immer erklingt jetzt der Ruf nach strengeren Vorschriften und härteren Strafen. Und was wird passieren? Wahrscheinlich wenig. Härtere Strafen lehnte die CSU-Ministerin vorsorglich schon einmal ab. [5] Die Agrarlobby kann sich halt auf ihre Ministerin verlassen. Und die Verbraucher?

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[1] innovations-report vom 23.06.2004
[2] Süddeutsche vom 18.01.2006
[3] Stern-Online vom 10.03.2010
[4] Stern-Online vom 06.01.2011
[5] n-tv vom 05.01.2011