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| Impressum 09. Januar 2011, von Michael Schöfer Sarah Palin nahm Attentat billigend in Kauf Das politische Klima in den USA ist vergiftet, an der Sache orientierte (d.h. rationale) Auseinandersetzungen sind derzeit kaum noch möglich. Das rechte politische Spektrum, insbesondere die von Sarah Palin unterstützte Tea-Party-Bewegung, versteht es meisterhaft, die Demokratische Partei und US-Präsident Barack Obama verächtlich zu machen. Im Verbund mit Rupert Murdochs "Fox News" zweifellos eine nicht zu unterschätzende propagandistische Macht. Sie schmähen den ersten schwarzen Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten als Nazi, Moslem oder Kommunist (kurioserweise passt das in den Augen der politisch meist uninformierten und ungebildeten Menschen durchaus zusammen). Jetzt erntet man die Ergebnisse der durch die elektronischen Massenmedien hervorgerufenen Volksverdummung: Umfragen zufolge glauben bis zu 18 Prozent der US-Bürger, Obama sei ein Moslem. Und bis zu 25 Prozent glauben, er sei nicht in den USA zur Welt gekommen. Zum Verständnis: Präsidenten müssen laut Verfassung (Artikel II, Abschnitt I) in den USA geboren sein. Wäre Obama außerhalb der USA geboren, wäre er ein illegitimer Präsident. "Dass zu viele US-AmerikanerInnen zu wenig wissen, ist ein Allgemeinplatz. Jedes Jahr habe ich in meinen Vorlesungen Studierende, die den amerikanischen Bürgerkrieg nicht im richtigen Jahrhundert verorten oder den Irak nicht auf den richtigen Kontinent platzieren können. Doch nicht das, was die US-AmerikanerInnen nicht wissen, schadet unserer Demokratie am meisten - schließlich kann die Bevölkerung immer weitergebildet werden. Das größte Problem ist, dass die Leute gar nicht mehr wissen, was Wissen ist. Wenn sich Präsident Barack Obama beklagt, dass Fakten und Vernunft nichts mehr gelten, wenn sich unser politisches System radikal polarisiert, wenn PolitikerInnen zuhauf groteske Statements von sich geben, zeugt das alles von einem bedrohlichen Verlust unserer «Citoyenneté», der aktiven Bürgerschaft", beklagt der renommierte Politikwissenschaftler Benjamin Barber. [1] Nach den erfolgreichen Kongresswahlen im November 2010 zeigen sie sich die Republikaner unversöhnlicher denn je, bei der Gesetzgebung drohen sie sogar mit einer Totalblockade. Mit anderen Worten: Gegenwärtig haben die Fundamentalisten das Sagen. Die Radikalisierung hat nun ein erstes prominentes Opfer gefunden: Die demokratische Kongressabgeordnete Gabrielle Giffords aus Arizona wurde am 8. Januar bei einem Attentat durch einen Kopfschuss schwer verletzt. Der 22-jährige Täter tötete sechs Menschen, darunter Bundesrichter John McCarthy Roll, und verletzte weitere zwölf zum Teil schwer. Ob Giffords überleben wird, ist noch unsicher. "Wir sind zu einem Mekka des Hasses und der Vorurteile geworden", sagte Sheriff Clarence Dupnik. Die Republikanerin Sarah Palin sprach den Opfern des Anschlags ihr Mitgefühl aus. Sie bete "für die Opfer und ihre Familien und für Frieden und Gerechtigkeit", schrieb Palin auf ihrer Facebook-Seite. [2] Ziemlich heuchlerisch, finden einige und machen Palin indirekt für das Attentat verantwortlich. Grund: Sarah Palins Facebook-Seite zierte eine mittlerweile wieder entfernte Landkarte, darauf waren Kongressabgeordnete, die Obamas Gesundheitsreform zustimmten, mit einem Fadenkreuz markiert. Das konnte man schon im März vergangenen Jahres u.a. auf der Website "The Huffington Post" nachlesen. Eines der namentlich benannten Ziele: Gabrielle Giffords. "This is just the first salvo in a fight to elect people across the nation who will bring common sense to Washington. Please go to sarahpac.com and join me in the fight", schrieb Palin damals auf Facebook. Der Attentäter von Arizona muss wohl Palins Aufforderung ("Dies ist nur die erste Salve in einem Kampf...") allzu wörtlich genommen haben. Jetzt hat er selbst geballert. Wer politische Gegner mit einem Fadenkreuz ins Visier nimmt, braucht sich nicht darüber zu wundern, wenn andere das als Auftrag verstehen. Palin hat das, was der 22-jährige Schütze in Arizona tat, billigend in Kauf genommen. Die Symbolfigur der Tea-Party-Bewegung hat Attentate geradezu heraufbeschworen. Eigentlich müsste jetzt ihre Karriere, immerhin ist sie als Präsidentschaftskandidatin für 2012 im Gespräch, am Ende sein. Doch in den USA ist momentan selbst das ungewiss. Es würde mich nicht wundern, wenn rechte Einpeitscher wie Glenn Beck US-Präsident Obama für das Attentat verantwortlich machen würden. Mit Fakten hat Beck bekanntlich ohnehin nichts am Hut. Und angesichts des aufgeheizten politischen Klimas und der verbreiteten Leichtgläubigkeit vieler US-Bürger könnte eine solch perfide Strategie sogar auf fruchtbaren Boden fallen. Es ist verrückt, aber leider traurige Realität. Amerika wird wohl noch schwere Zeiten durchmachen. Der intellektuelle Niedergang der westlichen Führungsmacht kann uns freilich nicht kalt lassen, denn wir Europäer werden davon unweigerlich ebenfalls betroffen sein. Umso wichtiger ist es meines Erachtens, es hier nicht ebenso weit kommen zu lassen. ---------- [1] WOZ vom 06.01.2011 [2] Spiegel-Online vom 09.01.2011 Nachtrag (10.01.2011): Gabrielle Giffords scheint es vorausgeahnt zu haben: "Wir stehen auf Sarah Palins Abschussliste", hatte Giffords die Karte mit den Fadenkreuzen kommentiert. "Wenn Leute so etwas tun, muss ihnen klar sein, dass solche Aktionen Konsequenzen haben", sagte sie bereits im März 2010. [3] Die Karte wurde Presseberichten zufolge übrigens erst nach dem Attentat von Palins Facebook-Seite entfernt. [3] NZZ-Online vom 10.01.2011 |