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08. Januar 2011, von Michael Schöfer
Skandal um "Pinkelnde Petra"


Die Belastung von Polizeibeamten hat unstreitig zugenommen, nicht zuletzt durch den permanenten Personalabbau der letzten Jahre. Hinzu kommt die gewachsene Arbeitsbelastung: Bundesligaeinsätze, "Stuttgart 21"-Demos, Castor-Transporte - viele Beamte sind fast ständig irgendwo im Dienst. Und wenn dann die Arbeitsbedingungen nicht stimmen, ist das umso ärgerlicher. So kritisierte etwa die Deutsche Polizeigewerkschaft, dass es die Einsatzleitung beim Castor-Transport im November versäumt habe, "ausreichend mobile Toiletten für die Polizisten aufzustellen. Polizistinnen seien so teilweise gezwungen gewesen, ihre Notdurft in der Öffentlichkeit zu machen, wobei sie von Demonstranten gefilmt worden seien." [1] "Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, sagte, er hätte ein derartiges Organisationsdesaster noch nicht erlebt." [2]

Nun hat sich der Dresdner Künstler Marcel Walldorf dieses Themas angenommen und eine Skulptur geschaffen, die eine pinkelnde Polizistin zeigt. "Petra" nennt der Künstler sein Werk, für das er sogar den Kunstpreis der "Leinemann Stiftung für Bildung und Kunst" erhielt. "Ich habe schon oft Polizisten im Einsatz ihre Notdurft verrichten sehen und mir vorgestellt, wie es wohl die Frauen machen, so entstand die Idee für die Skulptur", sagt Walldorf. [3] Er sehe in seinem Werk jedoch keine Beleidigung der Polizei.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig ist da ganz anderer Auffassung: "Dieses sogenannte Kunstwerk ist eine Schande. Es ist eine Beleidigung der Polizistinnen. Ich bin schockiert, dass es Gremien gibt, die solchen sogenannten Künstlern Preise verleihen." [4] Längst wird vom "Pipi-Kunst-Skandal" gesprochen. Und es geht natürlich - wie stets in solchen Fällen - darum, was die grundgesetzlich garantierte Kunstfreiheit überhaupt darf. "Für die einen ist es preisgekrönte Kunst, für die anderen eine Schande", schreibt "Die Welt". "Die Gewerkschaft der Polizei in Sachsen zeigte sich empört. Landesvorsitzender Hagen Husgen sagte, es gebe die Freiheit der Kunst, in dem Fall sei aber eine Grenze überschritten worden." [5]


Der Stein des Anstoßes: "Petra" [mit freundlicher Genehmigung von Marcel Walldorf]

Haben die es nicht ein bisschen kleiner? Selbstverständlich muss Kunst provozieren, das hat sie schon immer gemacht, und das ist auch ihre Aufgabe. Von jeher haben Künstler gesellschaftliche Tabus gebrochen - die dann, welch große Überraschung, zwanzig Jahre später gar keine mehr waren. In den prüden 50er Jahren löste beispielsweise der Film "Die Sünderin" einen veritablen Skandal aus. "Der Erzbischof von Köln, Kardinal Joseph Frings, verurteilte den Film in einem Hirtenbrief, der Ende Februar beim Anlaufen des Films in Köln verlesen wurde. Priester warfen Stinkbomben in Kinos, und Politiker verteilten Flugblätter mit Texten wie 'Die Sünderin - Ein Faustschlag ins Gesicht jeder anständigen deutschen Frau! Hurerei und Selbstmord! Sollen das die Ideale eines Volkes sein?'. (...) Die Rheinische Post fragte am 5. März 1951 hinsichtlich der Situation in Köln: 'Muß Polizei einen Schundfilm schützen?'" [6] Es war viel vom "Willen der gesund empfindenden Bevölkerung" die Rede, die Moralapostel hatten Hochkonjunktur.

Allerdings verhalfen Aufführungsverbote und die öffentliche Verurteilung von den Kanzeln herab dem Streifen zu einem großen Publikumserfolg, für die Schauspielerin Hildegard Knef bedeutete er den Durchbruch. Ja, richtig gelesen, Hildegard Knef, die heutzutage als deutsche Filmlegende gilt und zu Lebzeiten geradezu mit Preisen und Orden überhäuft wurde (Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, Bundesfilmpreis, Verdienstorden des Landes Berlin, Bambi, Goldene Kamera, Echo u.v.a.m.). Übrigens wird sie inzwischen auch von gemeinhin als eher konservativ geltenden Zeitgenossen geschätzt. Heute würde man über "Die Sünderin" nur milde lächeln, den einstigen "Skandalfilm" vermutlich als unbedeutend und langweilig empfinden. Er ist mittlerweile mit "FSK:12" klassifiziert - freigegeben ab 12 Jahren. The Times They Are a-Changin, sang einst Bob Dylan. Die Zeiten ändern sich.

Zurück zur pinkelnden Polizistin. Was, unabhängig von etwaigen Beleidigungsvorwürfen, ganz aus dem Blickfeld gerät, ist, dass Polizeibeamte bei Einsätzen tatsächlich zuweilen in aller Öffentlichkeit ihre Notdurft verrichten müssen. Das, und nicht die umstrittene Skulptur, ist nämlich der eigentliche Skandal. Über Kunst mag man streiten, über Geschmack ebenfalls. Ich kann in der "Pinkelnden Petra" jedenfalls nichts strafrechtlich Relevantes entdecken. Aber dass sich ein Innenminister über eine Skulptur mehr aufregt als über die Tatsache, dass Polizeibeamten bei Einsätzen nicht genügend mobile Toiletten zur Verfügung stehen, ist im Grunde der wahre Aufreger. Hier sollte der sächsische Innenminister seine Energie investieren, nicht in völlig nutzlose Diskussionen über Kunst und Kunstfreiheit. Und wenn es dereinst bei Großeinsätzen genug mobile Toiletten gibt, hat der Künstler mit seinem Kunstwerk sogar etwas erreicht. Bekannt geworden ist er durch die Diskussion ohnehin.

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[1] ShortNews vom 17.11.2010
[2] Focus-Online vom 17.11.2010
[3] Bild vom 06.01.2011
[4] Bild vom 06.01.2011
[5] Die Welt-Online vom 07.01.2011
[6] Wikipedia, Die Sünderin