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12. Januar 2011, von Michael Schöfer
Jubelperser


Was haben sie in ihrem rosa Wolkenkuckucksheim geschwelgt: "Der private Verbrauch wird immer mehr zu einer tragenden Säule der guten Konjunktur: Die Stimmung unter den Konsumenten bleibt stabil auf hohem Niveau. Wirtschaftsforscher sagen für Deutschland viele gute Jahre voraus." [1] Die notorischen Jubelperser der GfK schrieben: "'Das nach wie vor stabile Niveau des Indikators [Einkommenserwartung, Anschaffungsneigung] deutet darauf hin, dass der private Konsum für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Deutschland eine zunehmend wichtigere Rolle spielen wird und sich neben dem Export zu einer zweiten wichtigen Säule entwickeln kann.' Damit werde der gegenwärtige Aufschwung auf eine breitere und sichere Basis gestellt. 2011 wird laut Ausblick der GfK 'ein noch besseres Konsumjahr' werden." [2] Das ist nichts anderes als das ökonomische Pendant zu Nina Ruges kitschig-naivem Lebensmotto: "Alles wird gut."

Und nun das: Das Bruttoinlandsprodukt ist 2010, wie das Statistische Bundesamt soeben mitgeteilt hat, unerwartet stark gestiegen, und zwar um satte 3,6 Prozent. Zugegeben, das hatten selbst die größten Optimisten nicht erwartet. Die Pessimisten ohnehin nicht. Das höchste Wachstum seit der Wiedervereinigung. Wer würde sich da nicht freuen? Niemand. Doch Vorsicht, die Lage ist genau besehen schlechter als sie erscheint, denn es sind die altbekannten Klumpenrisiken zurückgekehrt. Der Export floriert (ein reales Plus von 14,2 Prozent), der private Konsum bringt es jedoch entgegen den markigen Worten der Jubelperser bloß auf ein vergleichsweise mageres Plus von 0,5 Prozent. [3] Tragende Säule der Konjunktur? Breitere und sichere Basis? Zunehmend wichtigere Rolle? Keineswegs, wie die Zahlen belegen. Oder sagen wir: höchstens in Ansätzen.


[Quelle: Statistisches Bundesamt]

Wir leben - wie zuvor auch - immer stärker vom Export. Und wir haben schließlich 2009 gesehen, wie rasch wir damit auf die Nase fallen können. Nach wie vor ist die deutsche Wirtschaft total einseitig auf Exportgewinne ausgerichtet. Nach wie vor setzen wir unsere Nachbarländer mit einer verheerenden Niedriglohnstrategie unter Druck und wundern uns dann darüber, wenn sie sich deswegen als Sanierungsfälle entpuppen.



inflationsbereinigte Lohn- und Gehaltsentwicklung (2000-2009) in Prozent
Norwegen
25,1
Zypern
22,9
Finnland
22,0
Südkorea
18,3
Island
16,9
Australien
15,5
Irland
15,2
Schweden
14,4
Großbritannien
14,0
Neuseeland
13,9
Singapur
11,2
Dänemark
10,7
Schweiz
9,3
Luxemburg
9,3
Frankreich
8,6
Spanien
7,5
Belgien
7,4
Malta
4,8
Niederlande
4,8
Kanada
4,7
Italien
3,8
Österreich
2,7
USA
2,2
Israel
-0,6
Japan
-1,8
Deutschland
-4,5
Quelle: International Labour Organisation, Global Wage Report, Datenblatt Deutschland 2010/11, Seite 3, PDF-Datei mit 1,5 MB

Bitte kommen Sie mir jetzt nicht mit dem üblichen "die haben eben über ihre Verhältnisse gelebt". Das mag teilweise stimmen, aber in der nachfolgenden Tabelle sieht man, dass etliche jetzige Sanierungsfälle vor der von den Banken verursachten Finanzkrise sogar Haushaltsüberschüsse erwirtschafteten. Doch wenn man, wie etwa Irland, seine Zockerbanken retten muss...


[Quelle: Wikipedia, CC BY-SA 3.0-Lizenz, Urheber: de:User:Ben776]

Zweifellos, momentan geht es Deutschland gut. Oder sagen wir: wieder besser. Freilich: für wie lange? Man soll nicht andauernd schwarzmalen, aber die internationalen Ungleichgewichte haben sich neuerdings sogar vergrößert. Ich fürchte, das wird auf Dauer kaum gutgehen. Und auch Deutschland wird dann wieder zu leiden haben. Oder glaubt jemand wirklich, dass Deutschland und China ständig riesige Außenhandelsüberschüsse erwirtschaften können, während beispielsweise die USA sich permanent tiefer in den Schuldensumpf reiten dürfen? Ohne drastische Folgen für die Weltwirtschaft? Ich jedenfalls nicht. Die Krise wurde zwar vom Finanzsektor ausgelöst, es fragt sich aber dennoch, wovon die angeschlagenen Volkswirtschaften künftig leben sollen. Wie kommen Griechenland, Irland und Portugal konkret wieder auf die Beine? Nur durch Sparen allein? Wohl kaum. Die Tragödie ist, dass die Politik getrieben und hilflos wirkt, irgendwie ziellos dahintaumelt. Es wird hierzulande zum Beispiel "mehr Netto vom Brutto" versprochen, doch das Gegenteil getan. Die Krise, liebe Leserinnen und Leser, ist also noch lange nicht vorbei. Jubelperser lenken davon bloß ab.

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[1] RP-Online vom 22.12.2010
[2] Tagesschau.de vom 21.12.2010
[3] Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 010 vom 12.01.2011